Beschimpfung und Beherrschung

Berlin Beatet Bestes. Folge 193. Andy Nevison: White Woman (Don’t Roll Your Big Blue Eyes) (1966).

Am 13. April starb Werner Voran im Alter von 58 Jahren. Werner war Musiker, Künstler, Kurator und Plattensammler. Ich lernte ihn zwar leider nie persönlich kennen, die LP-Sampler-Reihe »Prae-Kraut Pandaemonium«, die er zusammen mit Freunden seit Mitte der neunziger Jahre veröffentlichte, und seinen Blog Spurensicherung kannte ich dagegen gut. »Prae-Kraut« war quasi das deutsche Gegenstück zu der »Back from the Grave«-Serie von Crypt Records. Werners Punk-Sozialisation färbte auch auf »Prae-Kraut« ab. Während sich normale Beat-Fans noch mit den Mainstream-Oldies der Sechziger beschäftigten, veröffentlichten Werner und seine Genossen das krude, vergessene Zeug von Bands aus der Phase vor Krautrock und machten damit erstmals hörbar, wie es bereits vor der offiziellen Blütezeit von Can & Co im deutschen Underground gerockt hatte. Legal, illegal, scheißegal – die Bootleg-Reihe scherte sich nicht um Copyrights und kombinierte auf kunstvolle Weise, was nie zuvor zusammengefügt worden war. Durch die Verbindung von Amateuraufnahmen mit unbekannten Veröffentlichungen größerer Labels schuf »Prae-Kraut« einen eigenen Sound und später sogar einen Markt. Nicht zuletzt die seltsam psychedelischen Cover trugen dazu bei, dass eine ganze Generation von neuen Hörern diese Bands entdeckte. In den vergangenen sechs Jahren verbreitete Werner die »Prae-Kraut«-Compilations dann nur noch digital und kostenlos über sein Blog. Als ich im vorigen Jahr ankündigte, auf meinem Blog eine neue Copyright-freundlichere Blog-Ethik einzuführen und alle MP3-Dateien zu löschen, meldete sich auch Werner zu Wort: »Wenn man sich als Archäologe ungehobener Schätze, der erst einen verfickten ›MARKT!‹ für Zeugs schafft, das jahrzehntelang keine Sau interessiert hat, von Pappnasen, die keinen Schimmer haben, als Bootlegger beschimpfen lassen muss … Selbstbeherrschung umständehalber günstig abzugeben!« Und Recht hatte er. Rest in Unrest, Werner!
Ein Musiker, der auf den »Prae-Kraut«-Samplern mehrfach auftaucht, ist Andy Nevison. Der in London aufgewachsene Sohn jamaikanischer Eltern kam als GI nach Deutschland. In Detmold stationiert, unternahm er regelmäßige Trips nach Hamburg und spielte in Clubs auf St. Pauli. Zweifellos sind die Songs, die er mit seinen Rhythm-Masters aufgenommen hat die authentischsten Rhythm & Blues-Aufnahmen, die im Deutschland der sechziger Jahre gemacht wurden. Ein Song wie »White Woman« wäre zudem, wie Werner schreibt, in Alabama im Jahr 1966 undenkbar gewesen:

»Just because your skin is white, you think you’re mighty fine / Yes, you told me that you love me, then you rolled your big blue eyes / When I saw you last week, your skin was turning black / Go find the guy that beat you up / And ask him to take you back / Don’t roll your big blue eyes at me.«

Andy Nevison starb am 27. März 2012 im Alter von 74 Jahren in Recklinghausen.