In Vietnam wird über die Homo-Ehe debattiert

Schließt zwei, drei, viele Homo-Ehen

In Vietnam wird über die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe debattiert. Das ist nicht nur der größeren Akzeptanz von Homosexualität geschuldet.

In der Sozialistischen Republik Vietnam wird vornehmlich die Wirtschaft liberalisiert. Für Menschenrechtsverletzungen hagelt es Kritik, bei der Pressefreiheit liegt das Land im internationalen Vergleich auf Platz 172. Ungewöhnlich offen zeigen sich Regierungsvertreter neuerdings aber gegenüber den Interessen von LGBT-Personen. Zuletzt sprach sich auf einer Anhörung zur Eherechtsreform am 16. April der stellvertretende Minister für Gesundheit, Nguyen Viet Tien, für eine umgehende Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe aus: »Als Menschen haben Homosexuelle wie alle anderen auch die gleichen Rechte darauf zu leben, zu essen, zu lieben und geliebt zu werden.« Eine Entscheidung der Nationalversammlung wird 2014 erwartet. Für Vietnams LGBT-Community scheint eine neue Ära angebrochen zu sein.

Als Auftakt lässt sich eine Hochzeitsfeier am 16. Mai 2012 in Hà Tiên verstehen. In der Kleinstadt an der Grenze zu Kambodscha zelebrierten zwei junge Männer, Nguyen Hoàng Bao Quoc und Truong Văn Hên, in Gesellschaft ihrer Eltern und geladener Gäste eine traditionelle Hochzeitszeremonie. Um die in einem großen Festzelt abgehaltene Feier sammelten sich bald Hunderte Schaulustige. Die Polizei wurde aufmerksam, sprengte die Veranstaltung und führte das Paar schließlich zum Verhör ab. Da es sich bei den Feierlichkeiten um keine registrierte Eheschließung handelte und Homosexualität in Vietnam keinen Strafbestand darstellt, war aber niemand juristisch zu belangen.
Interessant war die Hochzeitsfeier auch für die überregionale Presse. Von den großen Zeitungen, die sich in ihrer Berichterstattung mehr oder weniger unmittelbar gegenüber der Regierung zu verantworten haben, war man bisher einen harschen Ton gegenüber LGBT gewohnt. Üblich war es, Homosexualität mit »sozialen Übeln« wie Prostitution und Drogenkonsum gleichzusetzen. Nun aber schlug die Presse neutrale bis emphatische Töne an, und auch die Resonanz der Leserinnen und Leser in Hunderten von Briefen und Kommentaren fiel überwiegend positiv aus.

Für die nächste Sensation sorgte knapp einen Monat nach der Hochzeitsfeier in Hà Tiên Justizminister Hà Hùng Cuòng. In einem Interview resümierte er, dass die Anzahl Homosexueller Hunderttausende ausmache und viele zusammenlebten, ohne als Ehegemeinschaft registriert zu sein. Damit müsse ein legaler Umgang gefunden werden. Obwohl dies kaum als verbindliche politische Zusage zu verstehen war, feierten LGBT-Aktivistinnen und -Aktivisten im südostasiatischen Raum die Aussage als Durchbruch, da das Thema bislang nicht in der breiten Öffentlichkeit diskutiert worden war.
In der 1976 gegründeten Sozialistischen Republik Vietnam führte die LGBT-Community bisher eher ein Schattendasein. Umfragen des Institute for Studies of Society, Economy and Environment (ISEE) zufolge geben 86 Prozent der vietnamesischen Homosexuellen an, dass sie ihre sexuelle Orientierung vor Familie und Freunden verheim­lichen müssen. Homosexualität wurde nie explizit staatlich verfolgt, aber als inakzeptabler Verstoß gegen die Norm in der überwiegend konfuzianisch geprägten, konservativen Gesellschaft wahrgenommen. Die übliche Fremdbezeichnung für Schwule, bi bi đê, kommt einem pathologischen Befund gleich, sie hat die gleiche Etymologie wie der Begriff Pädophilie.
Doch gewinnt die Community an Selbstbewusstsein. Am 5. August 2012 erlebte Vietnam in der Hauptstadt Hanoi seine erste Gay-Pride-Parade. Da nicht mit einer Genehmigung zu rechnen war, wurde die Viet Pride vor dem My-Đình-National­stadion auf Mopeds und vor allem Fahrrädern im laufenden Verkehr abgehalten. Gut 100 Menschen fuhren mit Regenbogenfahnen und Luftballons durch Hanois Innenstadt. Die Polizei reagierte gelassen und ließ den Corso unbehelligt – eine unübliche Antwort auf politisch unabhängige Äußerungen. Das zeigte sich am selben Tag vor dem gut vier Kilometer entfernten Lý-Thái-To-Denkmal, wo die Polizei gegen Protestierende vorging, die gegen Territorialansprüche Chinas im Südchinesischen Meer protestierten. Bei der Auflösung der Demonstration wurden Augenzeugenberichten zufolge mindestens 25 Demonstrierende in Gewahrsam genommen.
Auf die Viet Pride folgten am 23. September LGBT-Flashmobs in Ho Chi Minh City (HCMC), Da­nang und Hanoi unter dem Motto »Yêu Là Yêu« (Liebe ist Liebe). Insgesamt beteiligten sich daran 1 200 Personen. Wieder fiel das mediale Echo überwiegend positiv aus, der Flashmob in HCMC genoss sogar die Unterstützung einer Reihe von Fernsehsendern.
Für den Wandel der medialen Rezeption von LGBT kann sich nicht zuletzt Lê Quang Bình gratulieren. Bình ist Direktor des ISEE. In einer umfassenden Untersuchung von Artikeln über LGBT in den vietnamesischen Medien aus dem Jahr 2007 hat das ISEE festgestellt, dass praktisch ausnahmslos Stereotype die Berichterstattung dominierten. Als Reaktion organisierte das Institut Workshops, die primär an Medienbeschäftigte und Regierungsbeamte gerichtet waren. Wesentliches Ziel war es, Journalistinnen und Journalisten in einen Dialog mit Schwulen und Lesben zu bringen. Für viele war das der erste Kontakt zu bekennenden Homosexuellen überhaupt. Das ISEE baute über die Workshops Netzwerke auf.

