So lässt sich der Welthunger nicht bekämpfen

Nicht Fisch, nicht Fleisch

Mit dem vermehrten Verzehr von Insekten kann der Welthunger nicht bekämpft werden.

Auch wenn die FAO jetzt dazu rät, mehr Insekten zu essen, werde ich auf krabbelnde Nahrungsmittel auch in Zukunft verzichten. Mögen Insekten auch nachweislich viele Nährstoffe enthalten und mag meine Abneigung gegen ihren Verzehr auch bloß auf Tradition und Gewohnheit beruhen, so bin ich doch nicht recht überzeugt von der Idee. Egal, wo er denn herkommt und ob er sich sinnvoll begründen lässt oder nicht, der Ekel ist nun einmal da, und gegen gesundes Essen hatte ich schon als Kind prinzipielle Vorbehalte.
Natürlich kann auch ich nicht umhin, anzuerkennen, dass bei stetig wachsender Erdbevölkerung es auch immer mehr Nahrung bedarf, um alle Menschen adäquat zu ernähren. Es mag sein, dass Insekten hierbei tatsächlich ein Baustein der Problemlösung sein könnten. Dennoch habe ich Bedenken bezüglich dessen, was die Implementierung dieses Bausteins unter den Begebenheiten der kapitalistischen Produktionsweise in der Praxis bedeuten würde.
Da wäre zunächst einmal die Tatsache, dass in vielen Kulturen, in denen Insekten Teil der traditionellen Speisekarte sind, diese unter anderem auch deswegen oft und gerne gegessen wurden und werden, weil sie einfach und kostenlos zugänglich sind. Die meisten Insekten – ausgenommen Nutzinsekten wie Honigbienen und Seidenraupen – sind in den meisten Kulturen Commons. Jeder kann in den Wald gehen und sich einen Käfersalat zusammensammeln oder ein paar Ameisen vom Wegesrand auflesen und sie sich genüsslich auf der Zunge zergehen lassen.

Genau das jedoch will die FAO ändern, wenn sie für einen Ausbau der Aufzucht von Insekten in speziellen Höfen wirbt. Dies bedeutet, dass hier aus etwas, das es bislang kostenlos gab, eine Ware gemacht und diese in kapitalistische Produktionskreisläufe eingegliedert werden soll – so wie es gegenwärtig auch mit dem Zugang zu Wasser geschieht. Wir haben es mit einer Tendenz zu tun, die wir analog zu Rosa Luxemburgs Thesen in »Die Akkumulation des Kapitals« als eine Form des nichtterritorialen Imperialismus bezeichnen können. Hier werden nicht wie in der historischen Epoche des Imperialismus Landstriche kolonisiert und dem kapitalistisch verfassten Weltmarkt eingegliedert, sondern es wird der Weltmarkt erweitert, indem immer mehr Dinge in die Warenform gezwängt werden. Friedrich August von Hayek würde vor Freude Purzelbäume schlagen.
Wenn der Bericht vorrechnet, dass der Bedarf an tierischen Produkten 2050 doppelt so hoch sein wird wie im Jahr 2000, dann gäbe es eigentlich einen Ausweg aus diesem Dilemma, der sehr viel einfacher umzusetzen wäre als der Ausbau der massenhaften agroindustriellen Aufzucht von Kleinstlebewesen. Statt immer mehr und immer neue Tiere zu essen, könnten wir auch einfach weniger oder gar keine Tierprodukte zu uns nehmen. Dass viele das nicht wollen, kann ich verstehen, auch wenn ich selbst seit über zehn Jahren ziemlich gut damit fahre. Dass es die Lösung des Problems der Ernährung einer stetig wachsenden Erdbevölkerung spürbar vereinfachen würde, lässt sich jedoch schwer von der Hand weisen. Und dass Wespen jetzt wirklich besser schmecken als Tofu, wage ich auch zu bezweifeln.

Ich möchte zudem fragen, wer denn dann konkret all die Insekten essen soll. Wie viele Menschen, die sich auch das Fleisch von Säugetieren, Fischen oder Vögeln leisten könnten, würden stattdessen zu Insekten greifen? Ich halte es für wahrscheinlich, dass, abgesehen von denjenigen, die ohnehin jeden Ernährungstrend von Makrobiotik bis Paläo-Diät mitmachen, es wohl doch eher die weniger Begüterten sein werden, die, um überhaupt irgendwelche Viecher essen zu können, zum McHeuschrecke oder zur Maikäfersuppe greifen. Letztere gehörte übrigens auch in Teilen Mitteleuropas lange ebenso zum kulinarischen Standard wie kandierte Maikäfer. Dass beides irgendwann von den Küchentischen verschwand, als die Menschen sich auch anderes leisten konnten, spricht nicht eben dafür, dass es sich dabei um ausgesprochene Köstlichkeiten gehandelt hat.
Insektenessen als Mittel gegen den Welthunger zu proklamieren, ist nichts als Flickschusterei. Gutes Essen für alle sollte das Ziel sein. Dass das innerhalb des Kapitalismus nicht zu machen sein wird, ist mir klar. Ich würde darin allerdings kein Ausschlusskriterium sehen wollen, sondern eher noch einen Grund mehr, diese überkommene Produktionsweise endlich auf den Müllhaufen der Geschichte zu befördern.