Das NSU-Prozessspektakel in München

Terror als Spektakel

Der NSU-Prozess in München kommt als großes Spektakel daher. Diese Boulevardisierung erfüllt eine Funktion.

Da sind sie wieder, die »Live-Ticker«. Wenn Online-Redaktionen diese Instrumente der Berichterstattung auf ihren Websites platzieren, ihre Korrespondenten im Minutentakt inhaltsarme, aber atmosphärischen Dunst verbreitende Stammelsätze ins Netz tippen und Fotografen den zugehörigen Bilderbrei liefern, ist dies ein untrügliches Zeichen dafür, dass ein Spektakel größeren Ausmaßes angebrochen ist, dass also der Papst gewählt wird oder ein Atomkraftwerk havariert.
Auch für den NSU-Prozess, der seit Montag in München stattfindet, wurden etliche »Live-Ticker« installiert. Das verwundert nicht, schließlich geht es nicht einfach um ein Spektakel, sondern um ein Mordsspektakel mit den besten Zutaten: zehn Morde, zwei Attentate mit vielen Verletzten, 15 Raubüberfälle – sowie ein Name und ein Gesicht. Wobei man feststellen muss: Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe hat mittlerweile viele Namen. Sie ist die »nette Hausfrau, kaltblütige Nazibraut« (N-TV), »Terrorbraut« und »vielleicht gefährlichste Frau Deutschlands« (Focus), »Nazibraut« (ZDF), »eiskalte Killerbraut« und »zärtliche Katzenmama und Terrorbraut« (Welt), »gesellige, junge Frau aus Jena« beziehungsweise ein »heißer Feger« beziehungsweise die »Nazibraut« (Bild-Zeitung). Dass auch manche, die am Montag wahrscheinlich in bester Absicht vor dem Münchener Oberlandesgericht demonstrierten, ihren Part in dem ganzen Spektakel spielten, zeigt ihre Wortwahl, die sich nur dadurch von der Sensationsschreibe diverser Blätter unterscheidet, dass ihr der schmierige Altherrenanteil fehlt. »Hitlerkind Zschäpe, du wirst für die Morde bezahlen müssen!« war auf einem Transparent zu lesen.
Und so hat die Zeitschrift Focus den Auftakt der Verhandlung gegen die mutmaßliche Rechtsterroristin und vier mutmaßliche Helfer des NSU ganz richtig als »Zschäpe-Show« betitelt und präsentiert. In der Tat war viel über Zschäpes Schminke und andere wichtige Dinge zu erfahren: Sie »kaut Kaugummi« (Taz) oder »nimmt sich ein Bonbon« (FAZ), verhält sich, »als schlendere sie über einen Laufsteg« (Welt) beziehungsweise als sei sie »auf einer Strandpromenade«, und hat »frisch geföntes, langes dunkles Haar« (Spiegel Online). Es ist zu erwarten, dass diese Form der Berichterstattung die »Zschäpe-Show« begleiten wird. Die Hauptangeklagte wird aller Wahrscheinlichkeit nach keine Aussage machen und weiterhin die stille Oberfläche bieten, auf der Medienmacher ihre Phantasien von der rechtsextremen femme fatale ausbreiten können. Diese Boulevardisierung erfüllt dabei eine ganz objektive Funktion: Die Fragen nach dem Staat und seinen Nazis sowie dem Milieu, das den NSU hervorgebracht hat, werden nicht allzu laut.