Unterwegs mit Ultras in Zagreb

Mehr als Fußball

Ein Besuch bei der Ultragruppe Bijeli Andeli in Zagreb, die sich gegen Homophobie im Fußball einsetzt.

Der Frühling hat bereits Einzug gehalten in Zagreb. Wo man auch hinsieht in der Innenstadt, sitzen Menschen vor den zahlreichen Kneipen und Cafés, trinken Espresso oder Bier. Es ist, als wäre die ganze Stadt auf den Beinen. Auch im Innenhof des alternativen Kulturprojekts Medika ist einiges los an diesem späten Freitagnachmittag. Das liegt zum einen daran, dass hier gerade das Comic- und Street-Art-Festival stattfindet. Es liegt aber auch an den rund zwei Dutzend Fans des Fußballvereins NK Zagreb, die sich vor dem Heimspiel gegen NK Zadar hier getroffen haben, um noch schnell die eine oder andere Literflasche Bier zu leeren. Es wird gelacht und gescherzt, dennoch liegt eine gewisse Anspannung in der Luft.
Das Medika ist ein ehemals besetztes, mittlerweile legalisiertes Kulturprojekt auf dem Ge­lände einer ehemaligen Medizintechnikfabrik in der Zagreber Innenstadt, gleich neben dem Studierendenzentrum der örtlichen Universität und zu Fuß vielleicht 15 Minuten vom Hauptbahnhof entfernt. Mit seinen Wandgemälden und Graffiti, seinen verschiedenen Räumlichkeiten und der schützenden Mauer, die das Gelände umgibt, wirkt dieser Ort wie eine kleine, gegenkulturelle Festung inmitten des sich rapide wandelnden Zagreb, und in gewisser Weise ist er das auch. Alternative Kultur, politische Selbstorganisation, von der Norm abweichende Lebensentwürfe – all das kommt hier zusammen, und so füllt sich der Hof mit den verschiedensten Menschen, die wohl nicht viel mehr gemeinsam haben als eine gewisse oppositionelle Grundhaltung gegenüber dem Bestehenden, aber ansonsten in so viele subkulturelle Szenen, Strömungen und Jugendkulturen zerfallen wie anderswo auch.

