Streit um das Gedenken an die Ermordeten des Lagers Sobibór

Gedenken auf dem Abstellgleis

Die Bürgerinitiative »Zug der Erinnerung« will im Mai und Juni der Ermordeten des Lagers Sobibór gedenken. Über die Förderung des Projekts wird gestritten.

Den ersten Rückschlag musste der 88jährige Kläger schon vor Beginn der Verhandlung einstecken: Das Landgericht Frankfurt am Main verweigerte am Anfang dieses Jahres dem ehemaligen NS-Zwangsarbeiter, der heute in ärmlichen Verhältnissen in der Ukraine lebt, die Prozesskostenbeihilfe, die er für seine Klage gegen die Deutsche Bahn AG beantragt hatte. Der Mann, der die Shoa überlebt hat, wurde 1942 als 17jähriger festgenommen und in Zügen der Deutschen Reichsbahn, des Vorgängerunternehmens der Deutschen Bahn, in mehrere Vernichtungslager verschleppt, um dort Zwangsarbeit für die Lufthansa zu leisten. Jetzt fordert er Entschädigung. Die Deutsche Bahn verweigert jedoch Wiedergutmachungszahlungen an den Kläger.
Bei ähnlichen Forderungen von Deportierten argumentierte der Staatskonzern in der Vergangenheit, dass nicht er, sondern das Bundeseisenbahnvermögen die Rechtsnachfolgerin der Deutschen Reichsbahn sei. In der Erklärung der Anwälte des Unternehmens hieß es im Februar gar abwehrend, dass zwischen den Deportationen durch die Reichsbahn und den Morden in den Vernichtungslagern »keine innere Verbindung« bestanden habe. Das Urteil in dem Prozess stand zu Redaktionsschluss noch aus. Heinz Josef Sehr, der Anwalt des 88jährigen Ukrainers, vermutet jedoch, dass der Fall aufgrund des Alters seines Mandanten und der Brisanz der Klage möglicherweise vom Bundesverfassungsgericht oder vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entschieden werden könnte.

Der Fall des ehemaligen Zwangsarbeiters ist nicht der einzige, der die Deutsche Bahn derzeit in erinnerungspolitische Schwierigkeiten bringt – und Hans-Rüdiger Minow in Rage. Minow ist Vorstandssprecher der Bürgerinitiative »Zug der Erinnerung«. Der Verein gedachte mit einer gleichnamigen Ausstellung von 2007 bis 2012 der Deportation mehrerer hunderttausend Kinder, die während der Shoa auf den Schienen der Reichsbahn in deutsche Vernichtungslager verschleppt worden waren. Ein speziell eingerichteter Museumszug hielt an 63 Bahnhöfen in ganz Deutschland, um über die Deportationen zwischen 1941 und 1945 zu informieren.
Im Mai und Juni will die Bürgerinitiative den »Zug der Erinnerung« erneut durch Deutschland rollen lassen, dieses Mal mit einer Ausstellung über das Vernichtungslager Sobibór. Die Ausstellung soll unter anderem an die Deportation von Kindern und Jugendlichen aus dem »Durchgangslager« Westerbork im besetzten Holland im Juni 1943 in das Vernichtungslager erinnern. In Sobibór wurden allein bis Juli 1943 mindestens 34 000 niederländische Juden und deutsche Emigranten erschossen oder vergast. »Die geschichtsrevisionistische Position der Deutschen Bahn, dass die Reichsbahn mit den Morden in den Vernichtungslagern nichts zu tun hatte, ist besorgniserregend«, sagt Minow.

