War in Paris bei der Gründung des Iranischen Nationalrats für freie Wahlen dabei und traf nicht nur Monarchisten

Ihre Majestät lädt nach Paris

Vor den Präsidentschaftswahlen im Iran haben Vertreter der iranischen Exilopposition in Paris den »Iranischen Nationalrat für freie Wahlen« gegründet. Zu ihrem Sprecher wurde der Sohn des 1979 gestürzten Shahs gewählt.

»Ich bin kein Monarchist, aber Reza ist ein cooler Typ«, sagt Omid Pouryousefi, der ein Jugendkulturhaus in Bochum leitet. Er ist außerdem Schriftsteller, SPD-Mitglied und neuerdings einer von 500 Delegierten des Iranischen Nationalrats für freie Wahlen im Iran. Bei einer Skype-Konferenz iranischer Politaktivisten hat er Reza Pahlavi kennengelernt, den Sohn des 1979 durch die Revolution gestürzten letzten Shahs des Iran. »Als Republikaner kann ich Sie nicht ›Ihre Majestät‹ nennen«, habe er ihm gesagt und gefragt, ob er ihn einfach »Herr Pahlavi« nennen dürfe. »Pahlavi hat geantwortet, ich könne ihn ›einfach nur Reza‹ nennen«, erzählt Pouryousefi.
Gemeinsam haben der Kronprinz und der Kulturschaffende mit über 20 000 weiteren Unterzeichnern eine provisorische »Charta des Iranischen Nationalrats für Freie Wahlen« unterschrieben, dessen Gründungskongress am 27. und 28. April 2013 stattgefunden hat. Die Bewegung hat ehrgeizige Ziele: den Sturz des gegenwärtigen iranischen Regimes durch zivilen Ungehorsam und ein anschließendes Referendum über eine demokratische Verfassung. Ferner ruft der Nationalrat insbesondere die Funktionäre der Islamischen Republik dazu auf, sich ihm anzuschließen.
Tagungsort des Gründungskongresses ist das Maison de la Chimie, ein Kongresszentrum im Art-Deco-Stil in der Rue Saint-Dominique, nahe dem Place des Invalides. Von den 500 online gewählten Delegierten haben sich hier etwas mehr als 200 eingefunden, der Rest verfolgt die Veranstaltung zum Teil über Skype und stimmt im Internet bei den Wahlen zum Sprecher, dem Hohen Rat, dem Politbüro und der endgültigen Fassung der Charta des Nationalrats ab. Über die Feinheiten der Charta diskutieren die Delegierten fast einen ganzen Tag lang. Das Erstaunlichste an diesem Kongress ist die Tatsache, dass sich hier Repräsentanten nahezu aller Gruppen der iranischen Opposition eingefunden haben. Überraschend viele Teilnehmer bezeichnen sich als »Sozialdemokraten«, teilweise auch als »monarchistische Sozialdemokraten«, wie etwa auch Pahlavis junger Rechtsberater, Sahand Saber, der in Paris lebt. Gemeinsam mit einer Gruppe junger Aktivisten gehört Saber zu den maßgeblichen Organisatoren des Kongresses. Unterstützung bekam er nicht zuletzt von Amir-Abbas Fakhravar und dessen Organisation, der Konföderation Iranischer Studenten. Der ehemalige politische Gefangene ist nicht nach Paris gekommen, verfolgt aber den Kongress auf Skype. Bis zu ihrer Auflösung in den siebziger Jahren war die Konföderation Iranischer Studenten so etwas wie das iranische Pendant zum deutschen SDS. Sie fungierte als demokratischer Dachverband linker und linksnationalistischer Oppositionsgruppen gegen das Regime von Reza Pahlavis Vater, gegen dessen Herrschaft einige sogar bewaffnet kämpften.
