Das Bild von Israel in deutschen Schulbüchern

Pädagogik des Ressentiments

Über die Darstellung Israels und des Nahost-Konflikts in deutschen Schul­büchern.

Zu Beginn eine Zusammenfassung des nicht nur deutschen Grundwissens über Israel: Der jüdische Staat stellt »tagtäglich seine Überlegenheit als Besatzungsmacht demonstrativ zur Schau«, indem er »palästinensische Häuser zerstört, palästinensischen Grund und Boden beschlagnahmt, die Palästinenser demütigt und ihnen unmenschliches Leid zufügt«. (1) Grund für diese Anmaßung ist der zutiefst völkische Charakter von Israels Staatlichkeit: »Unter den modernen Staaten hat Israel nicht etwa deshalb eine Sonderstellung, weil es ein jüdischer Staat ist, den irgendwer den Juden missgönnen würde (wie die eher paranoiden Anhänger Israels behaupten), sondern weil es ein jüdischer Staat ist, in dem sich eine Volksgruppe – eben die jüdische – über die anderen erhoben hat. Obwohl heute für einen solchen Staat eigentlich kein Platz mehr ist.« (2) Zu erklären sind diese Brutalität und Israels notorische Sonderrolle historisch, und zwar folgendermaßen: »Unter den Gründern Israels waren viele Juden, die vor dem Nationalsozialismus aus Europa nach Palästina geflohen waren und deshalb nicht einfach ›Zionisten‹ waren, sondern die oft nach traumatischen Erfahrungen (viele hatten nächste Verwandte in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern verloren) die Gründung eines jüdischen Staates als existentielle, überlebensnotwenige Forderung betrachteten, die aus dem Genozid, den die Nazis an Europas Juden verübt hatten, ein unbestreitbares Recht auf Palästina ableiteten und zu Kompromissen mit anderen Ansprüchen nicht bereit waren. Nur hieraus sind Massaker an der palästinensischen Bevölkerung im Zuge des Unabhängigkeitskrieges zu erklären.« (3) Aber trotz dieses traumatischen Urgrundes der israelischen Kompromisslosigkeit und Grausamkeit gibt es seit ein paar Jahren auch kleine Hoffnungsschimmer, denn inzwischen kann man sich »innerhalb des Gaza-Streifens frei bewegen und ist nicht mehr der täglichen Willkür der israelischen Armee ausgeliefert«. (4)
Wem sich bei dieser als unhinterfragbares Tatsachenwissen verkauften antiisraelischen Propaganda, die die Überlebenden der Shoa in zynischer Anerkennung ihrer »traumatischen Erfahrungen« zu Tätern stigmatisiert, die Haare sträuben, an dem ist entweder die deutsche Schulpädagogik gescheitert oder er hat das Glück der frühen Geburt genossen. Denn alle einleitenden Sätze finden sich in aktuellen deutschen Schulbüchern, mit Hilfe derer sich Kinder und Jugendliche hierzulande heute ihre politische Meinung bilden sollen.

Legitimes Wissen

Schulbücher »definieren nicht nur ›legitimes Wissen‹ und wünschenswerte Kompetenzen, sondern vermitteln auch staatlich bzw. gesellschaftlich präferierte Identitätsangebote«, heißt es ganz richtig auf der Website des Georg-Eckert-Instituts, der führenden Einrichtung für Schulbuchforschung in Deutschland mit Sitz in Braunschweig. Um zu erfahren, welche wünschenswerten Kompetenzen Schulkindern in Deutschland heute am Beispiel der Auseinandersetzung mit dem Nahost-Konflikt vermittelt werden sollen und welche Identitätsangebote ihnen im Hinblick auf ihre Einstellung gegenüber dem jüdischen Staat von den Schulen unterbreitet werden, kann man neben den Ergebnissen der deutschen Schulbuchforschung neuerdings auch auf eine Studie des Journalisten und Bloggers Gideon Böss zurückgreifen. In seiner 2011 abgeschlossenen Examensarbeit »Das Israelbild in deutschen Schulbüchern«, deren Ergebnisse der Autor in den vergangenen Monaten in mehreren Zeitschriften und Zeitungen vorgestellt hat, untersucht Böss die Darstellung Israels und des Nahost-Konflikts in heute gebräuchlichen deutschen Lehrbüchern für den Geschichtsunterricht. Der Schulbuchmarkt ist in Deutschland traditionell stark konzentriert. Die drei Verlage Klett, Cornelsen und Westermann teilen sich 90 Prozent des Markts und sind somit neben den Medien und dem Elternhaus die maßgebliche Instanz für die Prägung des Israelbildes der jungen Generation.
