Italien hat immer noch keine Regierung

Keiner bewegt sich

Wer braucht schon eine Regierung? In Italien herrscht noch politischer Stillstand.

Alles muss sich ändern, damit alles bleibt, wie es ist. Entgegen ihren ständig propagierten Parolen haben Beppe Grillo und seine Bewegung in den vergangenen zwei Wochen gezeigt, dass auch sie nach diesem bekannten Prinzip der von ihnen verschmähten Parteipolitik handeln können. Mit ihrer Blockadehaltung gegenüber jeglicher Regierungskoalition nach dem Motto: »Es wird keine andere Regierung geben als unsere Regierung«, haben die grillini die Besiegelung des vor den Parlamentswahlen herrschenden Staus quo erreicht. Staatspräsident Giorgio Napolitano war am Samstag, nach dem Scheitern einer von ihm persönlich geführten zweiten Runde von Konsultationen zur Koalitionsbildung zu dem Schluss gekommen, eine neue Regierung sei vorerst nicht nötig. Wozu denn auch, die von ihm im November 2011 eingesetzte »Regierung der Technokraten« unter der Führung von Mario Monti sei noch im Amt. Mehr noch, sie stelle das einzige »Element der Sicherheit dar«. Diese Regierung werde, verkündete Napolitano, »in Abstimmung mit der EU Notfallmaßnahmen für die italienische Wirtschaft in die Wege leiten«. Ein Satz, der vermutlich dazu gedacht war, die EU und »die Märkte« zu beruhigen, und gleichzeitig wie eine Drohung klingt. Denn diese Regierung, die die Austeritätspolitik und die Spardiktate aus Deutschland und der EU verkörpert, ist im Februar eindeutig abgewählt worden. Aber ein Staatspräsident hat bekanntlich höhere Aufgaben, als sich um profane Dinge wie Wahlergebnisse und Parlamentsmehrheiten zu kümmern, nämlich die Nation zu retten, und zwar mit Superkräften, zumal er am Ende seiner Amtszeit steht. In einer Rede am Ostersamstag, die mit mehr Spannung erwartet worden war als der Rauch des vatikanischen Schornsteins einige Wochen zuvor, kündigte Napolitano die Bildung zweier Expertengruppen an, die »programmatische Wirtschafts- und Verfassungsreformen« formulieren werden, auf die sich die politischen Parteien einigen sollen.
In anderen Ländern nennt man das Große Koalition, in Italien heißt es etwas umständlicher »Erarbeiten von mehrheitsfähigen Vorschlägen im wirtschaftlichen und institutionellen Bereich«, was im Klartext bedeutet: Keiner bewegt sich, alles weiter wie bisher. Diese »Weisengruppen«, in denen keine einzige Frau vertreten ist, bestehen aus Politikern, Ökonomen und Rechtswissenschaftlern, deren erste Aufgabe es ist, ein neues Wahlgesetz zu erarbeiten. Denn dass es noch in diesem Jahr zu Neuwahlen kommen wird, steht spätestens heute fest, wenn es nicht schon seit einigen Wochen gewiss ist. Mit seiner Entscheidung hat Napolitano den Zeitpunkt bloß verschoben, vom Herbst ist nun die Rede. Ob der Movimento 5 Stelle bis dahin sein Image einer Kraft gegen das System aufrechterhalten kann, ist fraglich. Ausgerechnet eine Bewegung, die den Untergang des Parteiensystems innerhalb von sechs Monaten prophezeit hatte und deren abstruse Vorstellung von »direkter Demokratie« dazu führen soll, dass die Bürgerinnen und Bürger »selbst regieren«, ausgerechnet diejenigen, die mit dem Vorschlag eines Referendums über den Verbleib in der Eurozone in den Wahlkampf gezogen waren, sind nun die Hauptverantwortlichen für den Verbleib einer Regierung, die nur durch den Staatschef legitimiert ist. Eine gute Voraussetzung für das angestrebte Ergebnis von »100 Prozent« bei den nächsten Wahlen, wie Grillo selbst verkündet hatte, ist das nicht.