Mit dem historischen Vorbild der links beziehungsweise linksnationalistisch ausgerichteten Konföderation aus den sechziger und siebzieger jahren hat Amir Fakhravars Konföderation nicht viel gemeinsam. Der Vorsitzende Fakhravar steht bekanntlich den amerikanischen Neokonservativen nahe. Richard Perle, ehemaliger Berater des US-Verteidigungsministeriums, der für seine aktive Befürwortung des Irak-Kriegs bekannt ist, bezeichnet Fakhravar gerne als seinen »Paten«. Als sich Fakhravar 2005 bei einem Freigang aus der politischen Abteilung des Envin-Gefängnisses in Teheran nach Dubai absetzte, holte ihn Richard Perle dort persönlich ab und stellte ihn dem damaligen Präsidenten George W. Bush vor.
Im Nationalrat ist auch das schiitisch-muslimische Lager vertreten. Zum Beispiel unterstützt der im Yazd inhaftierte Ayatollah Hossein Kazemeyni Boroujerdi den Nationalrat. Boroujerdi ist zwar ein erzkonservativer schiitischer Mullah, hält aber Khomeinis Interpretation des Islam, die Theorie der »Herrschaft des islamischen Rechtsgelehrten«, für Häresie und fordert die strikte Trennung von Staat und Religion. Sogar ein Mitglied des iranischen Pseudoparlaments, dem Majles, soll den Nationalrat unterstützen, sein Name muss aber geheim bleiben, ihm droht sonst die Todesstrafe. Der Majles wird zwar vom Volk gewählt, die Kandidaten werden aber erst durch den mit konservativen Klerikern besetzten und vom religiösen Führer Khamenei kontrollierten Wächterrat auf ihre Loyalität zum Islam bzw. zum Regime geprüft.
Mohammed-Reza Heydaris, der gemeinsam mit der Menschenrechtlerin Zarin Mohyadin und Nasr Mohammadi, Chefredakteur der persischsprachigen Londoner Tageszeitung Keyhan, die Kongresssitzungen moderiert, ist der bisher ranghöchste Überläufer aus den Reihen des Regimes. 2009 kündigte Heydari, der damals Konsul der Islamischen Republik Irans in Schweden war, dem Regime seine Loyalität und initiierte die »Green Embassy Campaign«, in der sich iranische Diplomaten organisierten, die sich wie Heydari abgesetzt haben (Jungle World 6/2011). Die Zusammensetzung des Panels sowie Heyadaris Anwesenheit sollen demonstrieren, dass es sich beim Iranischen Nationalrat für Freie Wahlen nicht, wie das iranische Regime sicherlich behaupten wird, um eine Veranstaltung ergrauter Fans der verflossenen Monarchie handelt.

Aber wo Pahlavi zur Politik ruft, eilen natürlich auch verschiedenste Anhänger einer iranischen Monarchie herbei. Für Podiumsmoderator Mohammadi steht fest: »Für mich ist Reza Pahlavi heute schon unser König, wie er es auch die letzten 30 Jahre gewesen ist.« Ein Großteil der Delegierten reagiert mit donnerndem Applaus, aber auch vereinzeltes Kopfschütteln ist zu beobachten. Den einen oder anderen der alten Herren mit großer geschwungener Adlernase und mächtigem Schnurrbart kann man sich leicht als ehemaligen kaiserlichen General vorstellen. Im Mikrokosmos der iranischer Monarchisten zwischen den Anhängern einer konstitutionellen Monarchie nach europäischem Vorbild und denen eines absolutistischen Despotismus, wie ihn die Regime von Reza Pahlavis Vater und Großvater vertraten, hat jede denkbare Variante ihre eigene kleine Partei. Insgesamt soll es gut drei Dutzend davon geben. Die moderateste von ihnen ist die Partei der iranischen Konstitutionalisten, deren Ortsverband vollständig aus Washington angereist ist. »Als wir in den achtziger Jahren an Reza Pahlavi herangetreten sind und seine Unterstützung für unsere Partei gewinnen wollten, hat er uns erst einmal eine Lektion über die Rolle eines Monarchen erteilt«, erinnert sich Cina Dabestani, Konstitutionalist aus Washington, während er über seinen Schnurrbart streicht. Ein Monarch habe nicht zu einer bestimmten politischen Partei zu gehören, er repräsentiere immer die ganze Nation. Pahlavi selbst vermeidet es tunlichst, den Eindruck zu vermitteln, dass er sich seinem Volk als neuer Herrscher aufdrängen will.

