Krise und Rechtsextremismus in Ungarn und Österreich

Zwei Wege führen nach rechts

Wie entwickelt sich der europäische Rechtsextremismus in der Krise? Das lässt sich anhand der ungarischen Partei Jobbik und der FPÖ beantworten.

Eines haben sie gemeinsam: Alle europäischen rechtsextremen und rechtsautoritären Parteien befördern eine Stimmung, in der mörderische Bewegungen wie jene gegen die Roma in Ungarn und gegen Asylsuchende in Griechenland zur Normalität in der krisengeschüttelten EU werden. Doch es gibt eine Ausdifferenzierung: Die offen antisemitische und rassistische Jobbik in Ungarn steht für einen traditionellen Antisemitismus und Rassismus. Sie will und muss sich keine Mühe geben, aus dem Schatten des Nationalsozialismus beziehungsweise des ungarischen Protofaschismus des bis 1944 autoritär regierenden »Reichsverwesers« Miklós Horthy zu treten.

Das Beispiel der NPD, die in Deutschland eine ähnliche Politik verfolgt, zeigt allerdings, dass in Westeuropa auf nationaler Ebene auf diese Weise keine Wahlerfolge zu erzielen sind. Dementsprechend bemühen sich vergleichsweise erfolgreiche rechtsextreme Parteien wie die FPÖ, der Front National unter Marine Le Pen und der belgische Vlaams Belang um eine partielle Modernisierung – allerdings nicht in dem Sinn, dass sie den Antisemitismus einfach durch die Hetze gegen in Europa lebende Muslime ersetzen würden.
Bei Ungarns völkischer Rechten spielt die Agitation gegen Muslime so gut wie keine Rolle. In dem Land leben wenige Zuwanderer, und fast gar keine aus islamisch geprägten Gesellschaften. Der Anteil von Muslimen an der Gesamtbevölkerung beträgt gerade einmal 0,3 Prozent, was die ungarische Bevölkerung allerdings nicht daran hindert, auch ihnen gegenüber ihre Ressentiments zum Ausdruck zu bringen: Über 60 Prozent der Ungarn meinen, es lebten zu viele Muslime in dem Land. Bei anderen rechtsextremen Parteien in Europa sind zum einen die antisemitischen Traditionen so stark, dass sie nicht einfach aufgegeben werden können. Zum anderen ist das Verhältnis zum Islam bei den Ideologen dieser Bewegungen keineswegs von schroffer Ablehnung geprägt, sondern von einer Mischung aus Hass und Neid, die ohne eine gewisse Bewunderung nicht auskommt.
Dass einige Rechtsextreme wiederum zeitweise versuchen, ihre Ressentiments gegenüber Israel zu bändigen, unterscheidet sie durchaus von der offen antisemitischen Jobbik. Die ungarische Partei fraternisiert ohne jede Hemmung mit den Todfeinden des jüdischen Staates und attackiert Israel und den Zionismus regelmäßig als Gegner alles Ungarischen in einer Weise, die in fast jeder Beziehung an Theodor W. Adornos und Max Horkheimers Analyse der für den Antisemitismus zentralen Charakterisierung der Juden als »Gegenrasse, als negatives Prinzip als solches« erinnert. Doch gegenüber den vermeintlich israelfreundlichen Äußerungen jener postnazistischen Rechtsextremen, deren Vorgänger noch ganz unmittelbar das Vorhaben in Angriff genommen hatten, die Welt von dieser »Gegenrasse« zu »reinigen« und, wie Adorno und Horkheimer es treffend formulierten, die Juden »wie Ungeziefer zu vertilgen«, ist äußerste Skepsis angebracht. An den in Medienberichten stets als proisraelisch qualifizierten Stellungnahmen der FPÖ zu Israel aus den vergangenen Jahren ist zum einen die konsequente Berufung auf die Nahostpolitik des ehemaligen Kanzlers Bruno Kreiskys auffallend, die nicht als pro­israelisch gelten kann und mittels derer sich die Freiheitlichen, deren früherer Parteivorsitzender Jörg Haider von der FPÖ noch als der »PLO von Österreich« gesprochen hatte, mit einer gehörigen Portion Größenwahn als »ehrliche Makler« zwischen Israelis und Arabern darzustellen versuchen.

