Der Protest gegen ein Kohlekraftwerk im Hamburg

Blockupy Dock 10

Kohle aus Kolumbien, um in einem deutschen Kraftwerk Strom zu erzeugen? Das Hamburger Bündnis »Gegenstrom.13« scheut auch keine aufwendigen Bootsfahrten, um Missfallen an diesem Vorhaben zu bekunden.

»Vattenfall und Senat – Klimakiller stoppen«, liest eine ältere Dame ihrer Freundin vor. »Und dort steht: ›Raus aus der Vattenfalle!‹ Und da drüben: ›Kohlekraftwerke abschalten!‹« zitiert sie weiter. Dann kommt sie zu der Schlussfolgerung: »Das sind Umweltaktivisten, da in den Booten auf der Elbe.«
Stimmt: Etwa 20 Schiffe haben sich mit gut lesbaren Transparenten an Deck auf der Elbe in Hamburg gesammelt und sich in einer Kette über die ganze Breite des Flusses verteilt. Zwischen dem Dock 10 der Schiffswerft Blohm und Voss und dem gegenüberliegenden Ufer, an dem sich die Hafenstraße befindet, schwimmen die Schiffe, darunter Barkassen, große Segelschiffe, kleinere Motorboote und ein Floß. Zwischen den Schiffen schwimmen große Stapel miteinander verbundener Schläuche aus LKW-Reifen – die Blockadepoller. Die Gummiungetüme sind mit Seilen an den Schiffen befestigt, um die Formation der Armada aufrecht zu erhalten. Alles läuft wie am Schnürchen, denn die Mitglieder des Hamburger Bündnisses »Gegenstrom.13« haben alles minutiös vorbereitet.

Um den Widerstand gegen den Import von Steinkohle aus Kolumbien und das Kohlekraftwerk Moorburg in der vorvergangenen Woche auf die Elbe zu bringen, gingen mehrere bekannte Umwelt- und Politikorganisationen wie Attac, Robin Wood und der Hamburger Flüchtlingsrat bereits im Juni 2012 ein Bündnis ein. Dieses verfolgt zwei Ziele. »Wir wollen verhindern, dass das Kohlekraftwerk Moorburg ans Netz geht, und wir sind gegen die Verstromung kolumbianischer Kohle in dem Kraftwerk. Die wird in Kolumbien unter indiskutablen Bedingungen abgebaut«, sagt Volker Gajewski, einer der Sprecher des Bündnisses. Er hatte am Tag der Blockade alle Hände voll zu tun, um mit dem kleinen Motorboot »Krabbe« die Blockadepoller vom Ufer an ihre Positionen zwischen den knapp zwei Dutzend Schiffen zu bringen. An Land wurden zur gleichen Zeit Videos über die Abbaubedingungen in der größten Mine Kolumbiens, Cerrejón, gezeigt. Zwei Gäste aus dem Land berichteten über ihre Erfahrungen mit dem Konsortium der Minenbetreiber. Es besteht mit Anglo American, BHP Billiton und Xstrata aus drei Großkonzernen der Bergbaubranche, die jährlich etwa 32 Millionen Tonnen Steinkohle aus der Mine fördern, die im Norden Kolumbiens auf der Halbinsel La Guajira liegt.
»Unsere Dörfer befinden sich teilweise direkt gegenüber der Mine. Wir leben 24 Stunden mit dem Kohlenstaub, den Sprengungen und können uns auf unserem eigenen Territorium nicht frei bewegen«, schildert Deris Paz die Lebensbedingungen rund um die Mine. Dort leben die Wayúu seit mehr als 500 Jahren. Doch ihre Landrechte wurden immer wieder verletzt und der Abbau der Steinkohle im offenen Tagebau hat gesundheitliche Folgen. »Das Risiko von Krebserkrankungen ist nicht nur bei uns, sondern auch bei den Arbeitern der Mine deutlich gestiegen«, sagt die junge Frau, der Gewerkschafter Aldo Raúl Amaya nickt zustimmend. Er hat gemeinsam mit seinen Kollegen von der Gewerkschaftsleitung in den vergangenen Monaten für eine bessere Gesundheitsversorgung der Arbeiter und für einen neuen Tarifvertrag gekämpft. Für diesen gingen die Arbeiter 32 Tage in den Ausstand.
Aldo hat genauso wie sein Freund und Kollege Igor Díaz López, der Präsident der Gewerkschaft der Kohlearbeiter Sintracarbón, Morddrohungen erhalten. »Per Telefon, sie haben bei mir und bei Igor angerufen und unsere Frauen und Familien bedroht«, berichtet der 46jährige. Bei ihm vor dem Haus habe sich zudem ein bewaffneter Mann postiert. Deutliche Drohungen erhielt der Gewerkschaftsvorsitzende López nicht zum ersten Mal. Seit Anfang April steht er auf der Todesliste einer paramilitärischen Bande. Das ist kein Einzelfall in Kolumbien, wo Gewerkschafter seit Mitte der achtziger Jahre systematisch verfolgt und auch ermordet werden. 2012 zählte die nationale Gewerkschaftsschule (ENS) trotz aller internationalen Appelle, die Situation zu verbessern, 20 Morde an Gewerkschaftsführern.