Seinen Verein beschäftigt derzeit noch ein anderer Streit mit der Deutschen Bahn: Das Unternehmen verlangt für den Verkehr des Zugs auf seinen Gleisen und Bahnhöfen 10 000 Euro an Nutzungsgebühren. Zudem weigerte sich das Unternehmen, Spendengelder in Höhe von 40 000 Euro, die während der Ausstellung eingenommen wurden, an die Bürgerinitiative auszuzahlen. Stattdessen überwies die Deutsche Bahn auf Anweisung der Bundesregierung die Summe im vergangenen Dezember an die Bundesstiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft«. In deren Kuratorium sitzen unter anderem Bundestagsmitglieder sowie Vertreter von Ministerien und NS-Opferverbänden. »Für die neue Gedenkaktion wurde uns von der Stiftung mitgeteilt, dass wir uns bei ihnen für eine Fördersumme bewerben können, aber bekommen haben wir nichts«, sagt Minow. Er hofft nun, die ausbleibende Förderung durch neue Spendengelder von Besuchern der Ausstellung ausgleichen zu können.
Die Ablehnung der Projektförderung durch die Stiftung verlief Minow zufolge unter dubiosen Umständen. Demnach habe die Deutsche Bahn bei ihrer Übermittlung der 40 000 Euro an die Stiftung, die als Spenden deklariert wurden, die Bedingung gestellt, dass das Geld auf keinen Fall für die Förderung des Sobibór-Gedenkens »Zug der Erinnerung« verwendet werden dürfe. Dies gehe aus einer internen Notiz an die Stiftung hervor, die der Bürgerinitiative vorliege. »Die Deutsche Bahn hat keine Befugnis, der Stiftung vorzuschreiben, für was Spenden verwendet werden sollen und für was nicht«, sagt Minow. Hinzu kommt, dass zusammen mit dem Förderantrag, den der Verein an die Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« gestellt hatte, eine Verpflichtungserklärung unterschrieben werden sollte. Diese verbietet den am Gedenken Beteiligten den Kontakt zu den Mitgliedern des Kuratoriums. Minow zufolge sei damit zwar beabsichtigt gewesen, der Bürgerinitiative zu untersagen, innerhalb der Stiftung für ihr Sobibór-Vorhaben zu werben. Andererseits habe das Kuratorium bei der Bewilligung von Förderanträgen ohnehin keinen Einfluss. »Das entscheidet alleine der Vorstand der Stiftung«, so Minow.

Aus Sicht der Stiftung »Verantwortung, Erinnerung und Zukunft« habe die ausbleibende Finanzierungshilfe für das Sobibor-Projekt vor allem formelle Gründe gehabt, teilt deren Pressesprecher Dietrich Wolf Fenner auf Anfrage der Jungle World mit. Der Verein »Zug der Erinnerung« hätte am 20. Februar schlichtweg zu kurzfristig den Förderantrag eingereicht. Die mit einer Summe von 119 000 Euro veranschlagte Projektunterstützung hätte innerhalb von zwei Wochen bewilligt werden sollen. »Die Stiftung kann innerhalb so kurzer Zeit keine Förderung in dieser Größenordnung gewähren«, sagt Fenner. Zudem hätte der Antrag sich keinem Förderprogramm der Stiftung zuordnen lassen können. Dennoch habe Stiftungsvorstand Günter Saathoff der Bürgerinitiative eine Alternativförderung von 30 000 Euro angeboten. Diese Offerte habe »Zug der Erinnerung« jedoch ohne Begründung abgelehnt. Minow entgegnet, man wollte sich nicht erpressen lassen: »Die Bewilligung der 30 000 Euro war an die Auflage gebunden, dass wir keinen Kontakt mit den Kuratoriumsmitgliedern aufnehmen dürfen. Da wollten wir nicht mitmachen.« Zudem sei der späte Antrag für die Projektförderung dem Umstand geschuldet gewesen, dass »Zug der Erinnerung« erst im Dezember erfahren habe, dass sie die eingenommenen Spendengelder von der Deutschen Bahn nicht zurückerhalten würden.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Organisatoren vom »Zug der Erinnerung« und die Deutsche Bahn sowie die Stiftung aneinandergeraten. Die Organisatoren kritisierten seit Beginn der Ausstellung im Jahr 2007 die fehlende Bereitschaft der Bahn, auf die Trassen- und Stationsgebühren zu verzichten. Das Unternehmen solle sich seiner geschichtlichen Verantwortung stellen angesichts der Profite, die die Bahn während der NS-Zeit mit den Deportationen und Zwangsarbeitern erzielte. Eine Zusammenarbeit mit dem Verein verweigerte 2007 auch das Bundesverkehrsministerium. Die Bitte um Freistellung oder Übernahme der Gebühren lehnte das Ministerium mit dem Hinweis auf die betriebswirtschaftliche Eigenständigkeit der Bahnunternehmen ab.
Nach eigenen Angaben zahlte der Verein für die Kosten der Ausstellung bis September 2012 deshalb 250 000 Euro an die Deutsche Bahn. Davon wurden mindestens 150 000 Euro von der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« übernommen. Die restliche Summe musste die Bürgerinitiative mit den eingenommenen Spendengeldern bezahlen.