Nach den Wahlen in Pakistan

Sein drittes Mal

Trotz Drohungen und Terror haben insbesondere Frauen für eine hohe Wahlbeteiligung in Pakistan gesorgt. Die Regierung wurde abgewählt, gewonnen hat mit Nawaz Sharif ein ehemaliger Ministerpräsident aus dem konservativ-religiösen Lager.

Bei den pakistanischen Parlaments- und Provinzwahlen wurden die Pakistanische Volkspartei (PPP) und ihre Koalitionäre für das Versagen in der Wirtschafts-, Sicherheits- und Energiepolitik abgestraft. Der Urnengang vom 11. Mai war der zweite in der jungen Demokratie seit der Abdankung des Militärherrschers General Pervez Musharraf 2008. Zum ersten Mal nach der Unabhängigkeit Pakistans im Jahr 1947 wird somit eine zivile Regierung nach einer vollständigen Amtszeit durch eine frei gewählte Nachfolgerin abgelöst. Wegen des Mehrheitswahlrechts ergibt sich eine Machtverschiebung zugunsten der konservativ-religiösen Kräfte. Die Pakistanische Muslimliga (PML-N) des in den neunziger Jahren zweimal als Ministerpräsident amtierenden Nawaz Sharif ging als Siegerin aus den Wahlen hervor. Die bislang regierenden, sich eher säkular und liberal gerierenden Parteien PPP und Awami Nationalpartei (ANP) wurden empfindlich geschwächt. Daneben erlangte die Pakistanische Bewegung für Gerechtigkeit (PTI) des ehemaligen Kricketstars Imran Khan als drittstärkste Kraft einen Achtungserfolg. Islamistische Parteien verbuchten dagegen nur geringe Zugewinne.

Die Wahlbeteiligung betrug 60 Prozent, sie war die höchste seit 1977; bei der Wahl im Jahr 2008 gingen nur 44 Prozent wählen. Es ist zu vermuten, dass die Bevölkerung der krisengeschüttelten Atommacht weiterhin große Hoffnungen in die Demokratie setzt. Die Wahlbeteiligung nahm gerade bei Frauen deutlich zu. Doppelt so viele wie bei der vorhergehenden Wahl hatten sich als Wählerinnen registrieren lassen. Außerdem gab es doppelt so viele Kandidatinnen auf nationaler und dreimal so viele auf Provinzebene. Ein Drittel aller Wählerinnen und Wähler war unter 30 Jahre alt, was dem Bevölkerungswachstum von jährlich fast drei Prozent – einem der höchsten in Asien – Rechnung trägt.

Vor der Wahl hatte Hakimullah Mehsud, Anführer der Pakistanischen Taliban (TTP), allen gedroht, die am »unislamischen« Urnengang teilnehmen würden, da Demokratie und Islam unvereinbar seien. Während des Wahlkampfs und am Wahltag starben über 150 Menschen, unzählige wurden verletzt. Obwohl Wähler, Kandidaten sowie lokale Vertreter der Wahlkommission landesweit bedroht wurden und Wahlkampfveranstaltungen wiederholt Ziel von Selbstmordattentätern und Bombenanschlägen waren, ließ sich die Bevölkerung nicht einschüchtern. Das Militär, das seit der Unabhängigkeit die meiste Zeit die Politik dominiert hat und Zivilregierungen meist kritisch beäugt, unterstützte dagegen aktiv die Wahlen. Trotzdem kam es zu Unregelmäßigkeiten in der Hafenmetropole Karachi, in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa und in den Stammesgebieten unter Bundesverwaltung (FATA), wo Frauen teils durch Stammesälteste von der Ausübung ihres Wahlrechts abgehalten wurden. Das unabhängige Wahlbeobachternetzwerk Free and Fair Election Network (Fafen) kritisierte, dass in 49 Wahllokalen mehr Stimmen abgegeben worden seien, als Wähler registriert waren. Michael Gahler, Leiter der EU-Wahlbeobachtermission, teilte mit, dass die Abstimmung größtenteils regelkonform abgelaufen sei, auch wenn in neun Prozent der Wahllokale Mängel festgestellt worden seien.