Die zunächst überraschend und paradox klingende Schlussfolgerung aus Böss’ empirischer Untersuchung lässt sich so zusammenfassen: Je mehr Platz der Nahost-Konflikt in den Büchern einnimmt, desto mehr Fehler, Verzerrungen und einseitige Verurteilungen Israels finden sich auch darin. (5) Wie sich die Mehrheit der Schulbuchautoren das Verhältnis von legitimem und illegitimem historischen Wissen über Israel vorstellt, mögen einige Beispiele veranschaulichen: Nur in einem einzigen der untersuchten Schulbücher, einem bei Westermann erschienenen, für die 12. Jahrgangsstufe in Bayern bestimmten Geschichtsbuch, wird bei der Darstellung der Vorgeschichte des Nahost-Konflikts auf die politische Verbindung zwischen Mohammed Amin al-Husseini, dem Mufti von Jerusalem, und Adolf Hitler hingewiesen, und selbst dort geschieht dies in verharmlosender Weise. Es heißt nämlich über die Beteiligung des Muftis an NS-Verbrechen lediglich: »Deutschland instrumentalisierte ihn geschickt und der Mufti geriet in den Sog der Nazi-Ideologie.« (6) Darüber, dass al-Husseini selbst einen den Nationalsozialisten sehr ähnlichen Vernichtungsantisemitismus propagierte und Nazi-Funktionäre aktiv dazu überredete, jüdische Kinder nicht als Geiseln auszutauschen, sondern sie ohne Ausnahme zu ermorden, wird in dem Buch kein Wort verloren.
In einem gleichfalls für die 12. Jahrgangsstufe konzipierten Geschichtsbuch des Cornelsen-Verlags heißt es über die israelische Staatsgründung bedauernd: »Die Palästinenser waren (…) zu schwach, so dass sie weder die Gründung Israels verhindern, noch einen eigenen Staat errichten konnten.« (7) Während den Palästinensern durch solche Formulierungen implizit ein unbestreitbares Recht auf Heimat zugestanden wird, wird der jüdischen Bevölkerung das Recht auf einen eigenen Staat abgesprochen. In sieben der zwölf von Böss analysierten Schulbücher wird entsprechend die Vertreibung der Araber (die sogenannte Nakba) im Zuge des israelischen Unabhängigkeitskrieges zum Gegenstand gemacht. Nur in einem Buch hingegen wird in einem Halbsatz erwähnt, dass es zu dieser Zeit auch etwa 800 000 jüdische Flüchtlinge gab, die aus den umliegenden arabischen Ländern vertrieben worden waren. Während nach palästinensischen Angaben 600 000 bis 700 000 Araber im Zuge des Unabhängigkeitskrieges das Land verließen, ist in deutschen Schulbüchern von bis zu einer Million durch Israel Vertriebenen die Rede. Die antiisraelischen Vernichtungsabsichten vieler arabischer Regierungen, die seit der Staatsgründung Israels bestehen, werden hingegen verschwiegen.
Auch die sogenannten drei Neins von Khartum, auf die sich die arabischen Regierungschefs nach dem Sechs-Tage-Krieg einschworen (Ablehnung jeglicher Verhandlungen mit Israel, Verweigerung der Anerkennung Israels als Staat, Ablehnung eines Friedens mit Israel) werden in den Schulbüchern nur selten erwähnt. Stattdessen ist ausführlich von der angeblich widerrechtlichen israelischen Besetzung des Gaza-Streifens und der Westbank die Rede. Die bestehende israelische Zivilgesellschaft wird in den Büchern bei der Darstellung des Landes vollständig ausgeblendet. Als Israelis figurieren darin ausschließlich drei Bevölkerungsgruppen: Siedler, Orthodoxe und Soldaten. Die jüdische Bevölkerung Israels wird so als ein Volk von Kriegern, Besatzern und religiösen Fundamentalisten dargestellt, die auf Probleme fast immer mit Gewalt antworten. Entsprechend wird dem israelischen Staat die Ausübung einer rigiden Militärherrschaft vorgeworfen, durch die »ein ganzes Volk seiner Menschenrechte beraubt« werde. (8) Wenn die Resolution 242 des UN-Sicherheitsrates von 1967, die Israel zum Rückzug aus den besetzten Gebieten auffordert, in den Schulbüchern Erwähnung findet, so wird sie nur bruchstückhaft und falsch referiert. Verschwiegen wird etwa, dass der Abzug der israelischen Truppen aus den besetzten Gebieten dem Resolutionstext zufolge im Gegenzug für die Anerkennung Israels und die Achtung seiner Sicherheit »frei von Bedrohung und Gewalt« geschehen soll.

