Die Dokumentation »The Other F Word«

Fucking good Fatherhood!

Auch Rebellen werden Väter. Die jetzt auf DVD erschienene Dokumentation »The Other F Word« zeigt Punk-Musiker als ­Familienmenschen.

Andrea Blaugrund Nevins hat nicht selten die Straßenseite gewechselt, wenn ihr in New York irgendwelche Punks entgegenkamen. Deshalb war sie überrascht, als eine Freundin ihr das Buch »Punk Rock Dad – No Rules, Just Real Life« des Sängers und Hardcore-Punk-Veteranen Jim Lindberg in die Hand drückte. Lindberg beschreibt mit Selbstironie und Gespür für Anekdoten sein Leben als Vater von drei Töchtern. Natürlich lebt das Buch von dem scheinbaren Widerspruch zwischen der Verantwortung der Vaterrolle und antiautoritärem Opponieren gegen gesellschaftliche Konventionen.
»Ist das derselbe Mann, der das Motto seiner Band, ›Fuck Authority‹, bei Konzerten ruft?« fragte sich Andrea Blaugrund Nevins bei der Lektüre. »Wie tauglich ist dieses Credo für einen Vater, der versucht, drei Mädchen großzuziehen?« Brighton, Emma und Kate heißen seine Töchter, die er gemeinsam mit seiner Ehefrau Jen hat.
Jim Lindberg war bis zum Ende der Dreharbeiten Sänger der Skate-Punk-Band Pennywise. Insgesamt 20 Jahre lang. Mit über drei Millionen verkauften Alben ist Pennywise eine der erfolgreichsten Punkbands und war Headliner der weltumspannenden Vans-Warped-Tour. Ein Jahr lang haben Andrea Blaugrund Nevins, die selbst drei Kinder hat, und ihr kleines Filmteam Jim Lindberg begleitet.
»Aber ich kann doch keine 20 Barbiepuppen mitnehmen«, erklärt Lindberg seiner Tochter, während er seinen Koffer für eine mehrmonatige Konzerttour packt. Die beiden einigen sich auf eine einzelne Puppe. Die Regisseurin hat diese Szene an den Beginn des Films gestellt. Vater geht auf Tour und wird für einige Zeit nicht zu Hause sein können. Es geht um den Konflikt um die Zeiteinteilung zwischen Arbeit und Familie. Der Film zeigt die drei Töchter, wie sie unter Anleitung der Mutter Geburtstagsgrüße für ihren Vater schreiben, um sie ihm zu schicken. Der schafft in der Zwischenzeit das Geld mit den Gigs ran und freut sich über die Grüße. Er will mehr Zeit mit den Töchtern verbringen und ist genervt davon, wie lange die Tour dauert. Die anderen Bandmitglieder wollen mehr Auftritte, er weniger. Um mit Kate zur Vater-Tochter-Tanzveranstaltung gehen zu können, sagt er ein paar Konzerte ab und fliegt nach Hause. Ein ganz alltäglicher Konflikt. Wenn er nicht ein Punkrockstar wäre. Der Kontrast zwischen dem Leben im Tourbus, den lauten und aggressiven Auftritten als Sänger bei den Konzerten und dem verständnisvollen, ruhigen und sanft mahnenden Vater – er ist anschaulich dargestellt, mit klug gesetzten Schnitten gut montiert.
Auf den ersten Blick ist es erstaunlich, wie klassisch die Geschlechterrollen zwischen den Eltern aufgeteilt sind und wie geschlechtstypisch die Töchter erzogen werden. Auf den zweiten Blick ist es ärgerlich, dass die Regisseurin dies zeigt, ohne es zu kritisieren. Vielleicht ist dies auch der Tatsache geschuldet, dass das Hauptinteresse des Films den Vätern gilt. Porträtiert werden Jim Lindberg und ein Dutzend anderer Punkmusiker aus Kalifornien, die allesamt als Macher und Ernährer gezeigt werden, während die Ehefrauen und Mütter im Hintergrund den Laden am Laufen halten und oft nur am Rande vorkommen. Die unter Eltern häufg auftretenden Konflikte um die Aufteilung der Reproduktionsarbeit – hier kommen sie nicht vor. Alles funktioniert wie in einer glücklichen amerikanischen Mittelklassekleinfamilie. Papa Lindberg fährt die Töchter mit dem Van vom Eigenheim im Suburb zur Schule und zum Ballettunterricht. Dazu erklingen die Ramones oder The Clash aus den Lautsprecherboxen im Auto.
Sicherlich gibt es nicht die Punks, auch nicht die Punkväter. Aber als Subkultur definierte sich Punk eben hauptsächlich im Protest gegen eine repressive Moral und herrschende Konventionen, gegen den Staat und die Polizei, weniger gegen das Patriarchat und das Kapitalverhältnis. Unfreiwillig zeigt »The Other F-Word« auch die Oberflächlichkeit vieler Punks. Das Eingangsstück »I Was a Teenage Anarchist« ist flotter Punkpop von Against Me! aus dem Jahr 2010 und feiert Punk als Lifestyle.
