Felix Jourdan von »fight racism now!« im Gespräch über die Perspektiven antirassistischer Politik

»Die Nazis haben das als ihren eigenen Triumph erlebt«

Die Kampagne »Fight Racism Now!« hat anlässlich der Jahrestage der Asylrechtsänderung und des Brandanschlags von Solingen zahlreiche Aktionen durchgeführt und angekündigt. Am Sonntag findet eine große Demonstration in Berlin statt. Beginn ist um 14 Uhr an der Wilhelmstraße, Ecke Hannah-Arendt-Straße. Wir sprachen mit Felix Jourdan von der Initiative über die Ziele ihrer Kampagne und die Perspektiven antirassistischer Politik.
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Warum sind diese beiden Jahrestage für Euch Anlass, aktiv zu werden?
Bei der Abschaffung des Grundrechts auf Asyl ging es um die politischen Grundkoordinaten der Berliner Republik. Der Nationalismus und Rassismus der Wendejahre bekam Verfassungsrang. Aus »Wir sind ein Volk« wurde »Deutschland den Deutschen, Ausländer raus«. Und genau das hat der Bundestag vor 20 Jahren mit Zweidrittelmehrheit beschlossen. Die Nazis haben das als ihren Triumph erlebt und mit dem Mordanschlag von Solingen drei Tage später haben sie diesen Triumph auch öffentlich für sich reklamiert. Das ist eine Art politische Urszene, denn genau hier ist die Generation NSU entstanden: Nazis und Rassisten, die erfahren haben, dass sich rassistische Gewalt politisch auszahlt. Für die Linke war das eine klärende Niederlage. Die alten Neuen Sozialen Bewegungen waren jetzt auch offiziell erledigt. Wer sich nicht in die Lichterketten einreihen wollte, musste sich autonom organisieren. Am schlimmsten wurde es aber für Asylsuchende. Der neue Artikel 16a GG ist ein Deportationsparagraph. Er ist die Blaupause der gesamteuropäischen Flüchtlingsabwehr, der in den vergangenen 20 Jahren mehr als 16 000 Menschen zum Opfer gefallen sind.
Antiziganismus war eines der wesentlichen Motive für die Pogrome in Rostock-Lichtenhagen, die der Anlass für die Asylrechtsänderung waren. Auch heute ist Antiziganismus populär und dient als Grundlage für eine Debatte über eine Verschärfung von Migrationsgesetzen. Wiederholt sich die Geschichte?
Rassismus in Deutschland ist nach 1993 flexibler geworden, in vielem auch diffuser. Das spiegelt auch veränderte gesellschaftliche Bedingungen, zum Beispiel die EU-Integration und ihre aktuelle Krise. Aber Thilo Sarrazin hat gezeigt, dass völkischer Nationalismus und kapitalistische Leistungsideologie auch heute noch problemlos zusammengehen. Und deshalb erleben wir tatsächlich gerade ein »back to the roots«: Roma werden mit der gleichen Rhetorik stigmatisiert wie Anfang der Neunziger. Die Innenminister hetzen ihre Bürokratien gezielt auf Roma und pfeifen öffentlich auf die europäische Freizügigkeit.
Welche Bedeutung sollte der Kampf gegen Antiziganismus in der antirassistischen Linken haben? Bei den Flüchtlingsprotesten, bei den Grenzcamps, bei der Beschäftigung mit dem EU-Grenzregime spielt die Verfolgung und Diskriminierung von Roma meistens eine untergeordnete Rolle.
Die verbreitete Spezialisierung antirassistischer Arbeit auf einzelne Themen oder Betroffenheiten ist auch ein Zeichen politischer Defensive. Sie folgt sozusagen den Vorgaben und Trennlinien des institutionellen Rassismus, auch was die Diskriminierung von Roma angeht. Andererseits arbeiten selbstorganisierte Roma-Gruppen und Refugee-Gruppen wie »Karawane« oder »the Voice« immer öfter zusammen. Überhaupt hat der Widerstand der Geflüchteten eine gesellschaftskritische Perspektive eröffnet, an die viele Linke anschließen können. Hochtrabend gesagt: Da entwickelt sich gerade ein gemeinsames Kampffeld. Das heißt aber auch, dass es in Zukunft bei jedem Abschiebeversuch des Staates krachen muss.
