Über den Parteitag der Piraten

Privileg Mitbestimmung

Der Antrag auf eine »Ständige Mitgliederversammlung« scheiterte beim Parteitag der Piratenpartei.

Transparent, sich nicht verbiegend, internetaffin und jeder kann mitmachen – so ungefähr lautet die Einschätzung von Mitgliedern der Piratenpartei, wenn sie darauf angesprochen werden, was ihre Partei von anderen unterscheide. Beim Parteitag am Wochenende im oberpfälzischen Neumarkt zeigte sich eindrücklich, wie wenig Eigenwahrnehmung und Realität miteinander zu tun haben – aber auch, dass die Piraten weiter links stehen, als es ihre rechten Mitglieder wahrhaben wollen. Gleich zu Beginn sah alles nach einem epochalen Fehlstart aus. Der Bundestagskandidat Bruno Kramm hielt eine Durchhalterede, ein umjubeltes Prachtstück populistischer Plattitüden, in dem es vor »damit muss Schluss sein«, wiederherzustellender Menschenwürde, zu bekämpfenden Eliten und Feudalisten nur so wimmelte, und die in der eigenartigen Feststellung gipfelte: »Wir sind keine Klassenkämpfer und Ideologen. Wir sind die, die Kooperation über Konfrontation stellen.« Das ließ nicht vermuten, dass die Versammlung stark im Erfassen von Inhalten sein würde.
Vielleicht hatten das auch Christian Jacken und seine mehr als 20 Unterstützer gehofft. Jacken, der das parteiinterne Abstimmungstool Liquid Feedback mitentwickelt hatte, wollte vordergründig für den Posten des politischen Geschäftsführers kandidieren, der nach dem Rücktritt Johannes Ponaders vakant geworden war. In Wirklichkeit sollte seine Rede wohl eine Werbung für die rechtspopulistische »Alternative für Deutschland« (AfD) sein, der er zuvor im Vertrauen darauf beigetreten war, dass laut Satzung der Piratenpartei Doppelmitgliedschaften erlaubt sind. Jackens Ausführungen über den ESM, den Euro und die AfD führten dazu, dass Parteitagsteilnehmer massenhaft den Saal verließen, kurz darauf wurde, kurzfristig anberaumt, ein Unvereinbarkeitsbeschluss getroffen. Jacken, in Neumarkt von immerhin 29 Piraten gewählt, erhielt, nachdem er weiter Reklame für seine neue Partei gemacht hatte, schließlich Hausverbot, das erst mit Hilfe der Polizei durchgesetzt werden konnte.

Immerhin, der Skandal sei offen und transparent behandelt worden, trösteten sich die Piraten – nicht ahnend, dass einige ihrer Bundestagskandidaten in einem Nebenraum den Zorn anwesender Pressevertreter und der eigenen Pressestellenmitarbeiter auf sich zogen. Ohne dies mit der Partei abzusprechen, hatten sie sich nämlich einen eigenen Berater zugelegt, der bei unliebsamen Fragen einschritt. Dass man damit wirbt, sich für Wählerstimmen nicht zu verbiegen, hatten die Kandidaten aus Sorge um ihr Image wohl vergessen.
Auch das Mitmachen erwies sich als schwieriger als gedacht. Die »Ständige Mitgliederversammlung« (SMV) sollte ausgerechnet durch die privilegierten Piraten beschlossen werden, die über genügend Zeit und Geld für Anreise zum und Aufenthalt beim Parteitag verfügen. In manchen Statements klang entsprechend durch, dass man sich dieses Privileg nicht nehmen lassen möchte. Obwohl einige SMV-Befürworter Mühen auf sich nahmen, scheiterte die Mitbestimmung am Ende an 23 Stimmen.

