Über das »weltoffene Sachsen«

Die Demokratie geht baden

Niemand kann sagen, die sächsische Regierung sei untätig im Kampf gegen Neonazis und für Demokratie. Luftballons werden aufgepustet, Bahnen geschwommen – und tolerante Nazis machen mit.

Nicht nur die Tatsache, dass die NPD in allen Kreistagen vertreten ist, mehr als 70 kommunale Ab­geordnete stellt und seit fast zehn Jahren mit einer eigenen Fraktion im Landtag sitzt, macht den Freistaat Sachsen über seine Landesgrenzen hinaus bekannt. Die Beratungsstellen für Betroffene rechter Gewalt melden jährlich mehr als 200 Angriffe auf Personen. Im ostsächsischen Hoyerswerda empfahl die Polizei im Herbst einem Paar, das sich gegen Nazis engagiert, die Stadt zu verlassen, da man für seine Sicherheit nicht mehr garantieren könne.

Dass solche Begebenheiten außerhalb Sachsens nicht gut ankommen, merkt die Regierung des Bundeslands offenbar. So kündigte das sächsische Staatsministerium des Innern im vergangenen Jahr an, die Mittel für das Landesprogramm »Weltoffenes Sachsen« aufzustocken. Tatsächlich fand jedoch eine drastische Kürzung statt: Der Großteil der Landesgelder ist zukünftig zweckgebunden, für die Unterstützung von Sportvereinen und Feuerwehren. Für Organisationen, die sich gesellschaftskritisch äußern, steht deutlich weniger Geld zur Verfügung als in den Jahren zuvor. Deshalb droht dieses Jahr dem Netzwerk für Demokratie und Courage die Schließung des Leipziger Büros. Trägervereine des Beratungsnetzwerkes für Betroffene rechter Gewalt und der Mobilen Beratung klagen über immer schwierigere finanzielle Bedingungen.
Die Feuerwehren hingegen erhalten mehr Geld. Was sie damit anfangen, konnte man vor zwei Wochen in Hoyerswerda bei der Veranstaltung »Wir für Demokratie – Tag und Nacht für Toleranz« beobachten. Unter dem Motto »Unsere Welt ist bunt, nicht braun« gab es auch einen »Schnuppertag bei der Jugendfeuerwehr« mit dem Ziel der »aktiven Mitgliedergewinnung«. Der inhaltliche Beitrag wurde in der Ankündigung mit den Worten beschrieben: »Es sollen viele bunte Luftballons in den Hoyerswerdaer Himmel aufsteigen.«
Zur gleichen Zeit versammelten sich etwa 15 Neonazis vor dem Büro der Bundestagsabgeordneten Caren Lay (Linkspartei). Sie entrollten ein Transparent mit der Aufschrift »Tschüss Angie, Tschüss BRD«. In den vergangenen Monaten war Lays Büro immer wieder zum Ziel rechtsextremer Angriffe geworden. Zwei Tage nach der Toleranzveranstaltung wurde ein linker Jugendlicher von Neonazis attackiert. Am 20. April, dem Geburtstag Adolf Hitlers, feierten ungefähr 20 stadtbekannte Nazis auf einem Spielplatz, entfachten ein Feuer und lieferten sich Auseinandersetzungen mit der eintreffenden Polizei. Die Naziszene in Hoyerswerda war offenbar unbeeindruckt von den Luftballons der Jugendfeuerwehr.
Und wer weiß, wer da Luftballons aufgeblasen hat? In Wüstenbrand im Kreis Zwickau tauchten Anfang April Fotos auf, die den Feuerwehrmann G. auf einer NPD-Demonstration zeigten. Der Abgebildete trägt ein Shirt mit der Aufschrift »NS«. Wie ein Stadtrat aus der Region der Jungle World sagte, sehe die Feuerwehr keinen Handlungsbedarf, da kein Straftatbestand vorliege.