Aggression und Notwehr

Die Phase vom Ende der sechziger Jahre bis zum Beginn der Intifada wird in den Büchern nahezu gänzlich ausgelassen. So lernen Kinder und Jugendliche aus deutschen Schulbüchern kaum etwas über den Yom-Kippur-Krieg von 1973, über den Friedensschluss in Camp David von 1978 zwischen Anwar as-Sadat und Menachem Begin, den anschließenden Rückzug Israels von der Sinai-Halbinsel und vor allem nichts über die zahlreichen Flugzeugentführungen, Geiselnahmen und brutalen Überfälle palästinensischer Terroristen während dieser Zeit, etwa auf israelische Schulen und Schulbusse. Wenn die Geiselnahme während der Olympischen Spiele 1972 in München in den von Böss untersuchten Büchern überhaupt erwähnt wird, dann ohne den Hinweis, dass dort gezielt israelische Sportler ermordet wurden. Berichte über das blamable Verhalten der deutschen Sicherheitskräfte bei der gescheiterten Befreiungsaktion in Fürstenfeldbruck und über die anschließende Kollaboration der deutschen Regierung mit den überlebenden Terroristen, die noch im selben Jahr zu deren Freilassung aus der Haft führten, fehlen ebenfalls vollständig. Es fällt auch kein Wort über die Flugzeugentführung von Entebbe im Jahr 1976, in deren Verlauf deutsche und palästinensische Terroristen jüdische von nichtjüdischen Passagieren selektierten.
Die Blockadehaltung des damaligen PLO-Chefs Jassir Arafat in Camp David 2000 während der Verhandlungen zum Nahost-Konflikt mit Ehud Barak und Bill Clinton wird in den Schulbüchern ausgeblendet. Stattdessen erfahren die Schüler und Schülerinnen zu den Ursachen der Zweiten Intifada in einem auf keine Jahrgangsstufe festgelegten, also beliebig verwendbaren Unterrichtsmagazin, das der Klett-Verlag gemeinsam mit dem Spiegel-Verlag herausgebracht hat, Folgendes: »Das Wiederaufflammen der Intifada im September 2000 (war eine) Reaktion auf die Sackgasse, in der die PLO angesichts der Unnachgiebigkeit Israels festsaß.« (9) Das bereits erwähnte, im Westermann-Verlag publizierte Geschichtsbuch »Horizonte 12« erklärt zum selben Thema: »Eine zweite Intifada begann 2000, als der konservative israelische Politiker Scharon den Tempelberg besuchte.« (10). Freilich hatte Arafat, als er die Friedensverhandlungen in Camp David trotz der weitestgehenden territorialen Angebote Israels abbrach, also lange vor Scharons Tempelbergbesuch, bereits den Entschluss zur Zweiten Intifada gefasst. Indem jeder Hinweis darauf ausgelassen wird, erscheint die vom Buch beschriebene zeitliche Koinzidenz zugleich als kausale, und es wird nahegelgt, Scharons Besuch sei der Grund der neu ausbrechenden Gewalt gewesen. In einem ebenfalls bei Westermann erschienenen Geschichtsbuch ohne Jahrgangsstufenzuordnung wird die Zweite Intifada ausdrücklich positiv als »Freiheitskrieg des palästinensischen Volkes gegen die seit 1967 bestehende Besatzung« beschrieben. (11)
Wenn Israelis in deutschen Schulbüchern in Form von Zitaten ihre Meinung äußern dürfen, dann fast ausschließlich solche, die eine kritische Haltung zur Politik des jüdischen Staates einnehmen. Die palästinensischen Selbstmordattentate werden in den Schulbüchern nur selten erwähnt. Von der Angst, in die Luft gesprengt zu werden, die israelische Kinder und Jugendliche jahrelang auf dem Weg zum Kindergarten, zur Schule, zu Spielplätzen oder in Restaurants und Diskotheken haben mussten, erfahren Schüler in Deutschland nichts. So kann es auch nicht verwundern, dass ebenso wenig auf die Gründe für den Bau des israelischen Sicherheitszaunes eingegangen wird, durch dessen Errichtung die Selbstmordanschläge immerhin fast vollständig beendet werden konnten. Auch ist nirgends in den Schulbüchern etwas von palästinensischen Eltern zu lesen, die ihre Kinder ermuntern, zu Märtyrern für die palästinensische Sache zu werden. Informationen