Die Klage gegen die Bestandsdatenauskunft

Die Polizei in deinem Postfach

Name, Adresse, Passwörter und Pin-Nummern – all das können Ermittlungsbehörden dank der Bestandsdatenauskunft künftig ohne weiteres von Internet- und Handynutzern abfragen. Der Protest gegen das neue Gesetz blieb wirkungslos. Eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht scheint hingegen erfolgversprechend zu sein.
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Falschparker und Raser können anhand des Nummernschildes identifiziert werden. Die Verfolgung von Delikten wie Mobbing und Betrug im Internet war bislang nicht so einfach. Deshalb hat der Bundestag im März mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP und SPD die sogenannte Bestandsdatenauskunft beschlossen, der Bundesrat hat ihr vor knapp zwei Wochen zugestimmt. Mit einer Änderung des Telemediengesetzes werden Provider und Dienstanbieter verpflichtet, die Identität ihrer Kunden gegenüber Ermittlungsbehörden offenzulegen. Das wurde nötig, weil das Bundesverfassungsgericht die bisherige Regelung beanstandet hatte. Allerdings gehen die neuen Bestimmungen weit über die alten hinaus.

Das Bundeskriminalamt und andere Polizeibehörden, Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst, militärischer Abschirmdienst und Zoll können künftig ohne weiteres auf die Bestandsdaten der Telekommunikationsanbieter zugreifen, die sogar eine Schnittstelle zur automatisierten – und damit wohl auch massenhaften – Abfrage schaffen müssen. Die herauszugebenden Daten umfassen Name, Anschrift und Telefonnummer, die Bankverbindung, Passwörter sämtlicher E-Mail-Adressen bis hin zu den Zugangsdaten von Diensten wie Dropbox. Sogar die Pin-Nummer des Mobiltelefons gehört dazu. Damit erlangen die Behörden Zugang zu fast allen Kommunikationsdaten verdächtiger Personen. So könnte beispielsweise ein auf einer Demonstration konfisziertes Handy noch vor Ort von Polizisten entsperrt und auf verdächtige Nachrichten, Bilder und andere Informationen hin durchsucht werden, ohne dass der Eigentümer die Pin noch selbst preisgeben müsste. Sogar »De-Mail« ist davon betroffen, ein Dienst, der ursprünglich dazu gedacht war, per Verschlüsselung die vertrauliche Kommunikation mit Behörden und Geschäftspartnern zu gewährleisten.
Eine Beschränkung auf Einzelfälle oder schwere Straftaten ist genauso wenig vorgesehen wie ein Richtervorbehalt. Im Gegenteil, die Neuregelung soll explizit nicht nur die Strafverfolgung vereinfachen, sondern auch im Rahmen der Gefahrenabwehr und der Bekämpfung des internationalen Terrorismus eingesetzt werden. Und selbstverständlich geht es auch um die Durchsetzung von Rechten an geistigem Eigentum. Die verletzt nicht nur, wer massenhaft Filme und Musik in Tauschbörsen verbreitet: Mit etwas Pech genügt es beispielsweise, ein urheberrechtlich geschütztes Foto auf Facebook zu »teilen«, um die Anfrage und eine Ermittlung in Gang zu setzen, zumindest wenn sich der amerikanische Konzern an deutsches Recht gebunden fühlt.
Natürlich ist nicht zu erwarten, dass künftig massenhaft Bagatelldelikte verfolgt werden – schließlich sind die Gerichte überlastet und stellen Verfahren gegen Filesharer in der Regel ein. Aber gerade wegen des fehlenden Richtervorbehalts und weil die Abfrage bereits erfolgen kann, bevor ein Gerichtsverfahren eröffnet wird, droht Willkür. Wo einmal Zugriff besteht, können schließlich auch Dinge gefunden werden, nach denen ursprünglich gar nicht gesucht wurde. Um beim Vergleich mit dem Falschparker zu bleiben: Statt nur ein Knöllchen hinter den Scheibenwischer zu klemmen, bekäme der Polizist einen Nachschlüssel, mit dem er gleich den Kofferraum öffnen und das Handschuhfach durchwühlen könnte.