Auch für Aldo Raúl Amaya könne die Rückkehr nach Kolumbien riskant werden, sagt Gajewski vom Hamburger Bündnis »Gegenstrom.13«. Er hat von der Gewerkschaft erfahren, dass sich die Minenbetreiber über die Aussagen des Mannes in Deutschland beschwert haben. Der ist jedoch mit seiner Visite ganz zufrieden, weil nun eben andere Aspekte der Kohleförderung in Kolumbien in der deutschen Öffentlichkeit bekannt werden. »Wir brauchen internationale Unterstützung, denn die Regierung in Bogotá verhält sich oftmals eher wie ein Aktionär der Minenbetreiber und nicht wie eine regulierende Instanz«, kritisiert Amaya.
»In Hamburg scheinen diese Aspekte des Kohleimports aus Kolumbien nicht zu interessieren«, sagt Skipper Boris. Er lebt auf einem Lotsenschiff im Travehafen und ärgert sich über die Gleichgültigkeit der Importeure wie Vattenfall, aber auch der hanseatischen Behörden: »Im Hamburger Hafen ticken die Uhren noch ganz anders. Feinstaub durch Kohle interessiert kaum jemanden. Hier wird ja auch alter Diesel verbrannt, obwohl die Emissionen extrem sind.« Ähnlich denken einige Mitglieder von Robin Wood, die mit ihrem Floß die Elbe abwärts gefahren sind. »Wir haben schon eine ganze Reihe von Aktionen gegen Moorburg gemacht, solidarisieren uns nun mit den Menschen in Kolumbien und treten gegen Ausbeutung und für bessere Arbeitsbedingungen ein«, sagen Barbara und Alexander von der Umweltorganisation. Im vollen Betrieb würde das noch in Bau befindliche Kraftwerk in fünf Tagen etwa 60 000 Tonnen Steinkohle aus Kolumbien verheizen. Bei Vattenfall wird tatsächlich in erster Linie mit Kohle aus Kolumbien kalkuliert. »Das erzählen die Leute bei den Führungen über die Baustelle und anscheinend macht man sich keine Gedanken darüber, wo die Kohle herkommt und wie sie abgebaut wird«, kritisiert Gajewski. Sollte Moorburg ans Netz gehen, seien die Stromverbraucher in Hamburg mitverantwortlich für die Abbaubedingungen und die Vertreibung von Menschen aus Dörfern rund um die Mine.

Das bringt Deutschlands Kohleimporteure wie Vattenfall, Eon, RWE oder die Steag in Argumentationsnöte, wie die Aktionärsversammlungen in den vergangenen Wochen gezeigt haben. An ihnen nahmen auch Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen sowie mehrere Kolumbianer teil. Auch die Informationen von »Gegenstrom.13«, dass Moorburg für die Energieversorgung Hamburgs kaum nötig sei, sorgten für Diskussionen unter den Besuchern des Hafengeburtstags. Von denen schmunzelten einige erst über die Parole »Wir stoppen Vattenfall – Menschenrechte statt Milliardenprofite«, blieben dann aber doch stehen, um sich die Blockade der Elbe anzusehen. Für die Organisatoren der Elbblockade hat sich die Sache ohnehin gelohnt, denn Protestieren mit ein paar Meter Wasser unter dem Kiel hat Charme. Zudem hatte das Bündnis keine Probleme bei der polizeilichen Anmeldung und konnte die Elbe letztlich deutlich länger dicht machen als erwartet. Auf der Höhe von Dock 10 von Blohm und Voss war jedenfalls kein Durchkommen.