Am Abend zuvor hat hier im Infoladen »Pippilotta« eine Veranstaltung über Homophobie im Fußball mit zwei Aktivisten aus Deutschland stattgefunden. Die meisten, die sich nun im Hof versammelt haben, um ins Stadion zu gehen, waren bei der Veranstaltung mit anschließender Diskussion dabei. Viele von ihnen sind Mitglieder der Ultragruppe Bijeli Anđeli (»Weiße Engel«) oder gehören zu deren Umfeld. Viel Hoffnung macht das, was sie erzählen, nicht. »Unsere Gruppe ist die einzige im ehemaligen Jugoslawien, die sich gegen Homophobie positioniert«, sagt einer von ihnen. »Das größte Problem im kroa­tischen Fußball ist der Nationalismus«, fügt ein anderer hinzu. Überhaupt gebe es in Ex-Jugos­lawien bestenfalls eine Handvoll Ultragruppen, die nicht nationalistisch seien.
Es gibt wenig Grund, an den Worten der jungen Fußballfans zu zweifeln. Allein die Häuserwände in Zagreb sprechen Bände: Kaum ein Straßenzug, in dem nicht wenigstens ein nationalistisches Graffito dort zu sehen ist. Mal ist es der Name eines Generals aus dem Unabhängigkeitskrieg, mal das Symbol der faschistischen Ustascha, oft auch schlicht und einfach ein Hakenkreuz. Nicht selten stehen die Sprühereien Seite an Seite mit Bekenntnissen zu Zagrebs größtem und erfolgreichsten Fußballverein, Dinamo Zagreb. Das ist kein Zufall, denn dessen Fanszene und vor allem seine Ultragruppe, die »Bad Blue Boys«, sind mehr als nur offen gegenüber extrem rechten Tendenzen. Sie sind rassistisch, homophob und von einem klar zum Faschismus tendierenden Nationalismus geprägt. Da scheint es nur passend, dass auch Bayerns Mario Mandžukić, der im vergangenen November einen Treffer gegen den 1. FC Nürnberg mit dem Ustaschagruß gefeiert hat, seinen Durchbruch bei Dinamo Zagreb hatte. Davor jedoch hatte Mandžukić bei Dinamos Lokalrivalen NK Zagreb gespielt, eben jenem Verein, der an diesem Tag gegen Zadar spielt. Von einem Rivalen zu sprechen, wäre jedoch zumindest schmeichelhaft für den NK Zagreb, denn wenn Dinamo überhaupt Rivalen hat, dann Hajduk Split oder Roter Stern Belgrad, der Club, der auch nach dem Ende Jugoslawiens für die Anhänger von Dinamo ein besonderes Hassobjekt bleibt. Der NK Zagreb ist einfach viel zu klein, als dass die Fans von Dinamo ihn ernst nehmen könnten. Einen einzigen kroatischen Meistertitel – errungen im Jahr 2002 – kann Zagreb vorweisen.
Und doch gibt es viele Gründe, den Verein zu lieben – einer der überzeugendsten ist sein Stadion, dessen Charme des Verfalls alle, die vom Arenenallerlei des postmodernen Fußballs gelangweilt sind, fast zwangsläufig in seinen Bann zieht. Allerdings verdankt das Stadion Kranjčevićeva seine marode Schönheit zu einem Gutteil der fragwürdigen Amtsführung des vereinspräsidenten Dražen Medić. Es gibt Stimmen, die behaupten, er wolle, dass der Verein in der sportlichen Bedeutungslosigkeit versinkt, um das innenstadtnahe Stadion abreißen zu lassen und dort etwas anderes zu bauen. Dass Medić Bauunternehmer ist, trägt nicht gerade dazu bei, diese Gerüchte zu entkräften, und der sportliche Misserfolg des Tabellenletzten der ersten kroatischen Liga noch viel weniger.

Auch die Ultras der Bijeli Anđeli sind nicht gut auf Medić zu sprechen, wollen sich ihren Verein aber nicht von irgendeinem dahergelaufenen Anzugträger abspenstig machen lassen. Auch wenn Medić 2011 einen Spieler des Vereins krankenhausreif geprügelt haben soll und selbst obwohl er 2008 das traditionelle Blau-Weiß des Vereins gegen Rot-Weiß ausgetauscht und das Logo gleich mit geändert. Eigentlich fehlt nur noch, dass das Team zu Dinamo ins Stadion Maksimir zieht, damit der Verein auch noch den letzten Rest seiner Identität verliert.
Der Weg vom Medika zum Stadion führt durch den Stadtteil Trešnjevka. »Früher war die Gegend hier als rote Hochburg verschrien. Zwischen den Kriegen hat sich hier nicht einmal die Polizei hereingetraut«, erzählt mit einem gewissen Stolz einer der jungen Ultras auf dem Weg zum Spiel. Als die Gruppe im Stadion ankommt, wird das Spiel gerade angepfiffen, und als sie schließlich in ihrem Block im Sektor E angekommen ist, läuft das Spiel bereits einige Minuten. Wirklich geschehen ist allerdings noch nichts, und schön anzusehen ist das Gehacke auf dem Rasen auch nicht. Auch in Kroatien lädt der Abstiegskampf, in dem beide Teams sich befinden, nicht gerade zu spielerischen Kabinettstücken ein. Was hier geboten wird, ist Kampffußball der übelsten Sorte, und so hält sich auch die Begeisterung der paar hundert Zuschauer auf der Tribüne – die Gästekurve ist wie so oft im kroatischen Fußball menschenleer – ziemlich in Grenzen.