über die teils gezielte palästinensische Erziehung zum suicide bombing in Schulen, in Fernsehsendungen und über die Indoktrination in Moscheen fehlen ebenfalls in allen Büchern. In keinem der Schulbücher wird der palästinensische Terror überhaupt als ein entscheidendes Hindernis für den Friedensprozess angeführt. Stattdessen wird auch beim Thema Erziehung Israel als warnendes Beispiel beschrieben. Im Unterrichtsmagazin vom Spiegel- und Klett-Verlag heißt es über die Praxis in israelischen Erziehungseinrichtungen: »Die Militarisierung des Denkens fängt in Kindergarten und Schule an.« (12)
Wenn der palästinensische Terror in den deutschen Schulbüchern dennoch thematisiert wird, so werden die wirtschaftliche Misere in der Westbank und in Gaza sowie die durch israelische Blockaden hervorgerufene soziale und ökonomische Perspektivlosigkeit der Palästinenser als Ursachen für die Verbrechen angeführt. Im Buch »Horizonte 12« erfahren die Schüler beispielsweise, dass Selbstmordanschläge zum politischen Instrumentarium der Palästinenser gehörten, also Teil ihres politischen Unabhängigkeitskampfes seien. (13) In dem Unterrichtsmagazin ist der mechanistische, entpersonalisierende Sprachduktus der Schulbuchautoren verräterisch, etwa wenn in dem zitierten Artikel »Waffen gegen die Angst« der Titel nahelegt, den Palästinensern ständen, um sich gegen die israelischen Zumutungen zur Wehr zu setzen, keine anderen »Waffen« als eben Selbstmordanschläge zur Verfügung. Während der jüdische Staat den Autoren zufolge in kühler Berechnung auf den Terror setzt, gilt dieser bei Palästinensern als »Notwehrakt«. Die einseitige Verurteilung Israels wird Schülern durch den stereotypen Gebrauch von Aktiv- und Passivwendungen auch sprachlich vermittelt. So »ermorden« die Israelis stets ihre Opfer, während man durch Palästinenser nur »umkommt«. (14)
Oft werden überdies wichtige Erklärungen und Hintergrundinformationen unterschlagen. So heißt es in einem bei Klett erschienenen Geschichtsbuch für die 8. Jahrgangsstufe lapidar: »Unter Rabins Nachfolgern geriet der Friedensprozess wieder ins Stocken.« (15) Die Frage, warum der Friedensprozess ins Stocken geriet, wird nicht gestellt, geschweige denn die von der Hamas entfesselte Gewalt als Ursache benannt. Die Hamas wird in keinem der Schulbücher als Terrororganisation bezeichnet. Passagen der Hamas-Charta, die zur Vernichtung Israels aufrufen, werden verschwiegen. Auch falsche Gleichsetzungen werden vorgenommen: »Jüdische wie palästinensische Extremisten versuchen mit Terroraktionen den Friedensprozess umzukehren.« (16) Wiederholt wird Israel in den Schulbüchern in die Nähe eines Apartheidstaates gerückt, was sicher auch ein Erfolg der deutschen Linken ist, in deren Reihen die Gleichsetzung Israels mit einem rassistischen Regime sich seit jeher großer Beliebtheit erfreut und deren personeller und ideologischer Einfluss bei der Konzeption zumindest aktueller deutscher Schulbücher wohl ohnehin nicht unterschätzt werden sollte. Auch Verschwörungstheorien fehlen in den Büchern nicht. So heißt es in der erwähnten Veröffentlichung im Cornelsen-Verlag für die 12. Jahrgangsstufe, die Teilung des einstigen britischen Mandatsgebietes Palästina sei eine »Idee« gewesen, die »für die von der zionistischen Propaganda bearbeitete westliche Welt gerecht und vernünftig zu sein schien«. (17)

Sach- und Quellentexte

Bereits 1985 wurde von einer deutsch-israelischen Schulbuchkommission unter Leitung des Georg-Eckert-Instituts eine Schulbuchanalyse durchgeführt. Deren Ergebnisse wurden 1992 noch einmal in einer erweiterten Auflage des Berichts veröffentlicht. Die Forscher kritisierten damals bereits »die Gefahr einer neuen Stereotypenbildung« durch eine »exemplarisch-isolierte Darstellung Israels in deutschen Schulbüchern« und empfahlen eine Gesamtdarstellung über Israel anstelle der Reduktion der israelischen Geschichte auf den Nahost-Konflikt. (18) Überdies kritisierten sie, dass einige Schulbücher »eindeutig die arabische Position beziehen, ohne ihr (…) irgendwelche Gegenargumente aus israelischer Sicht gegenüberzustellen«. (19)
