Emissionshandel in der EU

Reich durch Rauch

Das Europäische Parlament hat eine Reform des EU-Emissionshandels vorerst verhindert. Doch eine bloße Reform des marktwirtschaftlichen Umweltschutzes griffe ohnehin zu kurz.

Nach der Abstimmung triumphierten die Gegner: Herbert Reul, Vorsitzender der deutschen CDU-Abgeordneten im Europäischen Parlament, gab zu Protokoll: »Wir haben dem Vorschlag der EU-Kommission widerstanden, einfach willkürlich in den Zertifikatehandel einzugreifen.« Er wollte das als »Sieg der Vernunft« verstanden wissen – gegenüber jenen, die meinten, »man müsste jede Woche aus Brüssel etwas nachsteuern«. Er bezog sich damit auf die Abstimmung von Mitte April über den Vorschlag der EU-Kommission, durch eine spätere Versteigerung von 900 Millionen Verschmutzungszertifikaten für Kohlendioxid (CO2) ein sogenanntes backloading, eine Verknappung der Zertifikate und damit eine Preissteigerung, herbeizuführen. Mit knapper Mehrheit wurde dieser Vorschlag überraschend abgelehnt – ein schwerer Schlag für die Klimaschutzziele der EU.
Mit zweifelhaften Argumenten sparten die Gegner der Verknappung der CO2-Verschmutzungszertifikate nicht. Der Tenor ist bekannt: Staatseingriffe seien schlecht, gut sei der freie Markt. Das ist die Ideologie der neoliberalen und neoklassischen Wirtschaftswissenschaftler, deren Vertrauen in den Markt trotz des gigantischen Marktversagens in der Finanzkrise ungebrochen ist. Absurderweise ignorieren sie völlig, dass der Markt für CO2-Emissionen erst durch staatliche Eingriffe geschaffen worden ist. Wirtschaftsminister Philipp Rösler, ein einflussreicher Gegner des Vorschlags der EU-Kommission, begründete seine Ablehnung damit, dass der EU-Emissionshandel die ihm zugedachte Funktion, eine Begrenzung der Emissionsmenge zu gewährleisten, »vollumfänglich erfüllt«.

Seit 2005 gibt es in der Europäischen Union das sogenannte Emissionshandelssystem (EHS, engl. ETS). Damit soll ein Ziel des Kyoto-Protokolls, die Reduktion des Ausstoßes von CO2 im Vergleich zum Basisjahr 1990 um 20 Prozent, erreicht werden. Die Idee ist simpel, folgt man der Logik der marktgläubigen Befürworter dieses Systems: Dadurch, dass die Emission von CO2 in die Atmosphäre mit einem Preis belegt wird, sollen die Unternehmen einen Anreiz bekommen, in emissionsärmere Technologien zu investieren. So könnten sie Kosten sparen und gleichzeitig das Klima schonen.
Die Probleme indes beginnen nicht erst mit der konkreten Umsetzung dieses Verfahrens. Sie entstehen schon bei der Herangehensweise. Denn warum soll ein künstlich geschaffener Markt effektiver darin sein, den Ausstoß von CO2 zu verringern, als ordnungspolitische Maßnahmen wie Umweltauflagen und die Besteuerung von Emissionen? Ironischerweise hat die EU zunächst genau diese Argumente bei den Verhandlungen zum Kyoto-Protokoll vertreten, in Abgrenzung zu den USA, die einen marktwirtschaftlichen Klimaschutz favorisierten. Dann stiegen die USA aus dem Kyoto-Protokoll aus, während die EU das EHS schuf, das inzwischen zum Vorbild für weitere Länder geworden ist.
Dessen Einführung und Umsetzung seit 2005 hat die bereits problematische Ausgangsüberlegung zum Emissionshandel vollends ad absurdum geführt, zum Klimaschutz trägt dieses Instrument nicht bei. Die Fehler bestanden darin, dass mehr Verschmutzungsrechte ausgegeben wurden als tatsächlich CO2 emittiert wurde, dass die Emissionsrechte an die Konzerne verschenkt anstatt versteigert wurden und dass zahlreiche Ausnahmeregelungen gerade für energieintensive Unternehmen geschaffen wurden. In der Folge sanken die Preise für die Verschmutzungszertifikate aufgrund des Überangebots stark. Das Kostenkalkül der Manager lautete also: Bei diesen lächerlichen Preisen kommen wir besser weg, wenn wir emittieren wie bisher, denn Investitionen in neue Techniken kommen uns teurer zu stehen. Abzusehen war dies schon früh. Die Financial Times zitierte im Mai 2006 Analysten, die einen Preisverfall auf fast null für möglich hielten. Fast so ist es auch gekommen – und das rief die EU-Kommission mit ihrem nun gescheiterten Reformvorschlag auf den Plan.
Das Verschenken der CO2-Emissionsrechte bescherte den Unternehmen darüber hinaus Milliardengewinne, weil die Stromkonzerne die theoretisch für die Verschmutzungsrechte anfallenden Kosten auf ihre Strompreise aufschlugen. Angaben des Bundesumweltministeriums zufolge haben sie so im Jahr 2005 Gewinne zwischen sechs und acht Milliarden Euro zu Lasten der Stromverbraucher gemacht. Für die zweite EHS-Handelsperiode von 2008 bis 2012 wird dieser Gewinn auf 23 bis 71 Milliarden Euro geschätzt. Die Schaffung von zahlreichen Ausnahmen sowie der Ausschluss des Transport-, Landwirtschafts- und Privatsektors bedeuten, dass nur die Hälfte der europäischen CO2-Emissionen in den Handel integriert sind, seit Beginn des Jahres ist nun noch der Luftverkehr aufgenommen worden.
Die CO2-Bilanz für den EHS-Sektor fällt entsprechend ernüchternd aus: Zwischen 2005 und 2007 sind die CO2-Emissionen hier um 1,9 Prozent gestiegen, während sich die Gesamtbilanz verbesserte. Für Deutschland lauten die entsprechenden Zahlen: Rückgang um zwei Prozent insgesamt, Zunahme im EHS-Bereich um 2,7 Prozent.

