Ein Buch über die »Könige der Alpen«

Beruf: Bergführer

Ein Buch über die Könige der Alpen.

Bis ins 15. Jahrhundert, führt die Schweizer Sozialwissenschaftlerin Andrea Hungerbühler aus, galten die Schweizer als dumm, unzivilisiert und triebhaft. Erst mit dem Beginn der Moderne modelten sie die unhöfliche Fremdzuweisung um – in ein »Selbstbild des edlen Bauern«, ein Symbol »natürlicher Freiheit und Tugendhaftigkeit«, eine bis heute beschworene »Naturalisierung der Nation«. Dem geht Hungerbühler in ihrer Dissertation nach. Der Bergführer, der über die Jahrhunderte vom »Bergler« zum modernen Unternehmer wurde, steht im Mittelpunkt. Es geht um die Maskulinität, die Bergführer vermeintlich ausstrahlen, um die bemerkenswerte Karriere ihres Berufs vom Helfer der reichen Herren zum staatlich anerkannten und schwierigen Ausbildungsberuf, und um die nationalistische Komponente, die dem Bild von den »Alpenkönigen« – eine oft zu hörende Bezeichnung für besonders erfahrene Bergführer – häufig anhängt. Was zunächst überschaubar anmutet, erweist sich also als gigantisches Forschungsprojekt, und die zunächst einleuchtende Beschränkung auf die Schweiz stellt mitunter sogar ein Hindernis dar. Was Hungerbühlers Buch sehr lesenswert macht, ist die Aufarbeitung von ungeheuer vielen nicht oder kaum bekannten Informationen: etwa, dass bis zum heutigen Tag in der Bergführerausbildung »Tischmanieren« und »Weinkunde« vermittelt werden – was die sozialen Unterschiede zwischen ungehobelten Führern und feinen Geführten reflektiert. Bei all den interessanten Fakten weist das Buch jedoch analytische Schwächen auf. Wenn Hungerbühler etwa die militärische Nutzung des Bergsteigens in der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs als bloße »Verbindung von Alpinismus und Politik« beschreibt, wie es sie auch in Deutschland und Italien gegeben habe, vermisst man hier einen genauen Blick. Er gelingt leider kaum, auch dort nicht, wo er explizit angestrebt wird: bei Interviews mit Bergführern. Da wird »sequenzanalytisch« jede Antwort einer ellenlangen Interpretation unterzogen, die keine Erkenntnis bringt. So bleibt Hungerbühlers nicht gering zu achtendes Verdienst, einen materialreichen Aufriss für ein sensationell spannendes Thema vorgelegt zu haben. Und die, ob der Größe dieses Themas, zu vernachlässigende Mäkelei, dass immer noch viel zu forschen bleibt.

Andrea Hungerbühler: Könige der Alpen. Zur Kultur des Bergführerberufs. Transcript-Verlag, Bielefeld 2013,
446 Seiten, 39,90 Euro