Zum anderen werden Passagen, in denen sich die FPÖ positiv auf von palästinensischer Seite ins Spiel gebrachte »Einstaatenlösungen« bezieht, die automatisch das Ende des jüdischen Staates bedeuten würden, in solchen Berichten regelmäßig ignoriert. In einer Pressemitteilung heißt es über eine Konferenz in Hebron, an der eine FPÖ-Delegation angeblich »auf persönliche Einladung« von Sheikh Farid al-Jabari teilgenommen hat: »Diskutiert wurde von palästinensischer Seite auch die Abkehr vom Zweistaatensystem, da laut den Gesprächspartnern die Sharia nicht vorsehe bzw. sogar ausdrücklich verbiete, auf historisch muslimisch besiedeltes Land zu verzichten.« Der derzeitige Parteivorsitzende Heinz-Christian Strache sagte dazu, über diesen »Vorschlag« sei »ernsthaft zu beraten«.
Die Rechtsextremen ringen im Zeitalter der Konkurrenz zwischen europäischem Antisemitismus und islamischem Jihadismus um die Bestimmung ihrer Position. Die einen, wie Jobbik, Teile der Anhängerschaft der ungarischen Regierungspartei Fidesz, die NPD, die Anhänger des früheren Vorsitzenden des Front National, Jean-Marie Le Pen, und die Ideologen der FPÖ, wünschen das offene Bündnis mit islamistischen Regimes wie jenem im Iran; die anderen, wie die vermeintlichen Modernisierer im Front National, die Unterstützer von Filip Dewinter im Vlaams Belang und jene Teile der FPÖ, die in Teil­opposition zu den deutsch-völkischen Kräften in der Partei stehen, forcieren die Agitation gegen die »islamische Landnahme« in Europa und beschränken sich hinsichtlich der iranischen Ayatollahs und anderer islamischer Antisemiten auf eine heimliche Bewunderung für den antiwestlichen und antiliberalen Furor der Jihadisten, den sie zugleich jedoch als bedrohliche Konkurrenz ansehen.
Doch ihr partieller Verzicht auf offen antisemitische und antiisraelische Hetze bei gleichzeitiger Konzentration auf die »raumfremde Kultur« des Islam stellt sie vor ein Pro­blem: Kein noch so verschwörungstheoretisch versierter Rechtsextremer käme auf die Idee, »die Muslime« wären in der Lage, die internationale Finanzwelt zu kontrollieren und die europäischen Nationen in die Krise zu stürzen. Die Ressentiments gegenüber in Europa lebenden Muslimen erinnern in aller Regel an klassisch rassistische Vorstellungen von zwar gewalttätigen, aber letztlich unterlegenen und minderwertigen Einwanderern, nicht an die im Antisemitismus gängigen Vorstellungen vom überlegenen, durch die geschickte Handhabung von Geld und Geist die Welt ins Unglück stürzenden und daher bis zur letzten Konsequenz zu bekämpfenden Juden.
Und so bleiben die sich vermeintlich von ihrer antisemitischen Tradition lösenden Rechtsex­tre­men weiterhin vor die Frage gestellt, wie die Konkretisierung des als unendlich bedrohlich wahrgenommenen Realabstrakten der wertverwertenden Gesellschaft im Einzelnen auszusehen hätte. Die Erfolge von Jobbik und der griechischen Partei Chrysi Avgi, die bei den jüngsten Wahlen sieben Prozent der Stimmen in Griechenland erhalten hat, mittlerweile in Umfragen doppelt so stark ist und deren Kader vor laufenden Kameras allen »Parasiten« und »Untermenschen« damit drohen, dass man bereit sei, »die Öfen zu öffnen und sie zu Seife zu verarbeiten«, könnten schnell dazu führen, dass die partielle, in den jeweiligen rechtsextremen Parteien ohnehin stark umstrittene Abkehr von allzu offenen Anklängen an die historischen Vorbilder schnell wieder Geschichte ist. Für die vermeintlich modernisierten Fraktionen wäre es dann umso einfacher, sich als geläuterte demokratische Rechte zu präsentieren.

Trotz aller Modifikationen und Modernisierungen im europäischen Rechtsextremismus und trotz aller maßgeblich aus der Linken stammenden Vorschläge, wie die explizite antisemitische Identifikation des als bedrohlich Wahrgenommenen sowohl mit einem abstrakten »jüdischen Prinzip« als auch mit konkreten Juden durch die Agitation gegen »Heuschrecken«, »gierige Spekulanten« und »maßlose Manager« zumindest zeitweise vermieden werden kann: Je sichtbarer die Folgen der Verwertungskrise des Kapitals werden, umso reizvoller wird die offen ausgesprochene Feindbestimmung im Stil der Jobbik, die durch ihren grenzenlosen Israel-Hass zudem auch noch Angebote an die antizionistische Linke parat hat.