Die neue Haltung der Partei lässt reichlich Raum für Interpretationen. Dass hier tatsächlich ein Umdenken stattfindet, gehört sicher mit ins Bild. Nicht übersehen darf man jedoch, dass die Partei sich dort als tolerant präsentiert, wo es ihr ohne Gefahr möglich ist. Die Ereignisse vom 5. August 2012 illustrieren, dass andere unabhängige politische Äußerungen als bedrohlicher wahrgenommen werden. Die Kritik an der chinesischen Außenpolitik mag kaum von den Sorgen und Positionen der Regierungspartei zu unterscheiden sein. Jedoch bergen die Demonstrationen gegen China das Potential, in eine offene Kritik an der eigenen Regierung umzuschlagen. Viele Vietnamesinnen und Vietnamesen unterstellen Regierungsmitgliedern, dass ihr privater Reichtum nicht zuletzt von chinesischen Firmen finanziert worden sei.
Gleichzeitig wird im südostasiatischen Staatenbund ASEAN eine politische Entwicklung von der vietnamesischen Regierung mit sehr gemischten Gefühlen beobachtet: die Demokratisierung in Myanmar. Bisher hatte Myanmar die schlechteste Menschenrechtsbilanz, und es gefiel der vietnamesischen Regierung, als Vermittlerin zwischen der Junta in Naypyidaw und dem Westen aufzutreten. Die Entwicklung in Myanmar führt dazu, dass Vietnams Menschenrechtsbilanz innerhalb der ASEAN bald den letzten Platz besetzen dürfte, während Myanmar zum regionalen Liebling wichtiger vietnamesischer Außenhandelspartner wie der USA, Japans und Deutschlands aufsteigt.
Die Stärkung der Rechte von Schwulen und Lesben lässt sich als ein Zugeständnis deuten, von dem vorerst keine Gefährdung der politischen Hegemonie der kommunistischen Partei ausgeht, ein politisch risikoloses Ticket in den westlichen Mainstream. Dass es dem Justizministerium zudem ein Instrument in die Hand gibt, die nationalen Haushalte besser zu erfassen, könnte außerdem parteiintern als Argument Gewicht haben.
Indes geht die Stärkung der LGBT-Bewegung mit einer wachsenden Toleranz innerhalb der Gesellschaft einher. In einer Umfrage des ISEE sprachen sich zwar 58 Prozent der Befragten gegen die gleichgeschlechtliche Ehe aus, aber immerhin 37 Prozent dafür. Auch Online-Klicks deuten auf eine steigende Akzeptanz hin. Die in HCMC für und aus der Community produzierte Youtube-Sitcom »My best Gay Friend« erfreut sich großer Popularität. Die erste Episode wurde bereits über eine Million Mal angesehen.