Seit 2009, aufgerüttelt durch die iranische Protestbewegung und den Tod der Demonstrantin Neda Agha-Soltan, engagiert sich Pahlavi verstärkt für Demokratie und Menschenrechte im Land, das er im Alter von 17 als politischer Flüchtling verlassen hat. 2010 zeigte er den religiösen Führer beim internationalen Strafgerichtshof wegen Verbrechen gegen die Menschheit an, auch wenn die Anzeige keine Erfolgsaussicht hat. Der Iran hat den entsprechenden internationalen Vertrag nicht unterschrieben und untersteht damit nicht der Jurisdiktion des Gerichts. Nun hat Pahlavi sein ganzes politisches Gewicht der Bildung des »Iranischen Nationalrats für freie Wahlen im Iran« gewidmet.
Reza Pahlavi umgibt sich dabei offensichtlich lieber mit einer kleinen Truppe jugendlicher Anhänger, als mit jenen grau- bis weißhaarigen oder kahlköpfigen Delegierten, die ihre Redebeiträge gerne nutzen, um langatmig ihre Treue zur Krone zu bekunden. Einer von ihnen stellt sich sogar als General des berüchtigten Geheimdienstes von Pahalvis Vaters, dem Savak, vor. »So wie ich Ihrem Vater gedient habe, so möchte ich auch Ihnen dienen!« sagt er mit stolz geschwellter Brust, was Pahlavi mit einem mühsam erzwungenen Lächeln quittiert. Innerlich wird sich der so inständig um ein demokratisches, progressives und modernes Image bemühte Prinz bei dieser Äußerung vermutlich die Haare raufen. Bei jedem Auftritt klagt Pahlavi freie Wahlen, Presse- und Versammlungsfreiheit für das Land ein, aus dem er verstoßen wurde. Er stellt sich hinter Gewerkschafter und Feministinnen. Er sei außerdem nicht sein Vater und er müsse sich daher auch nicht, wie gelegentlich von ihm gefordert wird, für die Verbrechen, die unter dessen Diktatur begangen wurden, entschuldigen.
Die Charta des Nationalrats enthält neben dem Bekenntnis zu freien Wahlen, Menschenrechten und Demokratie auch Passagen, die durchaus heftig diskutiert werden. Dabei geht es vor allem um den »Föderalismus-Artikel«, den Artikel 11. Wutschnaubend erklärt ein Delegierter: »Schon die Diskussion über Föderalismus ist unerträglich und führt zwangsläufig zur Zerstörung unseres Landes.« In der ursprünglichen Fassung der Charta war zunächst von der »Möglichkeit« einer zukünftigen föderalistischen Verfassung die Rede, was etliche Teilnehmer bereits inakzeptabel fanden. Die seit langem existierenden separatistischen Bestrebungen unter Kurden, Azeris, Belutschen und den Arabern in Chuzestan sind bei den meisten Iranern alles andere als beliebt. Dieser Umstand ist nicht ausschließlich Ausdruck eines persischen Nationalchauvinismus. Die kurdischen Separatisten würden, wie Mohammed Schams, Übersetzter und Delegierter aus Berlin, im Gespräch erklärt, eine »geradezu völkische Vorstellung von Autonomie« verfolgen, »das wäre, wie wenn in Bayern nur ethnische Bayern wählen und politische Ämter ausüben dürften«. Der Artikel wurde schon vor dem Kongress abgeschwächt und das Wort »föderales System« durch »dezentrales System« ersetzt.
