Die Wirtschaftslage in Irland

Tiger im Glück

Im Gegensatz zu Zypern ist der Finanz­standort Irland auf Kosten seiner Bevölkerung erhalten worden, weil das dort investierte europäische Kapital nicht entwertet werden durfte.

Ausgerechnet in Dublin wurde am Freitag vergangener Woche das Hilfspaket für Zypern in Höhe von insgesamt 23 Milliarden Euro, von denen neun Milliarden aus dem europäischen »Rettungsschirm« ESM kommen sollen, endgültig verabschiedet. Eine Milliarde Euro wird der Internationale Währungsfonds (IWF) zuschießen, für den Rest muss Zypern vor allem durch die Beteiligung seiner vermögenden Bankkunden selbst aufkommen. Auch wenn der Ort der Entscheidung den Umständen geschuldet war – turnusgemäß hat Irland zu Jahresbeginn die EU-Ratspräsidentschaft von Zypern übernommen –, so hätte er kaum symbolträchtiger sein können: In dem Land, das zuerst unter den sogenannten Rettungsschirm musste, werden die Weichen für das nach Irland, Griechenland und Portugal jüngste in die Krise geratene Mitglied der Eurozone gestellt. Nicht, dass anzunehmen wäre, Zypern könnte Europas letzter Krisenfall sein – mit Slowenien und Italien kündigen sich die nächsten Kandidaten bereits an. Doch angesichts der offensichtlichen Ähnlichkeiten zwischen den beiden ehemaligen Wunderkindern der Eurozone und ihrem unvermittelten Fall ist der völlig verschiedene Umgang mit ihnen immerhin so bemerkenswert, dass der Nachrichtensender N-TV von einer »Euro-Rettung der anderen Art« sprach und viele Kommentatoren eine Wende in der Stabilisierungspolitik innerhalb der EU sehen: Stand bisher die Verhinderung jeglicher Kapitalentwertung im Vordergrund – sieht man von dem letztlich unausweichlichen »Haircut« bei griechischen Staatsanleihen im vergangenen Jahr ab –, ist sie derzeit offensichtlich kein Tabu mehr.

Dublin im Spätsommer 2008: Die grundsätzliche Ausrichtung der Rettungsmaßnahmen für den »keltischen Tiger« soll panisch innerhalb von nur sechs Minuten beschlossen worden sein, als der damalige Ministerpräsident Brian Cowen und die mit ihm konferierenden Minister und Berater sowie der Zentralbankgouverneur am Abend des 29. September den völligen Zusammenbruch des irischen Finanzsektors vor Augen hatten. »Es ging darum, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten«, hat später einer der Anwesenden, der lieber anonym bleiben wollte, der Zeit mitgeteilt. In ihrer Not wandten sie sich per E-Mail an die Zentrale der US-Bank Merrill Lynch, deren Berater bereits seit Tagen im Auftrag des irischen Kabinetts das Unausweichliche abzuwenden versuchten. Eben sechs Minuten später soll die Antwort gekommen sein, die die Richtung vorgegeben habe. »Wichtig ist es jetzt«, hieß es dort, »die Interessen der Bankkunden zu schützen, um eine Massenpanik zu verhindern.« »Aus Marktperspektive die größte Wirkung« habe eine vollständige staatliche Garantie aller bei irischen Banken liegenden Einlagen, gaben die Verantwortlichen in New York der irischen Regierung mit auf den Weg.
Diesen Weg haben die irischen Regierungen seither im Bund mit den von Deutschland dominierten Institutionen der Euro-Zone und der EU auch beschritten. Ebenso wie der Aufstieg Zyperns war der Irlands vom »Armenhaus Europas« zum »keltischen Tiger« eng an die Finanzindus­trie geknüpft. Als Cowen am Morgen des 30. September bekanntgab, dass »mit sofortiger Wirkung eine staatliche Garantie für Spareinlagen, Anleihen und Schuldverschreibungen aller Art« gelte, die bei irischen Banken lagern, betraf dies insgesamt fast 400 Milliarden Euro – mehr als das Zweieinhalb­fache des irischen Bruttoinlandsprodukts. Im Ergebnis kostete das den irischen Staat fast 64 Mil­liarden Euro und ließ die Staatsverschuldung innerhalb kürzester Zeit von 45 Prozent im Jahr 2008 auf über 106 Prozent im Jahr 2011 anwachsen. Bis zur endgültigen Tilgung der Kredite im Jahr 2030, so hat die irische »Bürgerkampagne für Schuldengerechtigkeit« errechnet, werden annähernd 30 Prozent der irischen Wirtschaftsleistung in die Bankenrettung geflossen sein. Höhere Steuern, niedrigere Löhne und Beschränkungen bei den Renten und Sozialleistungen sind die Folgen der Rettung des Kapitals vor der Entwertung.
Allein 135 Milliarden Euro, für deren Garantie die irischen Steuerzahler nun aufkommen müssen, stammten 2008 von deutschen Banken. Seit 2003 hatten sich die deutschen Einlagen in Irland mehr als verdreifacht. Angelockt durch den niedrigen Unternehmenssteuersatz von 12,5 Prozent – auch hier ist die Analogie zum zyprischen Modell augenfällig –, wurde Irland zu einem der größten auswärtigen Anlageplätze für deutsches Kapital. Als Irland dann im November 2011 unter das Dach der EFSF, der Vorgängerin des ESM, flüchten musste, forderte auch die deutsche Bundesregierung, dass es »keine Überraschungen für die Märkte geben« dürfe. Im Klartext: Das Kapital musste gesichert werden. Im Ergebnis hat nicht etwa europäisches Geld Irland gerettet, sondern die irische Bevölkerung wird in den kommenden Jahren europäisches und vor allem deutsches Kapital gerettet haben. Die Frage, ob deutsche Banken von den Sparmaßnahmen in Irland profitiert hätten, beantwortete zuletzt Lucinda Creighton, Europaministerin der neuen Regierung in Dublin, eindeutig: »Da würde ich nicht widersprechen.« Der in Harvard lehrende Wirtschaftswissenschaftler Henrik Enderlein, der im Auftrag des Think Tank »Notre Europe« im Frühjahr 2012 eine Studie zur Zukunft des Euro-Raums herausgegeben hat, hat auf die »implizite Haftungsgarantie« der Bundesregierung für die deutschen Großbanken verwiesen, die sich auch in der Europa-Politik wiedergefunden habe.

