Die Debatte über Migrationspolitik in Schweden

Lieber in blond in die U-Bahn

In Schweden wird heftig über Migrationspolitik debattiert. Die Mitte-Rechts-Regierung hilft dabei mit ihrer Politik den rechten Schwedendemokraten.

»8.55 Uhr, T-Centralen: Zwei Polizisten führen Ausweiskontrollen auf dem Bahnsteig der Roten Linie nach Norsborg/Fruängen durch; 15.23 Uhr: die Polizei verlässt T-Centralen Richtung Sergels Torg; 23.41 Uhr: uniformierte Beamte überprüfen vorbeifahrende Züge an der Station Stora Mossen«. Diese und ähnliche Meldungen lassen sich jeden Tag auf der Website der Gruppe REVA Spotter nachlesen. Hier gibt es ständig Neuigkeiten darüber, an welchen Haltestellen der Stockholmer U-Bahn und anderen Plätzen der Innenstadt sich Polizisten bewegen und Papiere von vermeintlichen »Illegalen« überprüfen.
Hinter REVA steckt die landesweite Zusammenarbeit zwischen Polizei, Strafvollzugs- und Ausländerbehörden. Weil es in Schweden nicht erlaubt ist, Ausweiskontrollen ohne begründeten Verdacht auf eine Straftat durchzuführen, hat REVA in Stockholm mit Fahrausweiskon­trolleuren zusammengearbeitet. Das Projekt erinnert an das Programm der sogenannten se­cure communities in den USA, wonach lokale Beamte Informationen über Festgenommene an Bundesbehörden weitergeben müssen. REVA erlaubt es der Polizei, sozusagen Grenzkontrollen im Innern durchzuführen. Allein im Januar haben die REVA-Beamten im Landkreis Stockholm 716 Ausweiskontrollen durchgeführt. 670 der Kon­trollierten waren Menschen, die sich ganz legal in Schweden aufhalten. In Schweden leben Schätzungen der Regierung zufolge zwischen 10 000 und 50 000 Menschen pro Jahr ohne gültige Ausweispapiere.

Als Pilotprojekt begann REVA vor zwei Jahren in der südlichen Stadt Malmö. Abschiebungen sollen in der Region Skåne 2012 im Vergleich zum Vorjahr um 25 Prozent zugenommen haben. Seit kurzem wird REVA auch in Stockholm durchgeführt. Doch die Kritik daran nimmt zu. Es gibt Demonstra­tionen, Berichte von Flüchtlingen, öffentliche Briefe von bekannten Kulturschaffenden wie den Autoren Johannes Anyuru und Jonas Hassen Khemiri und dem Theaterregisseur Jasenko Selimović erregten großes Aufsehen und Initiativen wie »Psychologen gegen REVA« veröffentlichen Aufrufe. Letzteren zufolge trauen sich manche Flüchtlinge, die sich in Schweden verstecken müssen, heute nicht mehr Hilfe zu suchen, »weil sie Angst haben, vor dem Therapieraum verhaftet zu werden«. Auch Beschäftigte der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Malmö bestätigen, dass sie verpflichtet seien, der Polizei mitzuteilen, wenn Kinder ohne gültige Ausweispapiere in die psychiatrische Klinik kommen. In dieser Situation sei eine Genesung fast unmöglich.

Da die Ausweiskontrollen allein aufgrund des Aussehens von Personen erfolgen, sprechen Kritikerinnen und Kritiker von racial profiling und ­institutionalisiertem Rassismus. Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt und seine Mitte-Rechts-Koalition streiten dies ab, es handele sich nur um »persön­liche Erlebnisse« der Flüchtlinge. In diesem politischen Klima behauptete Migrationsminister Tobias Billström am 18. März in ­einem Interview mit der Tageszeitung Dagens Nyheter, viele stellten sich vor, Illegale versteckten sich bei hilfsbereiten blonden schwedischen Damen in ihren Fünfzigern oder Sechzigern, aber tatsächlich »leben die meisten mit ihren Landsleuten, die überhaupt nicht alle blond und blauäugig sind«. Dafür musste er sich entschuldigen, trat aber nicht zurück, und die rassistische Äußerung hängt immer noch in der Luft. Darüber gefreut haben dürfte sich die rechtspopulistische Partei Schwedendemokraten (SD), mit neun Prozent der Stimmen in Umfragen derzeit die drittgrößte Partei Schwedens. Forschungen zeigen, dass jedes Mal, wenn über Migration diskutiert wird, die SD mehr Stimmen bekommen.
In diesem Frühjahr konnten sie der rechtsliberalen Regierung einfach ihre Arbeit überlassen, die Debatte um »Blondheit« geht weiter. Jimmy Åkesson (SD) sagte selbst: »Unsere Einschätzung ist, dass Tobias Billström viel besser in die Schwedendemokraten passen würde als in die Regierung von Reinfeldt.« Das ist leider nicht die ganze Wahrheit.