Über den Comic »Der Tod von Adorno« von Helmut Wietz

Sexismus and Drugs and Rock’n’Roll

Sein im Stil von Pop Art gezeichneter Comic wurde 1968 begonnen und erst jetzt beendet. Helmut Wietz schildert in »Der Tod von Adorno« den Kampf der Achtundsechziger gegen Altnazis und für eine freie Sexualiät.

Es wird noch alles gut werden«, sagt Voltaires Candide zu seiner geliebten Kunigunde auf dem Weg nach Amerika, »schon das Meer dieser neuen Welt ist anders als die europäischen Meere: Es ist ruhiger, und die Winde sind gleichmäßiger. Sicherlich ist diese neue Welt die beste aller Welten«. Diese Hoffnung stellt sich als ein Trugschluss heraus, Voltaires Novelle »Candide oder der Optimismus« endet mit einer Absage an den Optimismus und die Utopie und zeigt stattdessen den Rückzug Candides und seiner Gefährten ins geregelte bürgerliche Leben. »Wir müssen unseren Garten bestellen«, lautet der berühmte letzte Satz Candides gegenüber seinem Lehrer und Gefährten Pangloss. Trotz dieses wenig utopischen Finales hat Helmut Wietz seinen Comic »Der Tod von Adorno«, der von politischem Aufbruch und Utopien, der Suche nach neuen künstlerischen Ausdrucksformen und dem Kampf gegen alte und neue Nazis handelt, an Voltaires Text angelehnt.
»Der Comic sollte am Anfang ›Candide oder ein Sieg der Freiheit‹ heißen, aber die Auseinandersetzung der Studenten mit ihren intellektuellen Vorbildern wie Adorno färbte dann doch ganz stark auf die Geschichte ab«, schreibt Helmut Wietz im Nachwort zu seinem bereits 1968 begonnenen und erst jetzt vollendeten Comic. Die Geschichte des von Wietz in die Gegenwart der sechziger Jahre versetzten Candide – hier unter dem Namen Hermann C. Trollschack, einem naiven Proletarier vom Lande, der sich als Fährmann durchschlägt – ist geprägt von den Ende der Sechziger dominierenden Themen APO, RAF, Kritische Theorie, freie Sexualität und politisches Erwachen. Ihren Anfang nimmt die Politisierung Troll­schacks durch seinen Onkel Pangloss Boehnisch, der ihn mit Remittendenexemplaren der deutschen Presse versorgt: Bild, Zeit, Bravo und Konkret.
Zu dieser »theoretischen Bildung« gesellt sich die »Praxis«, als Trollschack seine Kunigunde trifft. In der ersten gemeinsamen Nacht versagt er sexuell: »Das mit meiner Nille, dass das nicht funktioniert, gefällt mir überhaupt nicht! Aber das muss ja noch nichts heißen! Voran! Kampf der Schlappheit!« Er vermöbelt eine handvoll NPD-Nazis und danach klappt’s auch mit dem Sex. Auf diesen plakativen Motiven baut Wietz seinen gesamten Comic auf. Trollschack geht, beflügelt vom Rausch sexuellen Erlebens, nach Hamburg, verprügelt diesmal Polizisten am Rande einer Demonstration, mit dem gleichen Ergebnis wie zuvor: »Trollschack war nicht sicher, ob er das Richtige getan hatte. Aber eins stand fest: Er hatte einen Steifen!« Nach einem Abstecher ins Bordell entführt er ein Flugzeug nach Berlin, wo er sofort Anschluss an die politisierte Studentenschaft findet, die sich über den authentischen Proletarier freut und ihn in revolutionären Pornofilmen als männliche Hauptrolle besetzt. »Apo-Muschi Monika«, die ihn ins revolutionäre Milieu eingeführt hatte, erklärt: »Wenn du wie wir den Film als Instrument gesellschaftsverändernder Phrasen benutzen willst, musst du Zielgruppenfilme machen. Denk dran, wie die Nazis die Medien benutzt haben.«
Der Vorzeigeproletarier Trollschack durchschaut zwar das pseudointellektuelle Gerede, spielt aber dennoch mit, der Drang seiner Lenden ist stärker als die im Kopf herumspukende Kritik: »Trollschack fickt sich durch zehn künstlerisch wertvolle Zielgruppenfilme, deren Drehbücher von Professoren und TV-Redakteuren geschrieben werden. Sein Schwanz steht wie ’ne Eins, aber irgendwie träumt er immer noch von Kunigunde.«
Diese Hoffnung auf den »systemverändernden Pornofilm« hat, wie Wietz im Nachwort ausführt, ihren realen Hintergrund in den pornographischen Büchern und Filmen von Jörg Schröders Olympia-Press, an deren Produktion Wietz damals tatsächlich beteiligt war. Wie jedoch »Familieninzestgeschichten« und Filme wie »Colt und Köcher« jenseits ihres Kampfes gegen die verkrampfte Sexualmoral der BRD der sechziger Jahre die Revolution herbeiführen sollten, verschweigt der sichtlich stolze Filmproduzent Wietz in seinem Nachwort und offenbart damit eines der größten Probleme des Comic: Die Naivität Troll­schacks/Candides wird als positives Moment gegen ein vorgebliches Zuviel an Theorie ausgespielt. Eine kritische Sicht auf die Achtundsechziger-Bewegung fehlt. »Glücklich, der Alzheimerpatient, dem keine Stunde schlägt!« fasst Wietz zusammen.
