Der Fall Oury Jalloh ist immer noch nicht aufgeklärt

Zwei Urteile, ein Fragezeichen

Die Urteilsbegründung im zweiten Prozess zum Tod von Oury Jalloh liegt vor. Geklärt ist der Fall immer noch nicht.

Fast ein halbes Jahr nach dem Ende des Prozesses zum Tod des Sierra Leoners Oury Jalloh (Jungle World 51/12) hat das Landgericht Magdeburg seine Urteilsbegründung vorgelegt. Öffentlich gemacht wurde sie allerdings nicht, der 260 Seiten lange Schuldspruch wurde den Streitparteien zugestellt. Sie haben nun einen Monat Zeit, ihre schon im Dezember eingelegten Revisionen zu begründen. Dann geht die Sache an den Bundesgerichtshof (BGH) – zum zweiten Mal.

Jalloh war am 7. Januar 2005 in einer Zelle des Dessauer Polizeireviers an Händen und Füßen gefesselt verbrannt. Wie das Feuer überhaupt ausbrechen konnte, ist immer noch ungeklärt. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, Jalloh habe die Matratze, auf der er gefesselt war, selbst angezündet. Antirassistische Initiativen nehmen an, das Feuer sei von Polizisten gelegt worden.
Vor Gericht stand im zweiten Verfahren der Polizist Andreas S., der an jenem Tag für den Gewahrsamstrakt verantwortlich war. Er soll den Feueralarm mehrfach ignoriert und einmal sogar abgestellt haben, statt Jalloh zu retten. Im Dezember wurde S. wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe in Höhe von 10 800 Euro verurteilt.
Ende 2009 hatte das Landgericht Dessau-Roßlau S. in einem ersten Verfahren freigesprochen. Das Urteil wurde jedoch später vom BGH aufgehoben. Die Bundesrichter sahen damals die Ursachen von Jallohs Tod als nicht eindeutig geklärt und werteten die Würdigung von Beweisen im ersten Urteil als lückenhaft.
Auch im zweiten Prozess hatte die Nebenklage, die die Familie des Toten vertritt, immer wieder auf eklatante Lücken in der Beweisführung der Staatsanwaltschaft hingewiesen. »Wir sind uns bewusst, dass es Ermittlungsfehler gegeben hat«, sagte die Vorsitzende Richterin Claudia Methling dazu während der mündlichen Urteilsbegründung im Dezember. So waren beispielsweise Asservate vernichtet und Videos von der Durchsuchung der ausgebrannten Zelle gelöscht worden. »Was daraus zu schließen wäre, muss offen bleiben«, befand die Richterin. Es könne »nicht nachgewiesen werden, dass Beweismittel gezielt vernichtet wurden«.
Eine Überraschung gab es im zweiten Prozess gleichwohl. Die Polizei hätte Jalloh niemals in die Zelle sperren dürfen, stellte das Gericht fest. Denn weder habe der Verdacht bestanden, er könne eine Straftat begangen haben, noch sei seine Identität ungeklärt gewesen, sagte Methling. Zudem wäre die Polizei verpflichtet gewesen, das Einverständnis eines Richters zum Gewahrsam einzuholen.
Diese Versäumnisse mochte die Richterin dem Angeklagten aber nicht anlasten. Denn er sei mehreren Irrtümern aufgesessen, wofür er Methling zufolge jedoch nicht verantwortlich gewesen sei. So habe er annehmen müssen, dass Jalloh eingesperrt worden war, weil er sich gegen die Kontrolle gewehrt habe. Und da vom Dessauer Polizeirevier noch nie ein Richter zur Bestätigung einer Gewahrsamnahme angerufen worden sei, habe S. annehmen können, dass dieses rechtswidrige Vorgehen vorschriftsmäßig sei.
Das sei ein »gewagter Schluss«, sagt die Nebenklagevertreterin Gabriele Heinecke. »Es kann nicht sein, dass ein Polizist den Richtervorbehalt nicht kennt. Es kann höchstens sein, dass der Vorbehalt in Dessau grundsätzlich nicht berücksichtigt wurde. Das wäre dann aber keine Entschuldung des Angeklagten, sondern umso schlimmer.« Bereits im Dezember hatte sie bemängelt, der Richterspruch sei »voller Fehler«. So habe das Gericht S. nicht wegen Freiheitsberaubung mit Todesfolge verurteilt, obwohl es selbst davon ausgegangen sei, dass Jalloh zu Unrecht festgenommen worden war.

Zudem kritisierte sie, dass das Gericht ihren Antrag auf ein erweitertes Brandgutachten, in dem alle möglichen Varianten der Entstehung des Feuers berücksichtigt würden, abgelehnt habe. Die stattdessen verwendete Computersimulation sei »als Mittel zur Aufklärung des Falles ungeeignet«, sagt Heinecke. »Wir haben uns ein halbes Jahr damit beschäftigt, wir haben immer gesagt, dass es uns keinen Schritt weiterbringen wird, und es hat uns keinen Schritt weiter gebracht.« Sie und ihr Kollege Philipp Napp werden das schriftliche Urteil in den kommenden Tagen auf Rechtsfehler prüfen lassen.