Ein Nachruf auf Margaret Thatcher

Erst die Milch und dann...

Margaret Thatcher ist gestorben. Berüchtigt ist vor allem ihr Kampf gegen die britischen Gewerkschaften.

Margaret Thatcher lässt niemanden kalt, bis heute. Selbst Britinnen und Briten, die erst nach ihrer Regierungszeit geboren wurden, haben zumeist eine Meinung über ihre historische Rolle im Allgemeinen und ihre Person im Besonderen. Von kaum einer anderen Person der britischen Geschichte lässt sich ähnliches behaupten, wohl nicht einmal von Oliver Cromwell. Geschuldet ist dies Thatchers Politik, die auf einen grundlegenden Umbau der Gesellschaft ausgerichtet war, sowie ihrem Stil, der von unerbittlicher Härte geprägt war.
Als sie 1979 die erste Premierministerin in der Geschichte des Landes wurde, hatten ihr Linke bereits den wenig schmeichelhaften Beinamen »Milchräuberin« verpasst, hatte sie doch 1970 als Kultusministerin die Ausgabe kostenloser Milch an Schüler eingeschränkt. Der Spitzname »Eiserne Lady«, 1976 von Radio Moskau ersonnen, gefiel ihr da schon weitaus besser. Sie deutete ihn positiv um, indem sie sich entschlossen und standhaft zeigte. Konsequenterweise beschimpfte sie politische Gegner nur zu gern als »wankelmütig«. Entschlossen und durchsetzungsfähig war sie. Darin unterschied sie sich von allen ihren Vorgängern seit dem Zweiten Weltkrieg. Mit ihr war innerhalb der konservativen Partei, bei den Tories, eine Strömung an die Macht gelangt, die einen rigorosen Wirtschaftsliberalismus vertrat und den sozialstaatlichen Konsens aufkündigte, der bis dahin unter den maßgeblichen politischen Kräften Großbritanniens geherrscht hatte.

Gegen Ende der siebziger Jahre befand Großbritannien sich in einer wirtschaftlichen Krise, die von Inflation, stagnierendem Wirtschaftswachstum und hoher Arbeitslosigkeit geprägt war. Der politische Kreis um Thatcher sah die Ursache dafür in der »sozialen Marktwirtschaft«. Treibende Kraft einer Nationalökonomie seien die Unternehmer, wolle Großbritannien zu den führenden Wirtschaftsnationen aufsteigen, müssten alle Hindernisse ausgeräumt werden, die sich ihnen entgegenstellen, so dessen Analyse. Thatcher arbeitete eng mit sogenannten Think Tanks zusammen, die strategische Ansätze erarbeiteten. Im engen Zirkel entstanden auf dieser Grundlage genaueste Pläne für die Umsetzung politischer Maßnahmen, auf die Partei und Kabinett eingeschworen wurden.
Dabei verfocht Thatcher ein klares Programm, das einer politischen Überzeugung entsprang, von der sie Zeit ihres Lebens niemals abwich. Als glühende Antikommunistin suchte sie außenpolitisch die Konfrontation mit der Sowjetunion, innenpolitisch schmeckten ihr selbst von Konservativen für notwendig erachtete soziale Einrichtungen gar zu sehr nach Sozialismus. Im Wesentlichen beinhalteten ihre Maßnahmen Steuersenkungen, Privatisierung und den Abbau von Sozialleistungen. Als größtes Hindernis erachtete sie von Anfang an die Gewerkschaften. Diesen »Feind im Innern« zu zerschlagen, war ihr erklärtes Ziel, wie ein internes Strategiepapier belegt, das sie 1981 ihrem Kabinett zur Kenntnisnahme vorlegte. Darin wird der Kampf gegen die Gewerkschaften als oberste Priorität herausgestellt. Und dies war kein leeres Gerede.
Nach ihrer Wiederwahl 1983 sah Thatcher die Zeit reif, sich offen mit den mächtigen britischen Gewerkschaften anzulegen. Bemerkenswert ist hierbei das strategische Vorgehen. Als Angriffsziel wurde die kampferprobte Bergarbeitergewerkschaft NUM (National Union of Mineworkers) ausgewählt, deren Drohpotential als das gefährlichste angesehen wurde, da sie die Kohleförderung als damals wichtigste Energiequelle behindern konnte. Hinzu kam, dass 1981 mit Arthur Scargill der Wortführer des linken Flügels zum Präsidenten der NUM aufgestiegen war. Die Anhänger Thatchers gingen deswegen davon aus, dass die NUM künftig konfrontativer handeln würde. Gelänge es, an der NUM ein Exempel zu statuieren, so das Kalkül, würde dies der Moral aller anderen britischen Gewerkschaften einen bleibenden Schaden zufügen.
Als Thatcher Anfang 1984 erklärte, die Kohle werde in Zukunft eine immer geringere Rolle für Großbritannien spielen, weshalb zunächst ein gewisser Teil der Zechen geschlossen und der Betreiber, das National Coal Board (NCB), privatisiert werden solle, war das nicht die ganze Wahrheit. Zwar war Thatcher schon aus ideologischen Gründen eine Anhängerin der Atomkraft; eine energiepolitische Notwendigkeit, von der Kohle wegzukommen, bestand damals in Großbritannien aber keineswegs. Vielmehr waren Zeitpunkt, Art und öffentliche Präsentation der geplanten Maßnahmen als Provokation gedacht, um die NUM in einen Streik zu treiben, den sie verlieren musste.