Bruchlos hat Wietz die Story 40 Jahre später zu Ende geführt. Trollschacks Suche nach dem »richtigen Ausgang im Falschen« führt ihn nach den Pornofilmen in den »Elfenbeinturm« der Frankfurter Universität, zu den »Gralshütern der dialektischen Aufklärung«. Dort wird der von Studenten zum Bundespräsidenten gekürte Adorno von Trollschack aufgrund seiner Verbissenheit, seiner vermeintlichen Humorlosigkeit und seines fehlendes Vertrauens in die Achtundsechziger kritisiert. Als Adorno auf die berechtigte Frage Trollschacks »Die widerliche Koexistenz von Tätern und Opfern der Nazi-Zeit in der BRD lässt mich die Frage stellen, was kann Mann/Frau dagegen tun?« keine für ihn adä­qua­te, das heiße ganz praktische Antwort weiß, wird er einige Seiten später von Trollschack in den Tod durch Herzinfarkt getrieben – wenn auch nicht mit Absicht, denn: »Ich wollte doch aus ihm keinen Märtyrer machen.« Wo es langgeht und wie die alten Nazis, die sich an allen wichtigen Schaltstellen in der BRD eingenistet haben, am besten zu bekämpfen sind, weiß einzig und allein der durch Remittendenexemplare der deutschen Presselandschaft gebildete Fährmann von der Stör. Er packt sie alle in ein KZ und lässt sie unter »Leitung von Albert Speer Pornohefte drucken«.
Der Porno als Entnazifizierungsmaßnahme: Mehr fällt auch Trollschack/Wietz dazu nicht ein. Schließlich entwickelt Trollschack einen Plan. Wie einst die mittelalterlichen Ausgestoßenen auf das Narrenschiff werden die Altnazis auf einen Dampfer verfrachtet: »Was sie nicht wissen, ist, dass sie dazu verdammt sind, bis ans Ende ihrer Tage nie wieder in einem Hafen einlaufen zu können.« Nachdem »die verlogene Koexistenz von Tätern und Opfern auf harmonische Weise beendet« ist, ist auch die Mission Trollschacks erledigt, und schon ruft Kunigunde ihn wieder in seine norddeutsche Provinzheimat zurück. Dann wird’s nochmal verwirrend und metaphernreich: Kunigunde bringt blutend ein Baby mit Adorno-Gesicht zur Welt, final explodiert die Fähre. Und in all dem Chaos ruft Kunigunde ihrem Trollschack mit dem Baby im Arm zu: »Trollschack, wir müssen unseren Garten bestellen.« Wie schon bei Voltaire findet sich hier der Rückzug ins kleine Familienglück als Utopie, wenn auch, trotz aller Mühen um den nächsten Kalauer, viel unironischer als in »Candide« – also doch eine fast schon realistische Abbildung der Biographie vieler politisierter Achtundsechziger. Vermutlich aber ungewollt. Ebenso wie die fast schon prophetische Bezugnahme auf den notorischen Judenhasser Voltaire: Ob ­Wietz damit wohl subtil auf den unterschwelligen, als Israel-Kritik getarnten Antisemitismus seiner politischen Weggefährten hinweisen wollte? Wohl kaum, zu vage und undifferenziert sind die Analogien, die er zwischen Konzentrationslagern und Pornographie herstellt.
Das Unbehagen der Achtundsechziger gegenüber einer von Altznazis und Prüderie geprägten Gesellschaft ist in dem Comic spürbar und muss als zeitlicher Kontext berücksichtigt werden. Auch die dieser Realität gegenübergestellte Hoffnung auf neue Formen der Politik und der Kunst – wie etwa den Comic  – ist nachvollziehbar. Letztlich bleibt »Der Tod von Adorno« jedoch ein unangenehmes und damit fast schon wieder interessantes Dokument von Naivität, Egozentrik und Theoriefeindlichkeit einer Generation. Und sichtbar wird auch eine ganz andere Kontinuität. »2. Tagesordnungspunkt: Wer vögelt mit Dörte und wer mit Monika?« fragt ein SDS-Kader und die sich revolutionär gebenden Dozenten der Filmakademie ergänzen: »Scheiße, dass ein Mann nur einen Schwanz hat, aber das andere Geschlecht drei Löcher.« Hier offenbaren sich die hinter dem Ruf nach sexueller Befreiung versteckten Macho-Attitüden. Trollschack steht dem in nichts nach, wenn er »Apo-Muschi Monika«, die er im Flugzeug nach Berlin kennenlernt, konsequent »die feuchte Monika« nennt. Mit seinem Sexismus verliert der Comic auch noch den letzten Rest an Glaubwürdigkeit, die Gesellschaftskritik der Achtundsechziger-Generation zu formulieren: Es sind noch immer die Altherrenwitze der Väter, verpackt in bunte Bilder. Adorno jedenfalls würde sich im Grabe umdrehen.

Helmut Wietz: Der Tod von Adorno. Metrolit-Verlag,Berlin 2013, 72 Seiten, 22 Euro