Terror gegen Gewerkschafter in Kolumbien

Organisation trotz Terror

Kolumbien bleibt weltweit das gefährlichste Land für Gewerkschafter, aber der Organisationsgrad ist dank internationaler Gewerkschaftsföderationen erstmals seit langem wieder gestiegen.

»Meine Frau nahm den Anruf entgegen. Eine männliche Stimme warnte sie, sie solle besser auf mich aufpassen. Das war am 6. Januar. Am nächsten Tag gab es einen zweiten Anruf und gegenüber von unserer Wohnung baute sich ein Bewaffneter auf«, erinnert sich Aldo Rául Amaya. Damals bereitete der kolumbianische Gewerkschafter mit seinen Kollegen gerade die Verhandlungen über den neuen Tarifvertrag mit dem Konsortium der Cerrejón-Mine vor. Sie liegt im Norden Kolumbiens auf der Halbinsel La Guajira, im Jahr werden dort rund 32 Millionen Tonnen Steinkohle im offenen Tagebau gefördert – auch für deutsche Kraftwerke. Betreiber der derzeit größten Mine Lateinamerikas sind BHP Billiton, Anglo American und Xstrata, drei der größten Bergbauunternehmen.

Ob die Morddrohungen gegen ihn und seinen Kollegen Igor Díaz, den Präsidenten der Gewerkschaft der Kohlearbeiter den Sintracarbón, etwas mit ihrem gewerkschaftlichen Engagement zu tun haben, kann Amaya nicht sicher sagen. »Ich mache allerdings kaum etwas anderes als meinen Job als Gewerkschafter«, sagt der 45jährige mit ruhiger Stimme. Nach wie vor stehen die Gewerkschaften in Kolumbien im Mittelpunkt des Terrors. Am Ostersonntag verschickte eine der größeren in den Drogenhandel verstrickten paramilitärischen Gruppen, »Los Rastrojos«, ein Pamphlet. In dem drohte sie zahlreichen bekannten Gewerkschaftern, Anwälten, Abgeordneten und Menschenrechtsaktivisten mit dem Tod. In Kolumbien ist das Alltag, seit 1984 sind der nationalen Gewerkschaftsschule (ENS) in Medellín zufolge fast 3 000 Gewerkschafter ermordet worden. »Im vorigen Jahr wurden 20 Morde registriert«, so Guillermo Correa Montoya, der seit Mitte April die Schule als Direktor leitet. »Alle Ermordeten hatten eine leitende Funktion, hinter den Morden steckt System«, sagt der 40jährige Wissenschaftler. Zu seinen Aufgaben gehört es, neue Konzepte gewerkschaftlicher Organisation zu entwickeln und die Arbeitervertreter vor, während und nach den Tarifkonflikten zu beraten. Das gelingt derzeit recht gut.
Der Tarifvertrag, den Sintracarbón für die 5 200 festangestellten Arbeiter der Steinkohlemine ausgehandelt hat, ist ein großer Erfolg. Die Lohnerhöhung liegt deutlich über dem Inflationsausgleich, die Krankenversorgung konnte verbessert werden und auch für die nicht festangestellten Arbeiter wurden Verbesserungen erreicht. So erhielten immerhin 630 von 900 Zeitarbeitern Verträge über vier Jahre, zuvor betrug die Laufdauer nur sechs bis zwölf Monate. Zudem sollen die Versuche intensiviert werden, die Leiharbeiter zu organisieren und deren Arbeitsverhältnisse zu formalisieren, berichtet Amaya. Diese Erfolge sind auch auf die Beratung und Unterstützung aus Medellín zurückzuführen. Dort arbeiten rund 50 Experten für Arbeitsrecht, Organisation und Kommunikation daran, wie sich die Gewerkschaften in Kolumbien stärken lassen.
Das ist nicht einfach, denn die Bedingungen sind oft ungünstig. Für die Gründung einer Arbeitervertretung sind beispielsweise mindestens 25 Organisationswillige nötig. »Eine Vorgabe, die im internationalen Vergleich so nicht existiert und uns das Leben unnötig schwer macht. Gleiches gilt für die laxen staatlichen Kontrollen«, kritisiert Montoya die kolumbianischen Besonderheiten. Die machen es möglich, dass Unternehmer durch Entlassung von Aktivisten immer wieder die Gründung von Betriebsgewerkschaften verhindern. Auch Lügendetektoren sind bei der Befragung von missliebigen Kollegen schon zum Einsatz gekommen, wie das Beispiel von DHL in Kolumbien zeigt. Bei dem deutschen Logistikkonzern werde die Gründung einer Gewerkschaft mit allen Mitteln verhindert, kritisieren Mitglieder der ENS. Das sei kein Einzelfall, denn von 15 in Kolumbien aktiven deutschen Unternehmen hätten laut einer Studie der ENS gerade einmal zwei eine unabhängige Gewerkschaft, berichtet Edwin Villamil, der Verantwortliche für Organisation an der Gewerkschaftsschule. »Deutsche Unternehmen verhalten sich hier anders als zu Hause«, so Villamil. Oft müsse er sich nach Feierabend in Parks, Cafés oder Bars heimlich mit den Kollegen treffen, um sie bei ihren Bemühungen um Organisation zu unterstützten. Der aufmerksame Wachschutz oder auf Seiten des Unternehmens stehende Kollegen könnten dies sonst torpedieren.

