Warum man die MLPD als Sekte bezeichnen darf

Die Partei der extrem normalen Leute

Lügen und Schmähungen wollte sich die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands nicht gefallen lassen und klagte gegen zwei »Extremismusforscher«. Die Partei feiert das Gerichtsurteil als Erfolg. Doch dieser ist überaus bescheiden.

Stefan Engel gab sich nach der Urteilsverkündung gewohnt kämpferisch. »Das bisherige ­ungeschriebene Gesetz, nach dem über Marxisten-Leninisten unabhängig von jeder Realität ­Lügen und Schmähungen verbreitet werden dürfen, wurde durchbrochen«, jubilierte der Vorsitzende der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) am Donnerstag vergangener Woche. »Damit haben wir eine Bresche in die selbstherrlichen, intriganten antikommunistischen Gepflogenheiten des Verfassungsschutzes geschlagen.« Allerdings lässt sich das Urteil des Essener Landgerichts im Prozess der mao­istischen Splitterpartei gegen den Verlag und die Autoren des Buches »Linksextrem – Deutschlands unterschätzte Gefahr?« auch anders interpretieren.

Ihren unermüdlichen Kampf für die »proletarische Denkweise« hat die selbsternannte »politische Vorhutorganisation der Arbeiterklasse in Deutschland« nicht mit der Waffe in der Hand, sondern mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch unter dem Arm geführt. Die MLPD klagte gegen das im Paderborner Verlag Ferdinand Schöningh erschienene Werk, denn die fünf Seiten, die ihr die Autoren Harald Bergsdorf und Rudolf van Hüllen gewidmet haben, seien voll von »falschen und ehrverletzenden Tatsachenbehauptungen und als Schmähkritik zu qualifizierenden beleidigenden Äußerungen«.
In etlichen Büchern kommt die MLPD nicht so gut weg – eigentlich in fast allen Publikationen, die sie nicht selbst veröffentlicht. Das Besondere in diesem Fall: Bei den beiden Autoren handelt es sich um zwei ehemalige staatlich besoldete »Extremismusforscher«. Bergsdorf war bis 2005 Re­ferent im Thüringer Innenministerium, van Hüllen bis 2006 Referatsleiter im Bundesamt für Verfassungsschutz. So zielte die Klage der Vorkämpfer der proletarischen Weltrevolution auch auf den Inlandsgeheimdienst, zumal Bergsdorf und van Hüllen nach eigenem Bekunden einen Großteil ihrer vermeintlichen Erkenntnisse aus Verfassungsschutzberichten bezogen.
Mit ihrem Buch wenden sich Bergsdorf und van Hüllen nach eigenen Angaben »primär an junge Menschen und Eltern, aber auch an Pädagogen und andere Multiplikatoren«. Deswegen sei es auch nicht »in lebensfremder Juristensprache« verfasst, heißt es im Vorwort. Das 200 Seiten starke Werk soll dazu »befähigen, die unterschiedlichen Formen von Linksextremismus zu erkennen«. Denn der bewege sich »zwischen Brandanschlag und Bundestagsmandat«, reicht also nach Auffassung der Autoren, die der CDU nahestehen, von militanten Autonomen bis zur Linkspartei, »die wie ein Gravitationszentrum auf linksextreme Protagonisten, Ideen und Mentalitäten« wirke.
Tatsächlich wirkt »Linksextrem – Deutschlands unterschätzte Gefahr?« vor allem wie eine ziemlich plumpe Kampfschrift gegen die Linkspartei, der mit 64 Seiten das mit Abstand größte Kapitel gewidmet ist. Die Partei bewege sich »in der Grauzone«, sei »weder lupenrein demokratisch noch lupenrein extremistisch« – aber brandgefährlich. Denn sie betreibe »einen rigiden Sozialpopulismus, mit dem sie die Soziale Marktwirtschaft durch Überforderung schwächen will«. Ein weiterer Beleg für ihre linksextremistischen Tendenzen: Die Linkspartei fordere »sogar eine Art Demokratisierung der Demokratie«. So plädiere sie für mehr Bürgerentscheide – ein Skandal: »Sie will die parlamentarische Demokratie offenbar durch geradezu demokratistische Überforderung schwächen.« Die Linkspartei wolle »die Macht gewählter Parlamente verringern und die bundesdeutsche Demokratie zu einer kaum regierbaren Vetokratie umwandeln«.

