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Dass die straighte Jungle World irgendwann ein bisschen queerer wurde, lag ganz sicher an Tim Stüttgen. Rund zehn Jahre ist es her, dass Tim für unsere Zeitung zu schreiben begann, über HipHop, Queerness, Post-Porn, Black Cinema, Postcolonial Studies, Fernsehserien und über Literatur jenseits des Suhrkamp-Hanser-­Fischer-Kanons. Für viele war Tim Stüttgen eine der wichtigsten Stimmen in der Jungle World, für manche schlicht ein Lieblingsautor. Er begeisterte sich und uns für Themen, die noch nicht auf der Agenda des Feuilletons standen. Ihn interessierte, was der kulturelle Mainstream unterschlug, verkannte, verfemte und verachtete. Die Sichtbarmachung marginalisierter und minoritärer Identitäten war für ihn gleichermaßen eine politische Strategie wie eine Herzensangelegenheit. Tim war vor allem auch ein großartiger Interviewer, der viele schöne Gespräche für die Jungle World geführt hat. Mal sprach er mit Thomas Vinterberg über Jungsein und Aggressionen und entlockte ihm den Satz »Ich bin Pazifist, mich faszinieren Waffen«, mal erörterte er mit der Queer-Aktivistin und Verfasserin des »Kontrasexuellen Manifests«, Beatriz Preciado, den Widerstand gegen die Normierung der Körper. Die Regisseure Ulrich Seidl, Christian Petzold und Andreas Dresen waren ebenso seine Interviewpartner wie Rapper Mr. Lift oder die Theoretikerin Judith »Jack« Halberstam. Tim ließ die Leute spüren, dass er sich mit ihren Arbeiten beschäftigt hatte.
Auch in dieser Ausgabe ist Tim wieder vertreten und schreibt im Dschungel über die grandiose britische Sci-Fi-Serie »Black Mirror«, in der es um moderne Technikparanoia geht. Und so hätte es weitergehen können. Wir hatten noch viele weitere Artikel verabredet und in Planung. Aber kurz vor Redaktionsschluss erreichte uns die schockierende Nachricht von Tims Tod. Die Jungle World verliert einen wichtigen und liebenswerten Autor, der von nun an fehlen wird.