Warnstreik bei angestellten Lehrern

Der Primat der Bezahlung

Die Arbeitsbedingungen für angestellte Lehrer sind hart. Die Gewerkschaft Er­ziehung und Wissenschaft möchte das ­ändern und fordert einen einheitlichen Tarifvertrag.

»Wer soll nun die Kinder lehren und die Wissenschaft vermehren?« fragt Wilhelm Busch den geneigten Leser in einem Vers. Vor über 150 Jahren waren es Max und Moritz, die den Lehrer Lämpel außer Gefecht setzten, so dass die Bildung vorübergehend Pause machte. Heutzutage sind es nicht allein aufmüpfige Kinder, die die Nerven angestellter Lehrer strapazieren. Die wachsenden Einkommensunterschiede machen angestellte Lehrer wütend, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Berlin rief deshalb diese Woche zu einem ganztägigen Warnstreik auf.

Berlin eignet sich neben Sachsen in besonderem Maß, um die Situation der angestellten Lehrer zu verdeutlichen, da in beiden Ländern ein hoher Prozentsatz der Pädagogen nicht verbeamtet, sondern angestellt ist. »Berlin hat sich 2004 von der Verbeamtung der Lehrer verabschiedet«, sagt Doreen Siebernik, Vorsitzende der GEW Berlin. Seitdem arbeiten Berufseinsteiger nur noch als Angestellte und werden nach dem Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) bezahlt. Derzeit gibt es in Berlin etwa 30 000 Lehrer, 8 000 davon sind Angestellte. In den anderen Bundesländern sieht es ähnlich aus, so dass mittlerweile über 200 000 Lehrer in Deutschland keine Beamten, sondern Angestellte sind.
Häufig sind es Krankheiten, Übergewicht oder zu hohes Alter, die als Ausschlusskriterium für eine Verbeamtung in Frage kommen. In Berlin war es ein politisches Vorhaben, durch die Aussetzung der Verbeamtung die Ausgaben zu senken. Das Land spart sich so nämlich langfristig die teuren Beamtenpensionen. Für die angestellten Lehrer bedeutet diese Eingruppierung ein im Vergleich deutlich geringeres Einkommen. Zwischen 600 und 800 Euro liegt dieses Einkommen im Bundesdurchschnitt unter dem der Beamten. Die GEW hat errechnet, dass angestellten Lehrern während ihres Berufslebens bis zu 120 000 Euro entgehen – bei gleicher Arbeit.
Kein Wunder, dass Junglehrer häufig in die an Berlin angrenzenden Bundesländer wechseln und sich dort verbeamten lassen. Dabei sind sie in Berlin im Bundesdurchschnitt noch einigermaßen gut gestellt. Denn der Stadtstaat ordnet die jungen Pädagogen gleich zu Beginn in die höchste Gehaltsstufe ein, um den Abwanderungstendenzen entgegenzuwirken.
Die Regel ist diese Eingruppierung jedoch nicht. »Es gibt keinen einheitlichen Tarifvertrag für angestellte Lehrer. Jedes Land verfährt anders und aufgrund des fehlenden Vertrages kann der Arbeitgeber die Eingruppierungen auch jederzeit senken«, sagt Siebernik. So kommt es in Deutschland zu Einkommensunterschieden bei den angestellten Lehrern bis zu 1 000 Euro. Die GEW fordert aus diesem Grund in der derzeitigen Aus­einandersetzung einen bundesweit verbindlichen Tarifvertrag für die Angestellten und die automa­tische Einstufung in den TV-L 13. Bislang speist beispielsweise Berlin seine Grundschullehrer mit der Entgeltgruppe 11 ab, andere Bundesländer verfahren ähnlich. Und bei Länderwechseln muss man sich unter Umständen bei gleicher Arbeit auf ein geringeres Einkommen einstellen.
Durch die Androhung eines Warnstreiks wollte die GEW die Arbeitgeberseite in Berlin zu Verhandlungen bewegen. Doch Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) ließ durchblicken, er sehe keinen Verhandlungsspielraum für die Forderungen der Gewerkschaft. Zugleich reichte er beim Arbeitsgericht einen Antrag auf einstweilige Verfügung auf Unterlassung des Streiks ein. Die GEW ging fest davon aus, dass ihr Streikaufruf den Vorgaben entsprach. Es soll zunächst bei einem Warnstreik bleiben. Davon waren auch einige Abiturienten betroffen, die genau an dem Tag ihre Prüfungen ablegten. Die GEW hatte auf einer Pressekonferenz und in einer Pressemitteilung um Verständnis dafür gebeten, dass der Streik eventuell auch Prüflinge treffen könnte. Dennoch wollte die Gewerkschaft an ihren Plänen festhalten, um endlich mehr Druck für Verhandlungen aufzubauen.
Die Arbeitsniederlegung in Berlin soll nur der Anfang für eine bundesweite Kampagne sein, schließlich betrifft der fehlende Tarifvertrag alle angestellten Lehrer. Die GEW plant Mitte Mai eine Aktionswoche zu dem Thema. Bundesweite Veranstaltungen sollen danach folgen. »Neben der Schaffung eines einheitlichen Tarifvertrages mit der verbindlichen Einsortierung in die Entgeltgruppe 13 fordern wir auch eine altersgerechte Entlastung, um gerade ältere Kollegen vor Überlastung zu schützen«, sagt Siebernik. Darüber hinaus möchte die GEW die Arbeitgeber auch dazu bringen, mit Zulagen, die der TV-L vorsieht, die Einkommensunterschiede gegenüber den verbeamteten Lehrern zumindest zu verkleinern. Für die GEW passt die politische Rhetorik vom »Primat der Bildung« nicht zu den immer weiter sinkenden Gehältern. Die Arbeitsbedingungen in Metropolen wie Berlin seien zudem wegen der immer schwierigeren Schülerschaft noch einmal bedeutend härter als in Flächenstaaten. »In Berlin gibt es schon jetzt 30 Grundschulen ohne Schulleitung. Für das wenige Geld mehr möchte niemand den Knochenjob machen«, so Siebernik.