Über einen Fall von Rassismus im Stadion

Verteidigung mit Flasche

Weil er von rassistischen Beleidigungen genug hatte, wehrte sich Keeper Ikenna Onukogu – und wurde prompt bestraft. Ein Bericht über den Alltag im Amateurfußball.

Seinen Einstand im Tor des Duisburger Bezirksligisten SC Hertha Hamborn wird der 27jährige Nigerianer Ikenna Onukogu wohl sein Leben lang schmerzlich in Erinnerung behalten. Anfang März kam es während des Rückrundenstarts der Bezirksliga am Niederrhein in dem Spiel zwischen den beiden türkisch geprägten Vereinen Dostlukspor Bot­t­rop und Hertha Hamborn zu einem folgenreichen Aufruhr, in dessen Mittelpunkt der Hamborner Schlussmann stand.
Der Eklat nahm nach dem Seitenwechsel seinen Anfang, als Bottroper Zuschauer begannen, Onukogu wiederholt aufgrund seiner Hautfarbe zu beleidigen. Invektiven wie »Affe« und »Nigger« wurden ihm mehrmals zugerufen. Onukogu wies nach eigenen Angaben einen der Linienrichter gleich zweimal darauf hin und bat ihn außerdem, die Leute wegzuschicken, die sich zu diesem Zeitpunkt nur wenige Meter hinter seinem Tor auf der Zuschauertribüne befanden. Der Linienrichter gab ihm demnach zu verstehen, er habe sich seinen Protest notiert. Zu mehr konnte sich das Schiedsrichtergespann zu dem Zeitpunkt offenbar nicht entschließen, wobei im Falle rassistischer Äußerungen und Handlungen klare Anweisungen für die Schiedsrichter gelten, die eine Unterbrechung sowie einen Spielabbruch beinhalten.
Kurz vor Abpfiff warf Onukogu eine Plastikflasche in Richtung der Zuschauer, die zum großen Teil aus Spielern der zweiten Mannschaft von Dostlukspor bestanden, und stürmte auf die Fans zu. Es kam zu einem Gerangel, das in einem Tumult zwischen etlichen Spielern der Hertha Hamborn und den Supportern des Gastgebers endete. Daraufhin brach der Schiedsrichter das Spiel ab. Die Plastikflasche sei Onukogu aus der pöbelnden Menge mit der Aufforderung entgegen geschleudert geworden, sich diese »in den Arsch zu schieben«, sagen der Spieler und sein Trainer. Daraufhin sei dem Hamborner Schlussmann endgültig der Kragen geplatzt, und er habe die Flasche zurückgeworfen.
»Nach dem Spiel war ich völlig fertig«, so Onukogu. Er sei schon viel rumgekommen – der Torhüter hatte es unter anderem in die nigerianische U-17- und U-21-Nationalmannschaft gebracht – und habe durchaus schon öfter persönliche Anfeindungen erlebt, »aber so schlimm wie an diesem Märztag bin ich noch nie rassistisch beleidigt worden«. Doch damit sollte der Eklat noch längst nicht überstanden sein. Denn in den folgenden Tagen ging die zuständige Bezirksspruchkammer des Fußballverbandes Niederrhein (FVN) gegen den in Duisburg wohnhaften Onukogu vor.
Für die Kammer war Onukogu nämlich der Schuldige, also derjenige, der den Spielabbruch zu verantworten hatte, und deswegen wurde der Spieler umgehend gesperrt. Insbesondere machte sich die Bezirksspruchkammer in ihrem Schreiben um die »einstweilige Sicherung des Sportverkehrs« Gedanken, da Onukogu sich »durch sein Verhalten einer groben Unsportlichkeit schuldig gemacht« habe. Gegen das Urteil wollte der Präsident des Hamborner Vereins, Christian Birken, beim FVN Einspruch erheben. Spiegel Online zufolge wurde ihm daraufhin seitens des Verbands gesagt, er könne »gerne Einspruch einlegen. Der sei aber kostenpflichtig und werde sowieso nichts ändern« – womit der Sportverband ein äußerst fragwürdiges Verständnis seiner Tätigkeit an den Tag legte.