Folgt man der Untersuchung von Böss, so hat sich trotz der damaligen Empfehlungen der Schulbuchkommission an die Kultusministerkonferenz und die Schulbuchverlage an der Präsentation Israels in deutschen Lehranstalten in den vergangenen 20 Jahren offensichtlich nichts verbessert. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die damalige Kritik der deutsch-israelischen Schulbuchkommission positive Auswirkungen auf die Gestaltung der Lehrbücher hatte. Ganz im Gegenteil. Im Gegensatz zu den achtziger Jahren wird der Nahost-Konflikt in den aktuellen Schulbüchern weitgehend geschichtslos und nicht einmal als Teil eines historischen Prozesses dargestellt. Mehrere Themen, die von der deutsch-israelischen Schulbuchkommission in den achtziger Jahren noch lobend erwähnt wurden, sind heute in den Büchern nicht mehr zu finden. So werden die Suez-Krise, der Sechstagekrieg und der Yom-Kippur-Krieg in den aktuellen Schulbüchern fast gänzlich ignoriert. Besonders auffallend ist die Kontinuität der Versuche, Israel als Konfliktherd und nicht als demokratischen Staat darzustellen, sowie das Bemühen, Palästinenser ausschließlich als Opfer zu präsentieren und dort, wo dies unmöglich ist, ihre Verbrechen zu verharmlosen und Israel als Hauptschuldigen für das Scheitern des sogenannten Friedensprozesses anzuklagen. Eine faire Beurteilung von Israels Politik findet in deutschen Schulbüchern nicht statt. Außer dem Milieu der Siedler, orthodoxen Juden und Soldaten werden keine der vielfältigen Facetten des Landes gezeigt. Es fehlt jeder Hinweis darauf, dass Israel eine liberale Demokratie ist, die von antisemitischen Gruppen und Regierungen bekämpft wird, die sich explizit den Tod aller Juden zum Ziel gesetzt haben. Während die jüdische Geschichte in den Schulbüchern eine Opfergeschichte ist, erscheint die israelische als Tätergeschichte. (20)
Gideon Böss ist von einigen Schulbuchexperten, etwa von Peter Schell, dem Geschäftsführer des Westermann-Verlags, vorgeworfen worden, er habe in seiner Analyse nur unzureichend zwischen Quellen- und Sachtexten unterschieden, also zwischen den Darstellungen der Lehrbücher selbst und den in ihnen als Material zitierten Quellen. Mit dieser Infragestellung des wissenschaftlichen Anspruchs wurde eine notwendige Debatte noch vor ihrem Beginn stillgestellt. Der Vorwurf geht von der Annahme aus, dass in den Sachtexten der Verlage ein objektives Bild des Nahost-Konflikts gezeichnet werde und nur in den zitierten Quellen, etwa in den Darstellungen palästinensischer Autoren, israelfeindliche Äußerungen zu finden seien. Bei näherer Betrachtung fällt dieser Vorwurf auf die Schul­buchexperten selbst zurück. Denn in kaum einem der untersuchten Schulbücher wird überhaupt deutlich zwischen Sach- und Quellentexten unterschieden. Die wenigen Sachtexte sind zumeist, wie ausgeführt, lücken- und fehlerhaft und haben für die Erhellung der Ursachen und Hintergründe des Konflikts kaum einen Wert. Die unzähligen Quellentexte werden dagegen nach dem in Deutschland beliebten Prinzip verwendet, sich, da man Israel hierzulande vorgeblich nicht offen kritisieren darf, hinter qua Zitat herangezogenen Kronzeugen zu verstecken. Exemplarisch hierfür ist das erwähnte Unterrichtsmagazin »Nahost. Der Kampf um das Heilige Land« vom Spiegel-Verlag und von Klett. Dieses Heft für den Schulunterricht, das seit 2009 jährlich neu aufgelegt wird, ist eine einzige große Quellensammlung, nur gelegentlich begleitet von fragwürdigen Sachspalten.