Weil die Regisseurin sich an den vermeintlich wilden Kerlen erstmal abarbeiten muss, übersieht sie viel. Sie ist viel zu lange damit beschäftigt, sich und ihrem Publikum zu zeigen, dass Punks fürsorgliche Väter sind. So berücksichtigt sie eine grundsätzliche Frage nicht: Wie kann man seine Kinder erziehen, ohne selbst so zu werden wie die eigenen, autoritären, angepassten Eltern? Ohne allzu sehr patriarchale Geschlechterrollen, gesellschaftliche Hierarchien und herrschende Ideologien zu reproduzieren und sie den eigenen Kindern unterzuschieben?
Ebenfalls nicht thematisiert wird, was die Kinder von der Kritik der Punks an gesellschaftlichen Autoritäten mitbekommen sollen und ob und wann die Väter ihre Kinder damit konfrontieren. Es geht eben eher um Punk als um Subkultur. Dass Punk als Jugendbewegung auch Teil der Vermarktung von Subkulturen ist, wird aus den Interviews mit den Musikern deutlich. Da sie ihren Lebensunterhalt mit Punkmusik bestreiten, müssen sie sich auf der Bühne und in ihren Liedern entsprechend verkaufen: Das sind die Zwänge der Marktwirtschaft. Der Rückgang der CD-Verkäufe hat dazu geführt, dass das Geld hauptsächlich über den Verkauf von Konzerteintrittskarten eingenommen wird. Auch deshalb werden die Touren immer länger und strapaziöser, die Abwesenheit von den Familien immer länger. Und mit über 40 vor einem Teenagerpublikum zu spielen, erhöht die Glaubwürdigkeit auch nicht unbedingt. Das Publikum wendet sich zum Großteil vom Punk ab, wenn es älter wird, und kommt nicht mehr zu den Konzerten. Damit hadern die Musiker einerseits, wollen aber andererseits auch den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien weiter mit dem bestreiten, was sie können: guten Punk spielen. Aber die langen Touren lassen sich nur schlecht mit einem Leben mit Kindern vereinbaren. Es ist eben doch etwas anderes, beim Skypen zu fragen, wie denn der Tag der Tochter war, die mit der Mutter weit weg zu Hause sitzt, als einen gemeinsamen Alltag zu haben.
Wunderbar ist die Szene, in der Tim McIlrath, Sänger und Gitarrist von Rise Against, mit seiner Tochter Blythe zur akustischen Gitarre singt. Sie, noch keine zehn, ist hin- und hergerissen zwischen ihrem Brötchen und dem Singen. Tim McIlrath spielt ihr »Ready To Fall« vor. Später singt er dasselbe Stück mit seiner Band auf der Bühne. Flea von den Red Hot Chili Peppers spielt mit seiner Tochter zusammen Klavier und albert rum. Er macht hier die Faxen, nicht die Tochter. Theatralische Punkposen. So spielt er mit den Erwartungen an ihn als Punkmusiker. Flea erzählt, dass ihm durch die Vaterschaft die eigene harte Kindheit wieder ins Bewusstsein gerückt sei. Ihm kommen die Tränen, als er darüber spricht, dass seine Eltern ihm ständig erzählt hätten, wie dankbar er ihnen für alles sein müsse. Mit zwölf Jahren ist er von zu Hause abgehauen.
Art Alexakis, der Sänger der Band Everclear, hat seine Enttäuschungen, seine Verletzungen aus der Kindheit bis hin zu Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt in seinen Liedern ausgedrückt. Im Interview berichtet er, dass er mit Hilfe einer Therapie lerne, wie der Erwachsene, der er heute ist, das Kind von früher trösten könne.
Vernachlässigung, sexuelle Übergriffe, instabile soziale Bindungen: Die Familienverhältnisse, aus denen die Punkmusiker stammen und deren sie sich nun, da sie selbst Väter sind, bewusst werden, erscheinen haarsträubend. Die Regisseurin vermutet, dass die kaputte Kindheit ein wesentliches Motiv für die spätere Rebellion gewesen sei. Sie übersieht dabei, dass es auch für die Kinder aus »guten Familien« mehr als genug Gründe gibt zu rebellieren.
Alle im Film porträtierten Väter versuchen, ihre Kinder zu bestärken und sie unterstützend zu erziehen. Jim Lindberg erzählt, als er jung gewesen sei, habe er gedacht, seine Generation könne die Welt verbessern. Heute denke er, das wichtigste sei, für die Kinder da zu sein, sie besser und freier zu erziehen. Im Laufe der über ein Jahr dauernden Filmaufnahmen haben sich seine Prioritäten verändert: Er will nicht mehr touren und mehr zu Hause sein. Klar ist das auch ein bisschen Poesie für die Kamera. Tim McIlrath redet nicht in der Vergangenheitsform von Rebellion, er engagiert sich in linken Projekten. Windeln und Widerstand, das passt also doch zusammen.

The Other F Word (USA 2011). OmU.
Regie: Andrea Blaugrund Nevins. Studio Canal