Wie schlecht ist schlecht?

Der »Staat muss immer öfter Löhne aufstocken«, titelte die SZ vorige Woche. »Weniger Aufstocker in Deutschland« verkündete die FAZ kurz darauf online. Der Kölner Stadt-Anzeiger sprach von der »Mär von mehr Aufstockern«. Wie denn nun? Alle drei beriefen sich auf die neueste Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA). Um den Bericht der SZ entwickelte sich im Laufe des Tages ein »Deutungskampf«, wie die Taz es treffend nannte. »Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer, die mehr als 800 Euro brutto nach Hause bringen, aber zur Sicherung des Existenzminimums die staatliche Grundsicherung (Hartz IV) benötigen, ist in den vergangenen vier Jahren kontinuierlich gestiegen«, hatte die SZ fest­gestellt und für einen Mindestlohn plädiert. Die Verdienstgrenze für Aufstocker liegt derzeit bei 850 Euro. Bei der FAZ mokierte man sich über eine »Aufstocker-Hysterie«, die »unberechtigt« und »gefährlich« sei. Schließlich sei die Zahl der Arbeitnehmer, die mit einem Bruttolohn um 800 Euro aufstocken mussten, im Vergleich zu 2009 zwar um 20 000 gestiegen, im Vergleich zum Jahr 2007 jedoch um 30 000 gesunken. 2009 sei eben ein Rezessionsjahr gewesen, zudem sei es doch eine gute Nachricht, dass es mittlerweile weniger Menschen gebe, die zwischen 400 und 800 Euro verdienten und mehr, die immerhin auf 800 Euro kämen, zitierte die FAZ eine Sprecherin der BA. »Dies zeige, dass Aufstieg im Arbeitsmarkt  – wenn auch mühsam – gelinge, und sei das Gegenteil von Abstieg.« Der Kölner Stadt-Anzeiger jubelte: »Die Schlechtverdiener verdienen mittlerweile etwas besser.« Dass hierzulande seit Jahren eine »Klasse der Working Poor« (Taz) existiert, bereitet der FAZ keinen Kummer: »Hilft es ihnen wirklich, sie mittels allgemeinem Mindestlohn auf ein Lohnniveau zu hieven, das von ihrer Produktivität womöglich nicht mehr gerechtfertigt wird?« Ach, und Dumpinglöhne sind somit ein Gebot der Fairness?