Die Autoren der Quellentexte stellen ein Who is Who der in Deutschland gefeierten »Experten« für Israel-Kritik dar, von Tony Judt über Uri Avnery und Volker Perthes, Amira Hass und Gisela Dachs bis zu Helga Baumgarten. Zwar fehlen auch David Grossmann, israelischer Schriftsteller und Träger des Friedenspreises des deutschen Buchhandels, Yaacov Lozowick, ehemaliger Archivdirektor der Gedenkstätte Yad Vashem und Autor des Buches »Israels Existenzkampf«, sowie Henryk M. Broder nicht, so dass sich das Unterrichtsmagazin den Anschein einer ausgewogenen Autorenzusammenstellung geben kann. Nach der Lektüre der von den drei Autoren ausgewählten Beiträge ergibt sich jedoch ein anderer Eindruck. Keiner ihrer Texte enthält Argumente gegen die Vorhaltungen, Vorurteile und Ressentiments der übrigen Autoren gegenüber dem jüdischen Staat. Während von Lozowick nur ein paar karge Zeilen über die mühsamen Landkäufe der ersten zionistischen Siedler abgedruckt sind, spricht Grossmann in seinem Essay eine allgemeine Friedenssehnsucht aus und erweckt den Eindruck, als hätten Israelis und Palästinenser gleichermaßen unter dem Selbstmordterror gelitten, was gut mit der deutschen Ideologie des Friedens in Bezug auf den Nahost-Konflikt harmoniert. Und Broder stellt sogar mit den Worten »Ob es freilich eine gute Idee war, Millionen von Juden an einem Ort zu konzentrieren, ist eine noch unentschiedene Frage« (21) vor dem Hintergrund eines durchaus nachvollziehbaren Pessimismus angesichts des weltweiten Antisemitismus den Sinn der israelischen Staatsgründung in Zweifel, womit seine grundsätzlich proisraelische Haltung durch die dekontextualisierende Auswahl des Zitats in ihr Gegenteil verkehrt wird.
Ob es eine gute Idee von Broder war, seinen Beitrag in einem antiisraelischen Unterrichtsmagazin wiederveröffentlichen zu lassen, bleibt eine Frage, die er noch nicht beantwortet hat. Die Politologin Helga Baumgarten jedenfalls beschreibt die Zielsetzung der palästinensischen Bewegung im selben Magazin als »Beendigung des jüdisch-zionistischen Kolonisationsprojektes«. Den Mufti von Jerusalem bezeichnet sie als »charismatischen und einflussreichen Führer an der Spitze der Bewegung«, der jedoch infolge eines »verhängnisvollen und folgenreichen Aufenthalts im nationalsozialistischen Berlin« (22) einen Karriereknick erlitten habe; das Schicksal meint es nicht gut mit den palästinensischen Revolutionären. Tony Judt beklagt in dem von ihm angeführten Quellentext das Schicksal der nichtisraelischen Juden, die sich gegenwärtig einer dem eliminatorischen Antisemitismus der Nationalsozialisten vergleichbaren Gefahr gegenübersähen: »Heute machen nichtisraelische Juden erneut die Erfahrung, dass man sie wegen etwas kritisiert und attackiert, was sie nicht getan haben. Aber dieses Mal ist es kein christlicher, sondern ein jüdischer Staat, der sie zu Geiseln seiner Handlungen macht.« (23) Mit anderen Worten: Die deutschen Juden und Juden in der Diaspora mögen sich bewusst machen, dass sie, solange es den jüdischen Staat Israel gibt, ihres Lebens nicht froh werden können. Den Staat Israel nennt Judt in diesem Kontext folgerichtig einen »Anachronismus«. Dies ist kein Einzelfall. Auch aus dem Buch des Cornelsen-Verlags erfahren die Schüler über die Existenzberechtigung Israels, »diese Staatsgründung« werde »bis heute in Politik und Wissenschaft kontrovers beurteilt«. (24) Gegen jede Vernunft propagiert Judt sogar die Schaffung eines binationalen Staates als Lösung des Nahost-Konflikts – eine klare Absage an den jüdischen Staat als Zufluchtsort vor dem globalen Verschwörungsantisemitismus.