Auch die Minderung der europäischen Treibhausgase in den folgenden Jahren ist auf andere Faktoren als das EHS zurückzuführen. Zum einen ist die Rezession infolge der Wirtschaftskrise hierfür verantwortlich, zum anderen liegt die Verminderung des Ausstoßes im Jahr 2011 um 2,5 Prozent den Angaben der Europäischen Umweltagentur EEA zufolge vor allem an dem milden Winter und der Erschließung von erneuerbaren Energien.
Ein vernichtendes Zeugnis wird dem EHS auch in einer Studie der Schweizer Bank UBS ausgestellt. Dieser zufolge könnten die Zertifikateinhaber bis 2025 210 Milliarden Euro Extragewinne aus dem Verkauf überschüssiger Rechte erzielen, während der Beitrag zum Klimaschutz gegen null tendiere. Würde dieses Geld direkt in klimaschonende Technologien investiert, etwa in Kraftwerke oder Windräder, könnte eine Verminderung der Emissionen um 40 Prozent erreicht werden.
Hinzu kommt, dass sogenannte importierte Emissionen, die durch Auslagerungen von Produktion in den globalen Süden und die Einführung dieser Waren entstehen, nicht in der EU zu Buche schlagen. Eine Studie, die im US-Wissenschaftsfachblatt Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlicht wurde, schätzt, dass in einigen europäischen Ländern die Emissionen durch ausgelagerte Produktion mehr als 30 Prozent ausmachen.
Röslers Aussage, dass das EHS seine Aufgabe »vollumfänglich erfüllt«, also für die Treib­hausgasreduktion in Europa verantwortlich sei, ist also falsch. Sein Hinweis indes, dass ein backloading für die Industrie Wettbewerbsnachteile zur Folge habe, ist aufschlussreich. In der Tat würde eine Verknappung der Zertifikate Gewinn­einbußen für Konzerne bedeuten. Damit aber spricht Rösler aus, dass ihm Extraprofite deutscher und europäischer Konzerne über den Klimaschutz gehen.
Es trifft mithin zu, was die linken Politikwissenschaftler Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf bereits vor sechs Jahren schrieben: »Nicht nur die Gebrauchswerte der kapitalistischen Industriegesellschaft werden in Ware verwandelt, sondern auch ihre schmutzigen Abgase werden kommodifiziert, indem sie die saubere Form des Papiers erhalten.« Und so erhalten neue Akteure die Möglichkeit neuer Renditen – Akteure, die alles daran setzen, dass Treib­hausgase weiter emittiert werden, weil nur so an ihrer Reduktion verdient werden kann.

Vieles spricht also für den Aufruf »Scrap the EU-ETS« (»Es ist höchste Zeit, das ETS abzuschaffen«), den zahlreiche linke, Umwelt- und Entwicklungsgruppen aus aller Welt unterzeichnet haben. In ihrer Stellungnahme und einer Broschüre über die Mythen des EHS wird der Schwerpunkt auf die internationale Dimension gelegt. So wird kritisiert, dass der europäische Handel mit Emissionsrechten die sozialen und ökologischen Konflikte in den Ländern des globalen Südens fördere. Hier kommt der »Clean Development Mechanism« (CDM) ins Spiel. Mit diesem können sich Unternehmen durch die Förderung von Klimaschutzprojekten in Entwicklungsländern eine Art Kredit verschaffen. Die gesparte Tonne Emissionen im Süden kann im Norden zusätzlich ausgestoßen oder als Zertifikat gewinnbringend weiterverkauft werden. Das Problem ist, dass bei bis zu 40 Prozent der CDM-Projekte das Kriterium der Zusätzlichkeit nicht gegeben ist, das heißt, das Projekt, an dem sich Unternehmen aus dem Norden beteiligen, hätte es ohnehin gegeben. Die Konsequenz: Höheren Emissionen in den Industrieländern stünden, so Wolfgang Sterk vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, keine entsprechend niedrigeren Emissionen in den Entwicklungsländern gegenüber: »In der Summe ist die Verschmutzung größer, als wenn es den CDM nicht gäbe.«
Wie es nach dem gescheiterten Reformversuch der EU-Kommission mit dem EHS weitergeht, ist noch unklar. Fest steht, dass eine wie auch immer geartete Reform dem eigentlichen Ziel – Verlangsamung des Klimawandels – kaum förderlich sein wird. Die Schaffung eines Marktes für Verschmutzungsrechte hat sich als kontraproduktiv erwiesen. Energie- und andere Konzerne werden subventioniert, das Klima wird weiter belastet. Da selbst die Finanzkrise der Marktgläubigkeit nicht viel anhaben konnte, werden auch noch einst ökologische und nunmehr ökoliberale Milieus in das EHS-Projekt eingebunden.