Am 25. Mai wird der 63jährige Nawaz Sharif in der Hauptstadt Islamabad voraussichtlich zum dritten Mal als Ministerpräsident vereidigt. Bereits von 1990 bis 1993 und von 1997 bis 1999 hatte er den Posten inne. Beide Male war ihm keine vollständige Amtszeit beschieden. Beim ersten Mal überwarf er sich mit dem damaligen Präsidenten Ishaq Khan, der ihn wegen Korruptionsvorwürfen entließ. Seine zweite Amtszeit endete mit dem Putsch von General Musharraf, den er zuvor als Sündenbock für den verlorenen Kargil-Krieg gegen Indien abgesetzt hatte. Sharif landete zuerst im Gefängnis und dann im Exil in Saudi-Arabien. Mit Benazir Bhutto (PPP), ebenfalls zweimalige Ministerpräsidentin, pflegte er bis zu ihrer Ermordung im Dezember 2007 eine Rivalität. Sharif stammt aus einer Industriellenfamilie aus Lahore im Punjab und gilt als Zögling des Militärdiktators Zia ul-Haq, der gegen Bhuttos Vater putschte und dessen Islamisierungskurs er als leitender Minister des Punjab von 1985 bis 1990 unterstützte. Bhutto kam hingegen aus einer alten Großgrundbesitzerdynastie in der Provinz Sindh. Während seiner zwei kurzen Amtszeiten als Ministerpräsident setzte Sharif die Islamisierung des Staats weiter fort und brachte wichtige Industrie- und Infrastrukturprojekte auf den Weg. Außerdem privatisierte er über 90 Prozent der Staatsbetriebe, wobei es allerdings im für Pakistan typischen Klüngel aus Wirtschaft, Militär, Clans und Politik nicht immer mit rechten Dingen zuging. Bis heute ist er stolz darauf, die Zündungen der ersten »grünen Atombomben« als Antwort auf die indischen Atomtests im Jahr 1998 angeordnet zu haben.

Zusammen mit seinem jüngeren Bruder Mian Shahbaz Sharif, bis Ende März diesen Jahres leitender Minister des bevölkerungsreichen Punjab, arbeitete Nawaz Sharif seit seiner Rückkehr aus dem Exil Ende November 2007 an seinem politischen Comeback. Er unterstützte die Wiedereinsetzung des Obersten Richters Iftikhar Chaudhry und die Forderungen der Anwaltsbewegung. Bei der Wahl 2008 durfte er wegen seiner Verurteilung während der Musharraf-Ära noch nicht antreten. Inzwischen wurde das Urteil annulliert und die Verfassung geändert, unter anderem dürfen Ministerpräsidenten nun häufiger als zweimal amtieren. Sharif verfügt über einen ausgeprägten Machtwillen und liebt große Gesten und theatralische Auftritte. Allerdings gilt der »Löwe des Punjab« auch als ungeduldig, reagiert oft herrisch und wittert Verschwörungen. Nach der Wahl umwarb die PML-N umgehend unabhängige Mandatsträger und Kleinstparteien, um möglichst bald eine Koalition zu bilden. An der Börse in Karachi gab es in Erwartung zukünftiger Wirtschaftsimpulse große Kurssprünge.

Das schlechte Abschneiden der PPP, die gut zwei Drittel ihrer Mandate verlor, dürfte neben der mangelhaften Regierungsführung insbesondere dem juristischen Gezerre um die Korruptionsvorwürfe gegen Präsident Ali Asif Zardari geschuldet sein. Die von ihm angestrebte Machtübergabe an seinen Sohn Bilawal Bhutto Zardari, der mit 24 Jahren noch zu jung für das Amt des Ministerpräsidenten ist, aber im September dieses Jahres – zum Ende der Amtszeit seines Vaters – das notwendige Alter erreicht hätte, ist gescheitert. Ein weiterer Grund für die Wahlniederlage war das mangelhafte Engagement Bilawals, der Wahlkampfauftritte scheute und sich lieber in Videoansprachen an seine Unterstützerinnen und Unterstützer wandte. Dass er bereits Anfang Mai das Land in Richtung Dubai verließ, sorgte bei vielen für Unmut und wurde als vorzeitige Kapitulation der PPP gewertet.

