Das syrische Regime und der arabische Nationalismus

Jihad, Niqab, Tyrannei

Die tunesische Polizei hat einen Kongress von Ansar al-Sharia verhindert, die Ideologie der Salafisten verbreitet sich weiter.

Für die salafistisch-jihadistische Organisation Ansar al-Sharia war es ein Test, wie weit sie gehen kann: Am Sonntag wollte sie trotz eines vom tunesischen Innenministerium ausgesprochenen Verbots einen Kongress in Kairouan abhalten, wie bereits 2011 und 2012. Beim letzten Mal waren etwa 5 000 Personen anwesend, es erklangen Sprechchöre wie »Obama, Obama, wir sind alle Ussama« – eine Reminiszenz an Ussama bin Laden von al-Qaida.
Dieses Mal kam es nicht so weit. Eine beeindruckende Streitmacht der Polizei machte sich in Kairouan breit und verhinderte den Kongress. Aber in Ettadhamen, einer Banlieue von Tunis mit starker salafistischer Präsenz, versuchten Anhänger von Ansar al-Sharia, den Kongress zu improvisieren. Schwere Straßenschlachten waren die Folge, mindestens eine Person kam dabei ums Leben. Daran beteiligten sich neben einem harten Kern von Ansar al-Sharia – schätzungsweise 700 Personen – Jugendliche aus dem Stadtteil, insgesamt waren es 3 000 bis 5 000.
Nach Angaben des Innenministeriums wurden zwischen dem 17. und dem 19. Mai im ganzen Land 274 Personen verhaftet. Das steht in einem auffallenden Kontrast zur Politik, die die von der islamistischen Partei al-Nahda dominierte Übergangsregierung bislang gegenüber Ansar al-Sharia verfolgte. Die eher säkulare Opposition beschwerte sich regelmäßig über eine »laxe Haltung« oder ein »heimliches Einverständnis« der Regierung gegenüber den Salafisten, die sie als Sturmtruppen für die Islamisierung der Gesellschaft nutzen wolle. Tatsächlich hatte Ansar al-Sharia regelmäßig bei entsprechenden Vorfällen die Hand im Spiel – etwa bei der Verwüstung des Kinos Afric’Art in Tunis oder bei der Kampagne, an der geisteswissenschaftlichen Fakultät von Manouba den Niqab in Vorlesungen und Prüfungen durchzusetzen. Am 6. Februar wurde der linke Politiker Chokri Belaïd, ein Gegner der Islamisten, erschossen, die Regierung wurde in der Folge umgebildet, Schlüsselressorts wie das Innenministerium wurden mit Unabhängigen besetzt.
Doch die Lage eskalierte weiter. Nahe der algerischen Grenze verfolgen seit drei Wochen Nationalgarde und Militär zwei Gruppen von Jihadisten, etwa 15 Angehörige der Ordnungskräfte wurden durch Minen verletzt. Einem Kommissar wurde kürzlich, nachdem er gefoltert worden war, die Kehle durchgeschnitten, offenbar von Salafisten. Ansar al-Sharia versuchte derweil im ganzen Land, Propagandazelte aufzubauen, und verschärfte die Rhetorik: Al-Nahda und die Ordnungskräfte seien eine Verkörperung der gegen den Islam gerichteten »Tyrannei«, gegen die auch der bewaffnete Kampf legitim ist.
Der Honeymoon zwischen al-Nahda und Ansar al-Sharia scheint durch die Ereignisse in Kairouan einen Schlag erlitten zu haben. Aber die Positionen der Salafisten verbreiten sich weiter. Vorige Woche befand der Übergangspräsident Moncef Marzouki, ein ehemaliger Menschenrechtler, es sei für ihn nicht akzeptabel, dass Frauen Prüfungen nicht unter dem Niqab ablegen dürften. Am selben Tag legte die Staatsanwaltschaft gegen den Freispruch des Dekans der Fakultät in Manouba, Habib Kazdaghli, Berufung ein. Für die Opposition ist dies ein Testfall, inwieweit die Justiz sich gegen Säkulare funktionalisieren lässst.