»Erstaunlich ist, dass dieses historisch-politisch verbildende Werk in einem Verlag erscheinen konnte, der ansonsten gediegene wissenschaftliche Literatur herausbringt«, wundert sich der Paderborner Soziologe Arno Klönne. Als Beispiel für die Unseriosität des Buches zieht Klönne die Darstellung Rosa Luxemburgs heran. Deren Ermordung sei zwar »eher tragisch zu nennen«, heißt es bei Bergsdorf und van Hüllen. Gleichwohl handele es sich bei ihr um eine »rigorose Gegnerin sowohl der Weimarer Republik als der Demokratie als solcher«, die versucht habe, »die Weimarer Nationalversammlung zu verunglimpfen«. Das sei eine Geschichtsfälschung, konstatiert Klönne: »Die Autoren kümmert es nicht, dass zur Nationalversammlung, aus der die Weimarer Verfassung und das Weimarer Politiksystem hervorgingen, erst gewählt wurde, als Rosa Luxemburg schon ermordet war.«
Die Verbreitung von Unfug mag zwar dem Renommee eines Wissenschaftsverlags nicht zuträglich sein. Doch verboten ist das nicht. Umso überraschender kam die Klage der MLPD und ihres Vorsitzenden Engel Ende Juli 2012. Dabei spielen sie in der skurrilen Kampfschrift nur eine ganz kleine Nebenrolle. Doch diese war der kleinen Partei schon zu groß: Die Erben der K-Gruppenbewegung der siebziger Jahre wollten eigentlich den gesamten Abschnitt streichen lassen, in dem sie selbst behandelt wurden, mindestens aber zehn Passagen, die sie für besonders verunglimpfend hielten. So wollte sich die MLPD nicht vorwerfen lassen, sie sei eine Politsekte und um ihren Vorsitzenden Engel werde ein an Stalin und Mao erinnernder Personenkult betrieben.
Entsprechende Aussagen finden sich schon seit Jahren in diversen Verfassungsschutzberichten von Bund und Ländern. Darauf beriefen sich Bergs­dorf und van Hüllen vor dem Essener Landgericht. »Mitteilungen von Behörden gelten als zuverlässige Informationsquelle«, argumentierte ihr Verteidiger, der Medienanwalt Gernot Lehr. Doch so einfach wollte es sich die Vorsitzende Richterin der 4. Zivilkammer, Jutta Lashöfer, nicht machen. Bei einem ersten Verhandlungstermin Anfang Oktober vergangenen Jahres forderte sie von den Beklagten, »Belegtatsachen zu konkretisieren und unter Beweis zu stellen«.
Bei einem Blick auf Stefan Engel erscheinen Lashöfers Zweifel nachvollziehbar. Seit ihrer Gründung 1982 führt er die MLPD an. Damit steht er ihr inzwischen länger vor als einst Stalin der KPdSU. In zwei Jahren wird er länger im Amt sein, als Mao Zedong Vorsitzender der KP Chinas war. Trotzdem macht der 59jährige gelernte Schlosser, der sich selbst als »Arbeiterführer« bezeichnet, nicht gerade den Eindruck eines gefährlichen Klassenkämpfers. Die grauen Haare sind unübersehbar, an beiden Ohren trägt er ein Hörgerät. Vor Gericht trägt Engel eine hellblaue Jeans, weiße Strümpfe und schwarze Schuhe. Der Bauchansatz wird von seinem roten Pullover nur mäßig überdeckt. »Wir sind ganz normale Leute«, sagt Engel. Doch das »grundlegende Ziel« seiner Partei ist noch immer der »revolutionäre Sturz der Diktatur des Monopolkapitals und die Errichtung der Diktatur des Proletariats«.
Irgendwie ist der an Mao und Stalin orientierte Marxismus-Leninismus in den vergangenen Jahrzehnten schwer aus der Mode gekommen. KBW, KB, KPD/AO und KPD/ML sind längst Geschichte. Nur die in Gelsenkirchen ansässige MLPD hat die Widrigkeiten der bundesdeutschen Realität bislang anscheinend schadlos überstanden. Nach Verfassungsschutzangaben verfügt sie über etwa 2 000 Mitglieder. Wie viele es wirklich sind, will Engel nicht verraten. Aber die Zahl sei »eher zu niedrig«, sagt er. Zu den beiden mündlichen Verhandlungsterminen im Oktober 2012 und im März dieses Jahres kamen jeweils ungefähr 50 Anhänger zur Unterstützung ihres Vorsitzenden.
Doch ihre Hoffnung, der »kleinbürgerlichen Denkweise« einen schweren Schlag zu versetzen, erfüllte sich nicht – zu ausgiebig hatte sich das Gericht mit den wirren Veröffentlichungen der MLPD beschäftigt. Mehr als ein sehr bescheidener Teilerfolg war nicht drin. Nur bei zwei der zehn monierten Passagen bekam die Partei bei der Urteilsverkündung am vergangenen Donnerstag recht. Nicht weiter verbreitet werden darf die Behauptung, um den Vorsitzenden Engel habe sich ein »massiver, an die Vorbilder Stalin und Mao gemahnender Personenkult entwickelt«. Ebenfalls als nicht belegt und daher unzulässig beurteilte das Gericht die Behauptung, in der Partei gebe es regelmäßige »Säuberungs- und Ausschlusskampagnen«. Auch die Verfassungsschutzberichte, auf die sich die Beklagten berufen hatten, gäben hier »keine hinreichenden Anhaltspunkte«, sagte Richterin Lashöfer.

Alle anderen Aussagen sah das Gericht hingegen vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Zulässig ist demnach sowohl die Bewertung der MLPD als »eine in marxistisch-leninistische Parteiform gekleidete Sekte«, in der Intellektuelle »eher nicht willkommen« seien und die »maoistische Gehirnwäsche« betreibe. Der Partei zu unterstellen, sie verfüge auch über »enorm repressive Strukturen, die darauf zielen, die Mitglieder physisch und psychisch völlig ihrer Kontrolle zu unterwerfen«, wollte das Gericht ebenfalls nicht verbieten. »Die Beklagten überschreiten die Grenze zur Schmähkritik damit nicht«, sagte Richterin Lashöfer bei der Urteilsverkündung.
Wer in diesem Prozess insgesamt wie viel gewonnen hat, zeigt die gerichtliche Kostenaufteilung. Der beklagte Verlag und die beiden Autoren müssen jeweils 5,4 Prozent der Prozesskosten tragen, die MLPD hingegen 51,4 und Parteichef Engel 32,4 Prozent. Der ehemalige Verfassungsschützer van Hüllen, der bei der Urteilsverkündung anwesend war, zeigte sich zufrieden mit dem Prozessausgang: »Ich denke, damit können wir leben.« Die »Bresche«, die die MLDP » in die selbstherrlichen, intriganten antikommunistischen Gepflogenheiten des Verfassungsschutzes« geschlagen hat, ist überschaubar geblieben.