Über den Tod einer Berliner Rentnerin nach der polizeilichen Räumung ihrer Wohnung

Räumungsfähig bis zum Tod

Die Verwertung des Werts kostet manche Mieter ihre Wohnung. Eine schwerbehinderte Berliner Rentnerin hat sie das Leben gekostet.

»An gebrochenem Herzen« sei Rosemarie F. gestorben, schrieb der Berliner Kurier. Dabei ist die Todesursache noch gar nicht bekannt, die Frau soll erst noch obduziert werden. Bekannt ist hingegen, wie ihre letzte Lebenszeit verlief: Die schwerbehinderte 67jährige Berliner Rentnerin wurde am 9. April mit Hilfe eines Aufgebots von 140 Polizisten aus ihrer bisherigen Wohnung vertrieben. Es war der dritte Räumungsversuch, Räumungsgegner konnten die vorherigen Versuche vereiteln. Zwei Tage nach der Räumung starb Rosemarie F. in einer Kältestube.
F. habe zurückgezogen gelebt, die Wohnung verkommen lassen, den Kontakt mit der Vermieterin sowie mit dem Sozialamt verweigert, so dass dieses daraufhin die Mietzahlungen ausgesetzt habe, ist in der Presse zu lesen. Es ist unklar, ob der Mietrückstand oder die Tatsache, dass Nachbarn sich häufig über »Gestank« und das »Herumspielen an den Gasleitungen« beschwert hätten, wie Spiegel Online berichtete, der Grund für die Räumung war. Und es ist ebenso unerheblich wie die Frage, ob die Vermieterin das Geld oder das vermeintliche Wohl der Nachbarschaft im Blick hatte. Der Skandal bleibt: Eine alte, behinderte Frau wird auf die Straße gesetzt und stirbt kurz darauf.
Dieser Skandal sollte in allen Details geschildert werden. Denn nicht nur stellte das Sozialamt die Mietzahlung ein, obwohl die Behörde um den geistigen Zustand von Rosemarie F. wusste. Dem für die Räumung zuständigen Gericht lag zudem ein Attest vor, in dem ihr »Räumungsunfähigkeit« bescheinigt wurde. Das Gericht erkannte das Attest jedoch nicht an, weil es nur von einem Allgemeinarzt ausgestellt worden war. Es ließ das Eigentumsrecht durchzusetzen, wie es in der derzeit gängigen, auffallend vermieterfreundlichen Gerichtspraxis üblich ist.
An solchen Fällen zeigt sich, welche Aufgabe des bürgerlichen Staats den Vorrang hat: Um die Verwertung des Wertes zu gewährleisten, muss er die Eigentumsrechte schützen. Damit der kapitalistische Laden läuft, muss das wohlklingende Beiwerk, der vermeintliche Schutz der Schwachen, dran glauben, in diesem Fall: eine alte, behinderte Frau.
Entsprechend wütend sind die Reaktionen. Überall in Berlin finden sich kleine Schilder oder große Transparente, die Rosemarie F. gedenken. Am Wochenende demonstrierten über 1 ooo Menschen. Online sind unter annähernd jedem Ar­tikel zum Thema zornige Kommentare zu finden, in denen von »Hartz-Mord« oder »Klassenjustiz« die Rede ist. Dominic Grasshoff, der Gründer der »Kältenothilfe«, in der Rosemarie F. gestorben war, veröffentlichte ein Video auf Youtube, in dem er wütend Tränen vergießt, Revolution fordert und den Schuldigen droht.
Das revolutionäre Pathos mag abschrecken, ebenso wie die linke Neigung, Tote zu Symbolfiguren für die große Sache zu machen. Doch die Radikalisierung könnte etwas Gutes haben: Sie könnte dazu motivieren, den Fall tatkräftig und mit Nachdruck zu skandalisieren. Und vielleicht denkt mancher Richter in Zukunft doch lieber zweimal nach, bevor er eine alte, kranke Frau aus ihrer Wohnung werfen lässt.