Als Oberlehrer haben Spiegel- und Klett-Verlag Volker Perthes engagiert, den Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, dem wichtigsten außenpolitischen Think Tank der Bundesregierung. Perthes ist einer der vehementesten Verfechter des »Dialogs« mit der iranischen Regierung des Holocaustleugners Mahmoud Ahmadinejad und lehnt Sanktionen gegen das iranische Regime ab. Als einziger »Experte« zum Nahost-Konflikt bringt er es im Unterrichtsmagazin auf drei Beiträge. So darf er im Kapitel »Perspektive der Israelis« die ausführlichste Stellungnahme abgeben, obwohl er bekanntlich kein Israeli ist. Der einzige Israeli, der in diesem Kapitel zu Wort kommt, ist der unter deutschen Antizionisten stets beliebte Uri Avnery. Perthes wiederum gelingt es, den Schülern in seinen Beiträgen alle Bedrohungen, die sich Israel in den vergangenen drei Jahrzehnten ausgesetzt sah, zu verschweigen, seien dies Flugzeugentführungen, Geiselnahmen, Terroranschläge, Selbstmordattentate, Raketenangriffe von Hamas und Hizbollah oder die Vernichtungsdrohungen Ahmadinejads. Als größtes Hindernis für die Lösung des Nahost-Konfliktes betrachtet Perthes stattdessen die israelischen Siedler. Das suicide bombing wird in dem Band ausschließlich im Kapitel »Perspektive der Palästinenser« thematisiert, und zwar in einem Beitrag der Redakteurin der Frankfurter Rundschau, Inge Günther, über den palästinensischen Märtyrerkult. Dessen Ursachen sieht Günther nicht im eliminatorischen Antisemitismus, sondern in einem »Sumpf aus Armut und Verzweiflung, Hass auf die israelischen Besatzer, Aussichts­losigkeit des Diesseits und religiös verbrämter Todessehnsucht«. (25) Der Beitrag von Günther, der aus dem Jahr 2002 datiert, zeigt die eklatante fehlende Aktualität des Unterrichtsmagazins, auch darin ist er beispielhaft für die meisten der untersuchten Schulbücher. Weder der israelische Rückzug aus dem Gaza-Streifen noch die Geiselnahme Gilad Shalits und die Diskussion über die iranische Atombombe werden ein einziges Mal angesprochen, obwohl das Heft den Schülern alle bedeutenden Aspekte des Nahost-Konfliktes zu erläutern vorgibt.

Antisemitischer Alltag

Das besonders drastische Beispiel des Unterrichtsmagazins vom Spiegel-Verlag und von Klett verdeutlicht die Notwendigkeit, israelfeindliche Lehrmaterialen endlich durch Darstellungen, die ein wahrheitsgetreues Bild des Nahost-Konfliktes zeichnen, zu ersetzen. Optimisten können auf die nächsten Empfehlungen der deutsch-israelischen Schulbuchkommission hoffen. Dieses Gremium deutscher und israelischer Forscher hat sich in den vergangenen Monaten neu konstituiert. Nach Angaben von Dirk Sadowski, einem Mitarbeiter des Georg-Eckert-Institutes in Braunschweig und Mitglied der Kommission, sollen der Kultusministerkonferenz im Jahr 2015 neue Empfehlungen hinsichtlich des Themas vorgelegt werden. Doch wer weiß, in welcher Weise die Empfehlungen der achtziger Jahre verpufft sind, hat keinen Grund zum Optimismus. Durch ihre falschen, unzureichenden und tendenziösen Darstellungen des Nahost-Konflikts tragen die Schulbuchverlage mit ihren Büchern, die Schulen, die diese verwenden, und die Kultusminister, die diesen Zustand zu verantworten haben, eine Mitschuld daran, dass es erhebliche und wachsende Vorurteile und Ressentiments gegenüber Israel in der jungen Generation gibt. Das Wort »Jude« ist auf deutschen Schulhöfen schon lange zu einem alltäglichen Schimpfwort geworden. Nicht nur vielen Schülern mit arabischem Migrationshintergrund gelten »Juden« als dreckig, betrügerisch und geldgierig und Israel als größte Bedrohung des Weltfriedens.