Denn Thatcher hatte sich generalstabsmäßig auf diese Auseinandersetzung vorbereitet. Über ein Jahr zuvor hatte sie das NCB vertraulich angewiesen, Kohlereserven anzulegen; tatsächlich wusste die NUM nichts davon. Obwohl vom 5. März 1984 bis zum 5. März 1985 die Kohleförderung in Großbritannien durch den heute legendären Bergarbeiterstreik nahezu zum Erliegen kam, ergaben sich keine nennenswerten Engpässe in der Energieversorgung; allerdings hätte der Streik auch nicht viel länger andauern dürfen. Thatcher zwang die Kumpel mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln in die Knie. In Erwartung landesweiter Streiks hatte sie die Polizei reorganisieren und für entsprechende Auseinandersetzungen trainieren lassen, sogar eine Sonderabteilung für Aufstandsbekämpfung war speziell für diesen Zweck ersonnen worden. Solidarstreiks und die für Großbritannien typischen flying pickets, mobile Streikposten, wurden ebenso gesetzlich verboten wie das Prinzip des closed shop, die verpflichtende Gewerkschaftsmitgliedschaft. Der Inlandsgeheimdienst MI5 bespitzelte Gewerkschaftsaktivisten, bestreikte Kohlereviere wurden rund um die Uhr abgeriegelt und regelrechte Grenzkontrollen eingeführt. Als besonders gefährlich eingestufte Gewerkschafter wurden willkürlich festgenommen und verhört. Wer sich davon nicht einschüchtern ließ, war bald mit handfesten sozialen Problemen konfrontiert. Großbritannien kannte keine Streikkassen. So standen die Kumpel ohne Einkommen da. Thatcher verstärkte den Druck, indem sie Strom- und Wasserversorger anwies, rigoros die Lieferungen einzustellen, wenn Rechnungen nicht bezahlt wurden. Was ihr bis heute besonders übel genommen wird, war ihre Order, Kindern aus streikenden Bergarbeiterfamilien die Schulspeisung zu verweigern.
Geradezu meisterhaft gelang es Thatcher, die Medien zu instrumentalisieren. Gezielt wurde die NUM verteufelt, insbesondere Scargill, über den verbreitet wurde, er arbeite für den KGB oder für Muammar al-Gaddafi, wie manche Zeitungen behaupteten. Die »Schlacht von Orgreave«, bei der sich insgesamt 12 000 NUM-Aktivisten und Polizisten buchstäblich die Köpfe blutig schlugen, war an der Zeche zwar ein Sieg der Kumpel, in der Medienberichterstattung jedoch ein furioser Erfolg Thatchers: Die Streikposten wurden als gewalttätige Kriminelle dargestellt, allen voran Scargill selbst, der sich dazu hatte hinreißen lassen, sich mit blanken Fäusten vor laufenden Fernsehkameras mit Polizisten zu prügeln. Damit geriet die NUM endgültig ins Abseits. Der ungewöhnlich kalte Winter, den Tausende Bergarbeiterfamilien ohne Licht und Heizung verbringen mussten, tat ein Übriges. Am Ende hatte die NUM nicht nur einen Streik verloren, sondern war auch moralisch diskreditiert, was sich auf den gesamten gewerkschaftlichen Dachverband TUC auswirkte. Bei den folgenden Privatisierungen von Post, Telekommunikation, Energie- und Wasserwerken, der Eisenbahn und nicht zuletzt des Gesundheitswesens stieß Thatcher kaum noch auf nennenswerten Widerstand.

Die unmittelbaren Folgen bestanden in einem massiven Stellenabbau im öffentlichen Sektor, dem bis dahin größten Arbeitgeber, zu dem die meisten klassischen Berufe der Industriearbeiterschaft gehörten, etwa in der Stahlbranche. Das zog nach sich, dass sich das Gesicht der typischen englischen Industriegebiete und Arbeiterstädte völlig veränderte. Viele Familien zogen auf der Suche nach Arbeit fort, andere lernten um. Die eigenständige Kultur der britischen Arbeiterbewegung, mit der auch ein gewisser Stolz verbunden war, starb praktisch aus. Besonders in Kreisen, die der früheren Arbeiterschaft entstammen, wird Thatcher daher abgrundtiefe Verachtung entgegengebracht.
Daneben wird ihr von vielen, auch bürgerlichen und liberalen Kräften, eine Verrohung der britischen Gesellschaft angelastet. Ob sich Thatchers Politik in irgendeiner Weise positiv auf die britische Wirtschaft auswirkte, ist bislang unter Experten umstritten; fraglos aber wuchs während ihrer Regierungszeit die Armut im Land, von einem Prozent der Bevölkerung, das 1980 unter der Armutsgrenze lebte, auf 21 Prozent im Jahr 1993. Besonders die Privatisierung von Bahn, Krankenhäusern und Wasserversorgung wird vom Großteil der Britinnen und Briten mit horrenden Preissteigerungen bei gleichzeitigem Qualitätsverlust verbunden.
Nicht zuletzt aber trugen Thatchers Führungsstil und ihre oft provokant in der Öffentlichkeit vorgetragene Unnachgiebigkeit zu einem weithin negativen Image als hartherzige, gefühlskalte Politikerin bei. Sie scheiterte gerade an diesem Stil, den sie mit offenem Stolz als »Eiserne Lady« durchhielt. Zu oft hatte sie selbst engste Mitarbeiter brüskiert und vor den Kopf gestoßen. Der konservative Spitzenpolitiker und ehemalige Außenminister Großbritanniens, Geoffrey Howe, brachte sie mit seinem Rücktritt denn auch zu Fall. Entscheidend waren nicht inhaltliche Differenzen. Howe wollte den Führungsstil Thatchers, den er später als herablassend und zwischenmenschlich kalt beschrieb, nicht mehr länger ertragen.