Die Bijeli Anđeli dagegen machen das, was Ultras machen: Sie hängen erst einmal ihre Banner auf, dann trommeln, hüpfen, klatschen und singen sie. Ihr Team jedoch lässt sich auch dadurch nicht beflügeln, und so bleibt es bis zur Halbzeitpause beim 0:0. Auffällig ist nicht nur, dass viele junge Frauen im Sektor E stehen. Es sind auch zwei nigerianische Flüchtlinge mit im Block, was für kroatische Verhältnisse nicht nur ungewöhnlich, sondern einzigartig ist, denn die Bevölkerung ist extrem homogen, Nationalismus stark ausgeprägt und Rassismus weit verbreitet – im Fußball sogar eher stärker als anderswo. Das zeigte sich nicht zuletzt bei der Europameisterschaft im vergangenen Jahr, als der kroatische Fußballverband zu einer Geldstrafe von 80 000 Euro verurteilt wurde, weil kroatische Fans den italienischen Nationalspieler Mario Balotelli mit »Affengeräuschen« rassistisch beleidigt hatten.
Hier im Stadion Kranjčevićeva dagegen sind die beiden jungen Männer aus Nigeria selbstverständlich mit dabei, wenn der ganze Block mehr oder weniger geschlossen das ans Stadion angrenzende Restaurant entert, um rechtzeitig vor Beginn der zweiten Halbzeit noch schnell ein paar Biere zu trinken. »Das ist einmalig in Kroatien«, lacht ein Ultra. »Nirgendwo sonst kannst du hier beim Fußball Bier trinken, aber das Restaurant ist halt nur durch das Stadion erreichbar und das können sie nicht einfach abriegeln.« Andere diskutieren derweil über die Zeitungsmeldung, dass doch nur zwei statt drei Teams in die zweite Liga absteigen sollen, und überlegen, inwiefern das die Chancen ihres Vereins auf den Klassenerhalt erhöht. »Ich glaube, am Ende steigt ohnehin keiner ab«, sagt irgendwer. »Der Verband wird wahrscheinlich keinem der Zweitligateams eine Lizenz für die erste Liga erteilen.« Fußball ist halt nicht nur ein Sport, sondern auch ein Wirtschaftszweig.
Nicht wenige auf der Terrasse des Restaurants sehen so aus, als würden sie lieber weiter Bier trinken, als sich das Gewürge auf dem Spiel anzusehen, aber was sein muss, muss sein, und heute geht es ohnehin um mehr als nur um Fußball.
Es ist die 60. Spielminute, als plötzlich Leben in den Sektor E kommt und die Ultras ein großes, lilafarbenes Banner aus einem Rucksack holen und entrollen, auf dem »Football Fans Against Homophobia« steht. Daneben sind ein Regenbogen und zwei sich küssende Fußballer zu sehen. Nichts Ungewöhnliches, könnte man meinen. In den Wochen zuvor hatte es unter anderem auf St. Pauli, in Bordeaux und bei Fortuna Düsseldorf ähnliche größere Aktionen gegeben. Doch für den Balkan ist das, was hier passiert, geradezu revolutionär. Keine andere Fangruppe hat sich dort jemals zuvor offen gegen Homophobie gestellt. Ganz im Gegenteil sind homophobe Be­leidigungen Alltag in den Stadien.
»Wir finden es überwältigend, dass wir von der Gruppe angefragt wurden. Uns war schnell klar, dass wir das unbedingt unterstützen müssen«, wird Christian Rudolph, Sprecher der Initiative »Fußballfans gegen Homophobie«, später sagen. Die Kampagne, die im deutschsprachigen Raum schon mehr als 50 Stationen hinter sich hat, soll mit der ersten offiziellen Aktion außerhalb des deutschen Sprachraums jetzt nach Möglichkeit auf ganz Europa ausgeweitet werden. Als nächste Station steht bereits der griechische Amateurverein Proodeutiki Toumpas aus Thessaloniki fest.
Doch so weit ist es noch nicht. Noch geht es um Zagreb und Kroatien, und dort ist Homophobie allen Fortschritten zum Trotz noch immer ein großes Problem. Seit 2011, als rund 10 000 Menschen eine Parade in Split angriffen, ist es bei LGBT-Demonstrationen dank massiver Polizeipräsenz ruhig geblieben, dennoch sind homophobe Diskriminierung und Gewalt noch immer alltäglich. Eine Ursache dafür liegt im kroatischen Nationalismus, der sich häufig positiv auf das Ustascha-Regime bezieht und der einen identitären Katholizismus pflegt. »Wenn eine Frau heiraten will, dann zählen für ihre Familie meist nur zwei Dinge: Sie muss katholisch, ­kroatisch sein und natürlich einen Mann heiraten, alles andere ist egal«, erzählt einer der ­Ultras.
Als das Spiel vorbei ist und Zagreb nach einem gehaltenen Elfmeter und einem Tor zum Ausgleich kurz vor Schluss, das ausgerechnet Lovro Medić, der chronisch abschlussschwache Sohn des Vereinspräsidenten, erzielt hat, gerade noch ein Unentschieden herausgeholt hat, ist die Laune bestens im Block der Bijeli Anđeli. Eine gelungene Aktion, ein Punkt gerettet und sogar die rote Laterne an Inter Zapresic abgegeben. Eigentlich ein guter Tag.