Es besteht durchaus die Gefahr, dass die antisemitischen Ressentiments an den Schulen in einer generellen und offenen Ablehnung von Juden und in antisemitischer Gewalt gipfeln, wie sie sich im vergangenen Sommer auf offener Straße im Berliner Stadtteil Friedenau im tätlichen Angriff einer Gruppe Jugendlicher auf den Rabbiner Daniel Alter und den Todesdrohungen gegenüber seiner kleinen Tochter manifestiert hat. Um dem Antisemitismus und Antiisraelismus in den jugendlichen Communities im Rahmen der engen Grenzen, die ihnen ihr Status als Staatsbeamte ohnehin setzt, etwas entgegenzuhalten, dürfen Lehrer nicht davor zurückschrecken, konfliktreiche Inhalte wie die Geschichte und Gegenwart des Nahost-Konflikts im Unterricht ausführlich zu behandeln. Greifen sie dabei aber weiterhin auf die vorhandenen Schulbücher zurück, werden sich die Ressentiments wohl noch verstärken. Deshalb ist eine umfassende Veränderung der Vermittlung des Israel-Bildes in den Schulen unerlässlich. Wie es aussieht, sind dazu jedoch weder die Schulbuchverlage noch die Kultus- und Bildungsministerien bereit.

Anmerkungen
(1) Wunderer/Hartmann: Thema Geschichte. Islam und die westliche Welt, Westermann-Verlag, Hannover 2003, S. 176
(2) Tony Judt: Israel. Die Alternative, in: Unterrichtsmagazin Nahost. Der Kampf um das Heilige Land, Spiegel-Verlag, Hamburg/Klett-Verlag, Leipzig 2012, S. 31f.
(3) Baumgärtner/Rogger/Weigand: Horizonte 12, Westermann-Verlag, Braunschweig 2010, S. 163
(4) Karim el-Gawhary: Ein Streifen ohne Hoffnung, in: Unterrichtsmagazin Nahost., S. 44
(5) Gideon Böss: Die Darstellung des Nahost-Konfliktes in deutschen Schulbüchern, unveröffentlichte Examensarbeit, Universität Potsdam, 2011, S. 79
(6) Baumgärtner u. a., S. 149
(7) Rudolf Berg: Forum Geschichte 12, Cornelsen-Verlag, Berlin 2007, S. 174
(8) Gadi Taub: Zwei Nationen, in: Unterrichtsmagazin: Nahost, S. 17
(9) Georges Corm: Wie hätte die Hamas verlieren sollen?, in: Unterrichtsmagazin Nahost, S. 42
(10) Baumgärtner u. a., S. 163
(11) Wunderer/Hartmann, S. 179
(12) Andrea Nüsse: Waffen gegen die Angst, in: Unterrichtsmagazin Nahost, S. 24
(13) Baumgärtner u. a., S. 164
(14) Böss, S. 78
(15) Carsten Loth: Zeitreise 3, Klett-Verlag, Leipzig 2006, S. 214
(16) Loth, S. 214
(17) Berg, S. 171
(18) Böss, S. 88
(19) Böss, a. a. O., S. 91.
(20) Böss, S. 89 ff.
(21) Hendryk M. Broder: Eine nationale Frage, in: Unterrichtsmagazin Nahost, S. 10
(22) Helga Baumgarten: Das Scheitern, in: Unterrichtsmagazin Nahost, S. 13
(23) Judt, S. 32
(24) Berg, S. 169
(25) Inge Günther: Selbstmordattentäter, in: Unterrichtsmagazin Nahost, S. 39