Euer Bündnis hat auf der 1. Mai-Demo einen eigenen Block organisiert. In der Linken wird immer gerne auf den Zusammenhang von Rassismus und Kapitalismus verwiesen. Und betrachtet man das nach Nützlichkeitskriterien ausgehandelte Migrationsregime in Europa, ist der ja auch offensichtlich. Dennoch war die nicht marktwirtschaftlich organisierte DDR mit einem Ausländeranteil von unter einem Prozent so »rassisch rein«, wie es sich nur die NPD heute wünschen würde. Muss man Rassismus nicht als eigenständigen »Hauptwiderspruch« anerkennen, der auch unabhängig von Wirtschaftssystemen thematisiert werden muss?
Da gehen bei den an unserer Kampagne beteiligten Gruppen die Ansichten auseinander. Klar ist aber, dass Rassismus eng mit politökonomischen Krisen und Widersprüchen verzahnt ist. Entscheidend ist also die Frage: Wie kann man Antirassismus als Gesellschaftskritik ausbuchstabieren und praktisch machen? Die Erfahrungen von Geflüchteten mit dem deutschen Asylregime sind da absolut zentral, denn sie machen Herrschaftstechniken sichtbar, die in der bewegungslinken Mühle oft nicht richtig wahrgenommen wurden.
Wo kann antirassistische Praxis am ehesten wirken? Kann sie Einfluss nehmen auf die Politik oder sollte sie sich eher auf den gesellschaftlichen Rassismus in der Bevölkerung konzentrierten?
Wo auch immer man ansetzt, entscheidend ist, antirassistische Kämpfe in eine gesellschaftskritische Perspektive zu stellen. Der Kampf gegen den Lagerzwang oder gegen Residenzpflicht beispielsweise wird von den selbstorganisierten Flüchtlingsgruppen als Kampf gegen fortgesetztes koloniales Unrecht geführt. Es geht hier nicht nur um praktische Verbesserungen, es geht gegen eine Gesellschaft, die Menschen systematisch entmündigt und erniedrigt.
Derzeit gibt es eine starke Selbstorganisation von Flüchtlingen. Zeugt dies davon, dass man die Flüchtlinge zu sehr alleine lässt, dass aus der Linken zu wenig kommt, oder wurde es im Gegenteil höchste Zeit, dass Flüchtlinge nicht nur Objekt linker Bewegungspolitik sind?
Dass zwischen selbstorganisierten Geflüchteten und deutschen Linken nur selten politische Prozesse in Gang gekommen sind, hat viele Gründe. Ein wesentlicher ist aber das deutsche Asylregime selbst: isolierte Lager, gewollte Armut und Unsicherheit, ständige Polizeirepression. Mit den öffentlichen Protesten haben die Geflüchteten selbst eine Situation geschaffen, in der Zusammenarbeit möglich wird. Es gab harte Auseinandersetzungen über das Verhältnis von »Aktivist_innen« und deutschen »Supporter:innen«. Aber es ist schon ein Fortschritt, dass wir diese Diskussionen überhaupt führen müssen.
Auch in anderen Ländern findet derzeit eine starke rassistische Mobilisierung statt, etwa in Ungarn und in Griechenland. Ist es nicht Zeit, sich nicht nur mit dem deutschen Rassismus zu beschäftigen, sondern mit rassistischen Entwicklungen in ganz Europa?
Genau deshalb sind die Flüchtlingsproteste in ihrer derzeitigen Form so wichtig und so produktiv. Flucht, Migration und Migrationskontrolle eröffnen sofort eine transnationale Perspektive, eine Perspektive auf globale Herrschaftsverhältnisse und kapitalistische Geopolitik, auf okzidentalen Rassismus. Mit der Abschaffung des Grundrechts auf Asyl hat Deutschland Maßstäbe gesetzt, denen die anderen Staaten nur zu gerne folgen.
Sind noch weitere Aktionen eures Bündnisses über die Demo am 25. Mai hinaus geplant?
Gleich am 31. Mai legen wir mit »Blockupy Deportation Airport« den Frankfurter Flughafen lahm. Hoffen wir jedenfalls. Und danach besprechen wir, wie es bis zur Bundestagswahl weiter geht.