Die offensichtliche Fehleinschätzung der Vorkommnisse seitens des FVN erregte allmählich das Interesse der überregionalen Berichterstatter. Mit der Folge, dass der Verband am Freitag voriger Woche einlenkte und in einer Stellungnahme erläuterte, wie es zu diesem Urteil gekommen sei. So habe man »erst jetzt von den Begleitumständen erfahren«, weswegen man sich veranlasst sehe, die Sperre gegenüber Onukogu vorerst aufzuheben. Der Verband berief sich weiterhin auf den für das Zustandekommen seiner vorläufigen Entscheidung wichtigen, durch den Schiedsrichter verfassten Spielbericht, in dem die rassistischen Beschimpfungen nicht erwähnt worden waren. Weshalb der Referee die Beleidigungen nicht notierte, lässt Raum für Spekulationen. Für Hamborns Trainer sowie für Onukogu war es schlicht Angst, die das Schiedsrichtergespann von einem konsequenten Eingreifen abgehalten habe. Schließlich führte die Heimmannschaft 1:0 und außerdem habe es bereits in der Halbzeitpause aufgrund eines Platzverweises verbale Drohungen seitens der Bottroper gegenüber dem Schiedsrichter gegeben, was allerdings durch den Trainer von Dostlukspor bestritten wird.
Unbestritten ist jedoch die Tatsache, dass Ausschreitungen gegenüber Schiedsrichtern und Schiedsrichter-Assistenten, insbesondere im Amateurfußball, keine Seltenheit mehr sind. Dostlukspor hatte in der Vergangenheit nicht nur durch sein soziales Engagement im Bereich der Jugendarbeit Schlagzeilen gemacht, sondern eben auch durch Schlägereien und Spiel­abbrüche. Zuletzt wurde der Verein Anfang 2011 von der Bottroper Stadtmeisterschaft ausgeschlossen, da es auf einem Bottroper Hallenturnier zu regelrechten Jagdszenen auf den damaligen Unparteiischen gekommen war. Erst durch personelle Umstrukturierungen in den vergangenen Jahren konnte sich der Verein von seinem negativen Image lösen. Der »Fall Onukogu« droht diesen Erfolg nun aufzuheben.
Dies mag auch der Anlass für den ersten Vorsitzenden von Dostlukspor, Nuh Arslan, gewesen sein, eine Gegendarstellung auf der Homepage des Amateurfußballmagazins Auf’m Platz zu veröffentlichen, in der er die Rassismusvorwürfe vehement bestritt. Dort gab er dem Torwart die Schuld an dem Spielabbruch. Onukogu habe lediglich behauptet, er sei als »Neger« bezeichnet worden, er, Arslan, habe zahlreiche Leute angerufen und befragt, der Schiedsrichter habe nichts gehört, niemand vom Ordnungsdienst und auch nicht der Mitarbeiter der WAZ. Auch erklärte er in dem Schreiben, warum sein Verein nicht rassistisch sein könne, schließlich unterstütze man seit einiger Zeit Fußballer im westafrikanischen Gambia. »Das sind Schwarzafrikaner, und da sollen wir ›Neger‹ gesagt haben?« Was dies jedoch mit dem konkreten Vorfall zu tun haben mag, bleibt fraglich.
Am 4. April wird über die Vorgänge zu Gericht gesessen. Mit Mittelpunkt steht dabei nicht mehr Onukogus Flaschenwurf, sondern Dostlukspor. So ist bereits ein Verfahren bei der Bezirksspruchkammer gegen den Bottroper Verein eingeleitet worden. Bei diesem Verfahren sollen dann der Spielabbruch und die Umstände, die zum Abbruch geführt haben, einschließlich des Rassismusvorwurfs, verhandelt werden. Insgesamt verdeutlicht der Vorfall erneut, dass DFB-Kampagnen gegen Rassismus insbesondere an der Basis weiterhin allzu oft ins Leere laufen. Weder beim Schiedsrichter noch bei den Verbänden scheint es im Hinblick darauf ein Problembewusstsein zu geben. Die Verantwortung für den Eklat will jedenfalls niemand auf sich nehmen.
Onukogu saß am vorvergangenen Sonntag auf eigenen Wunsch nur auf der Bank. Er wäre zwar spielberechtigt gewesen, die vergangenen Wochen sind jedoch nicht spurlos an ihm vorbeigegangen.