Ein weiterer Streitpunkt ist der »Kriegsartikel«, der Artikel 4, der besagt, dass der Nationalrat jede Art von »militärischem Angriff« gegen den Iran durch eine fremde Macht ablehnt. Ein Delegierter will wissen, was denn im Falle »eines Bürgerkriegs wie in Syrien« passieren werde. Könnte da eine Intervention von außen nicht berechtigt sein? Amir-Abbas Fakhravar von der Konföderation schaltet sich per Skype in die Diskussion ein und fordert, den Artikel ganz zu streichen. Er sei unsinnig, wenn es zum Beispiel zu einer Eskalation im Atomkonflikt käme, könnte der Nationalrat ohnehin die Entscheidungen der internationalen Gemeinschaft nicht beeinflussen. »Aber wenn ich ein Syrer wäre«, erklärt Fakhravar später im Gespräch, »würde ich mir doch wünschen, dass eingegriffen wird, um endlich diesen Irren, Assad, loszuwerden, der Zehntausende auf dem Gewissen hat«. Dass es zu einem Bürgerkrieg wie in Syrien kommt, hofft er nicht, er sei auch für den Weg de zivilen Ungehorsams. Über den Föderalismus und andere verfassungsrechtliche Details vor dem Sturz des Regimes zu diskutieren, erklärt Fakhravar ohnehin für »Unsinn«. Dies sei nicht die Aufgabe des Nationalrats, sondern einer im Anschluss an freie Wahlen sich bildenden verfassungsgebenden Versammlung.
Die Charta und die Struktur des Nationalrats sind entsprechend dem französischen Vereinsgesetz verfasst worden. Die Organisation soll zwar international sein, ist aber rechtlich ein in Frankreich eingetragener Verein mit Hauptsitz in Paris. Grund dafür sind die geographische Lage im Zentrum Europas und die Symbolwirkung von Paris als Stadt der Deklaration der Menschenrechte. Nicht zuletzt genießen Pahlavi und sein jugendliches Team durch ihr eigenes Büro in der Stadt gegenüber den meisten anderen Gruppen auch einen deutlichen Heimvorteil.
Dass sich nun so viele unterschiedliche Gruppen in Paris zusammengeschlossen haben, ist sicherlich vor allem der Autorität Pahlavis zu verdanken – insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass er am Ende auch von der Mehrheit der Delegierten zum Sprecher des Nationalrats gewählt wird. Auch die meisten Sitze im Hohen Rat und dem Politbüro gehen an seine Anhänger.
Die Delegierten demonstrieren in Paris eine Einheit, die für die iranische Exilopposition beeindruckend und als qualitativer Fortschrittanzusehen ist. Seit Jahrzehnten setzt das Regime viel Geld und schmutzige Tricks ein, um Oppositionelle gegeneinander aufzuhetzen. Dabei gelingt es den iranischen Dissidenten auch ohne die Hilfe des Regimes, sich gegenseitig Kollaboration mit den Geheimdiensten vorzuwerfen. Misstrauen, Verdächtigungen und Verratsvorwürfe sind unter iranischen Oppositionsgruppen nicht ungewöhnlich. Inwiefern sie auch berechtigt sind, ist für Außenstehende nahezu unmöglich zu beurteilen. Dabei muss man durchaus davon ausgehen, dass das Regime auch heute die Auslandsopposition durch Unterwanderung, Bestechung, Erpressung und Drohungen stark manipuliert (Jungle World 6/2010). Ob nun ausgerechnet dieser neue Nationalrat innerhalb der iranischen Auslandsopposition, und erst recht im Iran selbst, die notwendige Anerkennung finden wird, darüber ist damit noch gar nichts gesagt, aber zumindest ist Pahlavi jetzt der demokratisch gewählte Sprecher eines relativ heterogenen Oppositionsbündnisses. Autoritäre Regierungen stürzt man allerdings nicht durch Vereinsgründungen. Das wissen selbstverständlich auch die Delegierten des Iranischen Nationalrats für Freie Wahlen. Gemäß dessen Charta soll das Regime durch »gewaltfreien zivilen Ungehorsam« gestürzt werden. Die Hoffnungen richten sich somit ganz auf die iranische Bevölkerung und darauf, dass Funktionäre des Regimes sich auf die Seite des Nationalrats schlagen. Inwieweit das eintritt, bleibt abzuwarten.