Lauf in Puschen

Berlin Beatet Bestes Folge 190. Joco-Dev-Sextett: Stapellauf (1971).

Diese Single habe ich vorige Woche für einen Euro im Trödelladen gekauft, und zwar nicht nur wegen des Bandnamens. Mit Jörg Schenkel, dem Bassisten von Joco-Dev, hatte ich mir vor einigen Jahren mal hin- und hergeschrieben, nachdem ich die erste Joco-Dev-Flexi auf meinem Blog gepostet hatte. Jetzt lege ich zu Hause diese Single auf und »Stapellauf« haut mich aus den Schuhen. Oder Puschen, zu Hause trage ich so ganz abgerockte, löchrige Vans-Slipper-Puschen. Jedenfalls blasen mir die Joco-Devs Sabbath-mäßig entgegen. Fette Fuzzgitarre, psychedelisch wabernde Orgel, schwere wirbelnde Beats, und dann setzt der Gesang ein, und es ist Hamburger Schule! 1971, lange bevor es die Hamburger Schule gab. Der Vortrag und der Text hören sich aber sowas von genau nach Hamburger Schule an, ich wette, wenn ich euch die Platte jetzt vorspielen könnte, ihr könntet nicht sagen, wann die Musik aufgenommen wurde:

Neue Schiffe – Stapellauf. / Arbeit – Monate davor. / Er geht niemals von allein / Und dann – sind es Sekunden nur. / Davor – Monate davor, / Jahre dann – Jahre Fahrt danach. / Eben – eben noch ein Ziel, Anfang – Anfang ist er schon. / Neue Schiffe – Stapellauf. / Schöner – schöner Augenblick, / Der Augenblick geht schnell vorbei.

Das klingt auch so, als wäre es der erste deutsche Heavy-Metal-Song. Warum kannte ich den bisher nicht? »Stapellauf« ist sowohl sehr heavy als auch sehr deutsch. Die seltsame Sprache hatte der Ost-Rock ja mit der sogenannten Hamburger Schule gemeinsam. Die merkwürdig verschwurbelte Proletenpoesie der Ostler ähnelt der verzweifelt-metaphernhaften Oberschülermelancholie der Hamburger. Gepaart mit schwerem Rock ergibt das irgendwie ähnlich klingende Resultate. Bei »Stapellauf« klingen die Joco-Devs jedenfalls mehr nach Black Sabbath als alle anderen deutschen Bands im Jahr 1971, die ich bisher gehört habe. Weder Ton Steine Scherben noch die Rattles in ihrer Hard-Rock-Phase, noch sonst irgendwelche Krautrocker können da mithalten. Und hört mir auf mit den Puhdys und Udo Lindenberg.
Leider ist der Song bisher nur auf diversen Ost-Rock-Samplern wiederveröffentlicht worden, wie zuletzt 2003 auf der CD »Die Dt64 Story Volume 15«. Dort hat er, vergraben unter vielen anderen Titeln, bisher nicht die Würdigung erfahren, die ihm innerhalb der deutschen Rockgeschichte zusteht. Eine komplette Wiederveröffentlichung aller Joco-Dev-Titel ist nur auf der Website von Jörg Schenkel zu bestellen. Die zuerst entstandene Rundfunkversion von »Stapellauf«, die immer mal wieder jemand auf Youtube hochlädt, bis der automatisch programmierte Copyright-Widerspruch interveniert, ist leider auch nicht die Version, die ich auf meiner Single gehört habe. Der im Amiga-Tonstudio in der Brunnenstraße in Berlin aufgenommene Titel wirkt erheblich dichter und überrascht durch ein plötzlich einsetzendes Metal-mäßges Schlagzeug. Ihr müsst mir wohl einfach glauben, dass sich »Stapellauf« hier zu Hause bei mir richtig wild und gefährlich anhört.