Auch das sächsische Innenministerium beweist immer wieder ähnliches Fingerspitzengefühl. Bereits im Herbst 2011 sorgte ein Foto des Innenstaatssekretärs Michael Wilhelm für Aufsehen. Gemeinsam mit der Zwickauer Oberbürgermeisterin Pia Findeiß (SPD) überreichte er dem NPD-Kreisrat Jens Gatter im Rahmen der Veranstaltung »Schwimmen für Toleranz und Demokratie« eine Urkunde. Organisierte Neonazis nehmen seit 2010 regelmäßig an dem Schwimmen teil. Angesprochen auf das Bild, sagte der Staatssekretär: »Dann müssen die Demokraten eben schneller schwimmen.« (Jungle World 49/11)
Bei der Schwimmveranstaltung in Döbeln im September 2013 rechnet er ebenfalls mit der Teilnahme von Neonazis. Der Döbelner Allgemeinen sagte der ehemalige Leistungsschwimmer Wilhelm: »Man kann es nicht verhindern, ›Schwimmen für Demokratie‹ ist keine parteiliche, sondern eine bürgerliche Veranstaltung, bei der jeder mitmachen kann, der auf diese Weise ein Zeichen für Demokratie und Toleranz setzen will. Wenn das, wie in Zwickau, auch NPD-Mitglieder demonstrieren wollen – warum nicht.«
Die Oppositionsparteien im sächsischen Landtag sehen darin eine Einladung an die NPD. Kerstin Köditz, Sprecherin für antifaschistische Politik der Linksfraktion im sächsischen Landtag, sagte: »Die Aktion in dieser Form erscheint mir so sinnvoll wie Saufen gegen den Alkoholismus.« Auch die Grünen und die SPD forderten, dass sich das Innenministerium von den Äußerungen seines Staatssekretärs distanzieren solle.
Nach Aussage von Frank Wend, dem Pressesprecher des Ministeriums, erfolgte »keine Einladung an Rechtsextremisten«. Der Jungle World sagt der Sprecher: »Sollten tatsächlich Extremisten die Hose runterlassen und ins Schwimmen geraten, ist der anwesende Stand des Aussteigerprogramms ein fester Haken, an dem sie aus der rechten Szene herausgefischt werden können.«
Auf der Homepage des sächsischen Aussteigerprogramms finden sich keine Hinweise auf einen solchen »proaktiven Ansatz«, wie er in der Antwort des Innenministeriums formuliert wird. Auf der Seite heißt es, dass die Unterstützung sich an Menschen richte, die sich »aus freien Stücken an das Programm« wendeten. Bei den Neonazis, die in den vergangenen Jahren an den Schwimmveranstaltungen des sächsischen Innenministeriums teilnahmen, handelt es sich um gefestigte Kader. Jens Gatter wurde inzwischen zum Direktkandidaten der NPD in Nordsachsen für die kommende Bundestagswahl gewählt. Dass er beim Kraulen urplötzlich mit seiner Gesinnung bricht und sich beim Aussteigerprogramm meldet, ist unwahrscheinlich.
Im März war Gatter zudem eines der NPD-Mitglieder, die im nordsächsischen Oschatz beim Stadtlauf »Oschatz steht auf« an den Start gingen und mit Vertreterinnen und Vertretern demokratischer Parteien um die Wette liefen. Danach amüsierten sich Neonazis im Internet und jubelten darüber, dass ihre Läufer es auf den zweiten und dritten Platz geschafft hatten.

Der Lauf war Teil der sogenannten Aktionswochen gegen Rassismus. Die Erlöse eines Benefizkonzertes, das ebenfalls stattfand, sollen für die Umbettung des 2011 in Oschatz getöteten Obdachlosen André K. gespendet werden. André K. wurde von rechten Jugendlichen in Oschatz zu Tode geprügelt und ohne Beisein seiner Familie in einem Urnensozialgrab beigesetzt. Angehörige sammeln seit einem Jahr Geld, um ihm eine würdevolle Ruhestätte zu beschaffen.