Die Zukunft von Präsident Zardari ist nun höchst ungewiss. Denn von einer von der PML-N geführten Regierung kann er nicht mehr jene Vasallentreue erwarten, die ihm bislang durch bewusste Verzögerungen gegenüber dem Obersten Gerichtshof vor Strafverfolgung schützte. Sollte sich im neugewählten Parlament eine Zweidrittelmehrheit gegen ihn finden, droht eine vorzeitige Absetzung. Das würde der Muslimliga ermöglichen, die derzeit hohe Zustimmung für die Besetzung beider Spitzenpositionen im Staate zu nutzen.

Für Spannung sorgt die PTI, die als drittstärkste Partei ihren Einstand im Parlament feierte und beinahe die PPP überholt hätte. Die auf den charismatischen Imran Khan – spätestens seit dem bislang einzigen Finalsieg gegen den Erzrivalen Indien im Kricket-Worldcup im Jahr 1992 ein Nationalheld – maßgeschneiderte Partei hatte die Wahl 2008 boykottiert. Der vom ehemaligen Lebemann zum Moralisten geläuterte Philanthrop lehnt auf nationaler Ebene vehement die Zusammenarbeit mit den »alten, korrupten Kräften« ab und fordert ein »Neues Pakistan« durch einen Wandel von »außerhalb des Systems«. Seine antiamerikanische Rhetorik, insbesondere gegen Drohnenangriffe, sein gezieltes Umwerben auch konservativer Muslime und sein Engagement für einen Dialog mit Aufständischen in den Unruheregionen entlang der Grenze zu Afghanistan sorgten für großen Zulauf. Gleichzeitig ist Khan geschickt im Umgang mit den Medien und kann durch Charme und Allgemeinplätze bei internationalen Gesprächspartnern punkten. Sein Sturz von einer fünf Meter hohen Hebebühne vier Tage vor der Wahl, bei dem er sich Kopf- und Wirbelsäulenverletzungen zuzog, sorgte für viel Aufsehen. Die PTI konnte die meisten Sitze in der nordwestlichen Provinz Khyber Pakhtunkhwa erzielen, braucht dort aber Koalitionspartner.

Der Wahlsieger Sharif steht unter großem Erwartungsdruck. Außenpolitisch wird sein Taktieren zwischen der finanziellen Abhängigkeit von den USA, die Verhandlungen mit Jihadisten kritisch beurteilen, dem Fortführen der Allwetterfreundschaft zur VR China, dem bedeutendsten Kooperationspartner und Investor, sowie der Intensivierung der Dialoge mit Indien und Afghanistan wichtig werden. Ungemach droht in den Beziehungen zum Iran, der an die sezessionistische Unruheprovinz Belutschistan grenzt, da Sharif sehr enge Beziehungen mit Irans Konkurrent Saudi-Arabien pflegt, aber beide Staaten als Energielieferanten benötigt.

Ob die von Punjabis dominierte Muslimliga die gewalttätigen Konflikte insbesondere im Nordwesten, in Karachi und der Provinz Belutschistan befrieden kann, erscheint fraglich. Die religiöse Gewalt gegen Schiiten und Nichtmuslime könnte sogar zunehmen, da die PML-N sunnitische Islamisten in den eigenen Reihen umwirbt. Ein Fünftel der Bevölkerung lebt in extremer Armut, die angestrebten Infrastrukturprojekte dürften Industrie- und Handelskonzernen dienen – und somit auch den Firmen des Sharif-Clans. Der wichtige Agrarsektor und die Bildungspolitik scheinen bislang eher nachrangig. Die Hoffnung stirbt aber bekanntlich zuletzt.