Dass sich die in Europa dominierende Bundesregierung im Fall Zyperns für die Entwertung entschieden hat, liegt offensichtlich darin begründet, dass es sich primär nicht um deutsche und europäische Milliarden handelte, sondern um russische. »Jeder Fall eines Mitgliedsstaates stellt sich anders dar«, verkündete Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble angesichts des paradigmatischen Wechsels der Stabilisierungspolitik im Falle Zyperns. Vorbereitend wurde im November des vorigen Jahres ein Papier des Auslandsgeheimdiensts BND in der Presse bekanntgemacht, wonach Zyperns Banken vor allem als Geldwaschanlage für superreiche Russen fungierten. Innenpolitisch konnte sich die Bundesregierung der Unterstützung seitdem sicher sein. Die Beschlüsse vom März hätten, so der zyprische Ökonom Zenon Pophaidis in der April-Ausgabe von Le Monde Diplomatique, »eindeutig auf die Zerschlagung des zypriotischen Finanzsektors« gezielt, der für die Wettbewerbsfähigkeit des Euro-Raums offensichtlich keine Bedeutung hat.
In Dublin sind die Eliten dankbar für den Erhalt ihres Finanzstandorts. »Es gibt keine Blaupause für alle Länder, aber für Irland war unser Weg der richtige«, betonte Creighton im März in einem Interview mit der FAZ, dem Hausblatt des deutschen Kapitals. Die von ihr verbürgte »Sicherheit für die Bürger und Investoren« wird Zypern im Gegensatz zu Irland künftig nicht garantieren können. Augenfällig wurde diese europäische Willkürherrschaft bei der Übergabe der EU-Ratspräsidentschaft von Zypern an Irland am 1. Januar. Während Zyperns damaliger Präsident Demetris Christofias zerknirscht forderte, es müsse anerkannt werden, »dass die in ganz Europa umgesetzten politischen Maßnahmen es nicht geschafft haben, die durch die Krise hervorgerufenen wirtschaftlichen Probleme zu lösen«, verkündete der angesichts des Erhalts des irischen Modells offensichtlich gut gelaunte Ministerpräsident Enda Kenny, sein sich erholendes Land werde »die Erholung in Europa vorantreiben«. Dass dies, so oder so, zu Lasten der ­Bevölkerungen gehen wird, versteht sich von selbst.