Trotz aller Schwierigkeiten und Drohungen gibt es immer mehr gewerkschaftliche Neugründungen. Anfang April wurde die Gewerkschaft der Hausangestellten, UTRASD, in Medellín gegründet, vor drei Monaten entstand die Gewerkschaft der Angestellten des Baumarkts Sodimac, Sintrasodimac, und bereits vor 15 Monaten erfolgte die Gründung der Gewerkschaft der Beschäftigten von Carrefour. In ihr sind derzeit rund 4 000 der 10 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Supermarktkette organisiert. Ein derart hoher Organisationsgrad ist in Kolumbien selten. »Landesweit liegt unser Organisationsgrad bei etwa fünf Prozent – Tendenz leicht steigend«, sagt Montoya. Noch vor zwölf Monaten waren nur rund vier Prozent der Beschäftigten in Kolumbien gewerkschaftlich organisiert, zu den Erfolgen gehören neben der Entwicklung bei Carrefour auch die laufenden Gespräche mit den Stadtwerken von Medellín und Bogotá über Tarifverträge und den Abbau der Hürden für die gewerkschaftliche Arbeit.
Einfacher ist oft der Prozess mit global agierenden Großkonzernen wie Carrefour. Dort können Kolumbiens Gewerkschaften über internationale Rahmenabkommen Druck ausüben. »Das internationale Abkommen mit UNI Global Union, der Gewerkschaftsföderation im Dienstleistungsbereich, war der Türöffner für uns« erklärt Luz Marina Díaz mit einem erleichterten Lachen. »Auf dessen Umsetzung haben wir schließlich für Kolumbien gepocht«, erzählt sie. Sie ist die Präsidentin der Gewerkschaft bei Carrefour, die nun in mehr als 70 Supermärkten der Kette in Kolumbien vertreten ist. In Kolumbien, wo die Gewerkschaften im öffentlichen Sektor noch relativ stark sind, aber im privaten Sektor in den vergangenen Jahrzehnten immer schwächer wurden, ist dies keine Selbstverständlichkeit. Noch Mitte der achtziger Jahre lag der landesweite Organisationsgrad bei rund 20 Prozent – da begann der Terror gegen die Arbeiterorganisationen. Seitdem prägen Stereotype den Umgang mit den Gewerkschaften. »Die Gründung einer Betriebsgewerkschaft wird oft als erster Schritt zum Untergang eines Unternehmens bezeichnet«, sagt Villamil. Dass es auch anders geht, zeigen zahlreiche Beispiele, wie das von Argos, dem größten Zementhersteller Kolumbiens. Dort wurde 2006 nach langen Jahren der Konflikte ein Abkommen zwischen Gewerkschaften und Unternehmen geschlossen. »Seitdem hat es keinen Arbeitskonflikt mehr gegeben und das Unternehmen wächst«, bestätigt Personalchef César Augusto Mejia. Aber auch die Erfahrungen bei der Mine Cerrejón, wo 4 000 der 5 200 Festangestellten gewerkschaftlich organisiert sind, zeigen, dass Unternehmen auch mit einer kämpferischen Gewerkschaft satte Profite machen können. »Cerrejón transferierte jedes Jahr immense Summen ins Ausland. Bei der lokalen Bevölkerung und auch bei uns Arbeitern bleibt zu wenig von den Reichtümern, die hier abgebaut werden«, erklärt Aldo Rául Amaya. »Das Unternehmen macht riesige Gewinne und daran wollen wir teilhaben«. Dafür hat der letzte Tarifabschluss nach 32 Tagen Streik durchaus etwas gesorgt.