Doch dann tauchen wie aus dem Nichts plötzlich drei junge, offensichtlich auf Krawall gebürstete Männer auf. Als sie die nigerianischen Fans erblicken, beginnen sie sofort, sie rassistisch zu beleidigen, und als ihr Blick auf die Regenbogenfahne und das Banner fällt, fallen homophobe Sprüche. Einer von ihnen fängt an, an dem Banner zu zerren. Vielleicht glaubt er, die zahlenmäßige Unterlegenheit lasse sich dadurch kompensieren, dass er und seine Freunde »echte Männer« und die anderen offensichtlich »Schwuchteln« seien, doch diese Rechnung geht nicht auf. Ein Handgemenge entsteht, zwei der Provokateure gehen zu Boden. Mindestens einer trägt deutliche Blessuren davon. Dann schreitet die Polizei ein. Drei Abschnittsbeamte treiben die Beteiligten aus­einander, sorgen für Ruhe und nehmen Personalien und Zeugenaussagen auf. Am Ende werden Verfahren gegen jeweils einen der Beteiligten auf beiden Seiten eingeleitet. Das mag man salomonisch nennen, man könnte aber auch argumentieren, dass die Aggression hier glasklar von einer Seite ausging und sich die andere nur zur Wehr gesetzt hat. Aber das wäre wohl zu viel verlangt.
So ist die Stimmung etwas gedrückt, als die Gruppe sich nach dem Spiel wieder im Medika sammelt. Während aus dem Club Attack der Soundcheck der nächtlichen Technoparty dröhnt, wird darüber diskutiert, wo die drei Angreifer wohl hergekommen seien, was sie überhaupt im Stadion zu suchen gehabt hätten und ob das ­alles nur Zufall gewesen sei. Eigentlich müsse es das, darüber herrscht Einigkeit, denn die Aktion der Ultras sei vorab ausdrücklich geheim gehalten worden, weil Störungen durch rechte Gruppen befürchtet wurden. Zumindest ist jetzt klar, dass diese Befürchtung nicht unberechtigt war. Auch wenn das sicher nicht ihre Absicht war, haben die drei doch bewiesen, wie wichtig es ist, Stellung zu beziehen gegen Homophobie und jede andere Form von Diskriminierung im Stadion, in Zagreb und natürlich auch überall sonst, denn Homophobie ist ja kein rein kroatisches Problem. Auch in Deutschland ist der Studie »Deutsche Zustände« zufolge jeder Fünfte homophob.
Während die Sonne hinter dem Kranjčevićeva-Stadion versinkt und oben auf dem die Nachbarschaft überragenden Cibona Tower das rote »A« des Einzelhandelsunternehmens Agrokor, zu dem unter anderem die große Supermarktkette Konzum gehört, zu leuchten beginnt, füllt sich der Hof des Medika, und bald fallen die Ultras unter all den Punks und Hippies, Hipstern und Freaks gar nicht mehr auf. Fußball ist nicht alles, und das ist auch gut so.