Organisationen wie Reporter ohne Grenzen, der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, das Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen und die Neue Richtervereinigung hatten an die Ministerpräsidenten der Länder appelliert, die Gesetzesänderung abzulehnen. »Die Vertraulichkeit und Anonymität der Internetnutzung steht auf dem Spiel, wenn staatlichen Behörden der weitreichende Zugang zu unserer Internetnutzung und zu unseren privatesten Daten möglich gemacht wird«, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung gegen das Gesetz zur Bestandsdatenauskunft. Anonymität und Vertraulichkeit sind aber Voraussetzungen für medizinische, psychologische und juristische Beratung und den Kontakt zu Informanten.
Netzaktivisten und die Piratenpartei riefen angesichts des Gesetzesvorhabens zuletzt im April zu bundesweiten Demonstrationen auf, die zwar in vielen Städten stattfanden, aber im ganzen Land nur einige tausend Menschen auf die Straße brachten. Das war kein Vergleich zu den Groß­demonstrationen gegen die Vorratsdatenspeicherung oder gegen Acta vor einem Jahr. Das ist bedauerlich, wurden doch in das internationale Handelsabkommen Acta allerlei Bedrohungen hineininterpretiert, die der Vertragstext nüchtern betrachtet nicht hergibt, während die Bestandsdatenauskunft einen tiefen Eingriff in die Grundrechte der Bürger darstellt. Unter Netzaktivisten herrscht deshalb Krisenstimmung, schließlich waren schon die jahrelangen Bemühungen erfolglos, das Leistungsschutzgesetz für Presseverleger zu verhindern. Angesichts immer neuer Überwachungsgesetze und Eingriffe in die Grundrechte scheint die Netzgemeinde Ermüdung und Resignation zu zeigen.
Dass die Gesetzesänderung im kommenden Herbst zum Gegenstand von Koalitionsverhandlungen wird wie 2009 das Gesetz für Netzsperren, ist unwahrscheinlich, schließlich haben außer den Grünen und der Linkspartei alle dafür gestimmt. Im Bundesrat hatte das grün-rot regierte Baden-Württemberg noch versucht, die Abstimmung zu verhindern und das Gesetz in den Vermittlungsausschuss zu überweisen, um es wenigstens abzumildern – vergeblich. Es tritt ab dem 1. Juli in Kraft. Der grüne Netzpolitiker Konstantin von Notz ist sich allerdings sicher, dass das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht keine Chance haben wird. Politiker der Piratenpartei wollen eine Verfassungsbeschwerde einreichen und hoffen auf viele Mitkläger für eine Sammelklage. Vertreten lassen sie sich von dem Berliner Rechtsanwalt Meinhard Starostik, der bereits erfolgreich gegen die Vorratsdatenspeicherung vor das Gericht gezogen ist.

Wenn das Bundesverfassungsgericht die Klage annimmt, dürften allerdings noch Jahre vergehen, bis es zu einer Verhandlung und einem Urteil kommt. Wer sich schützen möchte, sollte seine E-Mail und andere Daten nur noch verschlüsselt auf der eigenen Festplatte speichern oder Cloud-Dienste ausländischer Firmen verwenden, die nicht den deutschen Gesetzen unterstehen – ein bitterer Schritt, gelten für diese Dienste doch in aller Regel weniger strenge Datenschutzbestimmungen als in Deutschland. Verschlüsselung ist dem Durchschnittsanwender außerdem zu kompliziert und lästig, während Terroristen, Kriminelle und gewerbsmäßige Schwarzkopierer – gegen die sich das Gesetz erklärtermaßen richtet – über ein ganzes Arsenal von Techniken verfügen, ihr Treiben zu verschleiern. Wer den Umgang von Ermittlungsbehörden mit vermeintlichen Linksextremisten – zum Beispiel auf Demonstrationen – kennt, dürfte ahnen, welche Auswirkungen das neue Telemediengesetz haben wird. Jemand ohne viel technisches Know-how kann eigentlich nur sichergehen, indem er vollständig auf Internet und Smartphone verzichtet.