»Es ist zum Kotzen«, sagte Oliver Höfinghoff, der für die Piratenpartei im Berliner Argeordnetenhaus sitzt, der Jungle World. »Wir waren ganz knapp davor, eine coole Partei zu werden – ausgerechnet die Antragssteller saßen bei der Abstimmung aber schon im Zug, weil sie die letzte Möglichkeit, zurück nach Mecklenburg-Vorpommern zu kommen, nicht verpassen durften.« Ein weiterer Antrag, der angenommen wurde, »gibt aber Grund zur Hoffnung, denn er sieht eine Urwahl vor, damit können dann bei den nächsten Wahlen zum Bundesvorstand wenigstens alle mitmachen«.
Im Hickhack um AfD, SMV und die richtige Außendarstellung ging allerdings eine bahnbrechende Entscheidung des Parteitags unter. Der Beschluss zur Asylpolitik sieht unter anderem eine Ausweitung der Asylgründe auf Hungersnöte, Katastrophen, Verfolgung wegen sexueller Orientierung und institutionelle Diskriminierung, wie sie beispielsweise Roma in einigen Balkanländern ausgesetzt sind, vor. Dazu möchte man die Residenzpflicht, den Abschiebegewahrsam und das Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen. Harry Liebs, der bereits vor einigen Wochen aus der Piratenpartei ausgetreten ist, wertet diesen Parteitagsbeschluss als ganz großen Wurf. Das Asylrecht wiederherzustellen, werde allerdings »ein hartes Stück Arbeit«, befürchtet er. Dafür brauche es »jahrelange Kampagnen, Bündnisse mit vielen Gruppen und anderen Parteien und ganz viel Klüngelei«. Ob die Politiker der Piratenpartei das auch praktisch schaffen werden, bezweifelt er, denn wie wollen sie »mit Gruppen arbeiten, die ihre Transparenzvorstellungen nicht teilen? Und wie mit innerparteilichem Druck umgehen?« Liebs befürchtet, »dass ein paar rechtsoffene Parteitrolle und Kiddies mit Guy-Fawkes-Maske ein solches Bündnis zerschießen«.

Dass die Asylbeschlüsse öffentlich weitgehend unbeachtet blieben, ist selbstverschuldet, denn am Ende des Parteitags wurde ein Antrag der »Jungen Piraten« angenommen, mit dem man die Konkurrenz von der Grünen Jugend für zur Partei gehörig erklärte. Man habe einfach sehr viel gemeinsam, lautete eine, vor allem angesichts der letzten Personalaffären innerhalb der Jungen Piraten, euphemistische Behauptung. Zu den harmloseren Vorfällen gehörte noch ein Skandal um ihren Berliner Landessprecherrat Fabian Koleckar, der sich in seiner Twitter-Bio @Luftschiff_7 als »Nationalist« bezeichnet hatte. Er habe das Wort »in einem falschen Kontext benutzt« und damit lediglich ausdrücken wollen, er sei »stolz auf einige Errungenschaften in unserer Geschichte (ausgenommen Kreuzzüge, das Dritte Reich, Kriege generell)« und bekomme »eine Gänsehaut bei der Nationalhymne«. Koleckar trat nicht zurück, im Gegensatz zu anderen Mitgliedern der Nachwuchsorganisation. Kenny Ehlers, vormals Vorsitzender der Jungen Piraten Niedersachsen, war Anfang April gegangen, nachdem bekannt geworden war, dass er sich eine Deutschlandfahne auf den Rücken hatte tätowieren lassen. Über Paul Meyer-Dunker, den stellvertretenden Vorsitzenden im Bundesvorstand, war bekannt geworden, dass er Mitglied der Studentenverbindung »Verein Deutscher Studenten Berlin und Charlottenburg« ist. Meyer-Dunker trat ebenfalls im April zurück – wie auch Alexander Schilling, der stellvertretende Landesvorsitzende der Jungen Piraten Nordrhein-Westfalen, der auf seinem Twitter-Profil einen Reichsadler mit Piratenlogo in den Krallen gezeigt hatte.
Jan Stich, Mitglied der Grünen Jugend und Kandidat für die Bundestagswahl, zeigte sich gegenüber der Jungle World allerdings noch aus anderen Gründen nur wenig amüsiert über den Übernahmebeschluss der Piraten: »Die Behauptung im Antrag, ein großer Teil unserer Vorstandsposten sei von JuPis besetzt, ist schon eine ziemlich dreiste Lüge. Ich kenne einige, die von der leider verbotenen Doppelmitgliedschaft in beiden Jugendorganisationen träumen, aber Vorstandsposten haben die keine. Solche Behauptungen und das ungefragte Übernahmeangebot in Borg-Sprache sind für grün-orange Koalitionen nicht wirklich hilfreich, auch weil sie der Stellung der Grünen Jugend und ihrer Themen innerhalb der Grünen eher schaden.« Im Übrigen habe »das ganze Theater« um die Piratinnenkonferenz Anfang April (17/2013) gezeigt, »dass unsere Vorstellungen von Geschlechtergerechtigkeit bei der Mehrheit der Pirat*innen eher schlecht ankommen. Aber wir müssen ja auch gar nicht im selben Boot sitzen, um gemeinsam für ein freies Internet, faires Urheberrecht oder ein Recht auf Remix zu streiten.«