Das Interesse der schwedischen Medien am NSU-Prozess

Das Schwedenrätsel

Die Verlosung der Presseplätze im NSU-Prozess sorgte für einigen Unmut, auch dass schwedische Journalisten einen Platz bekamen. Doch in Schweden verfolgt man den NSU-Prozess mit besonderem Interesse. Hatte der NSU ein Vorbild in Skandinavien?

Nachdem die Presseplätze für den NSU-Prozess Ende April verlost worden waren, war die Häme vor allem der Medien, die bei der gerichtlichen Lotterie kein Glück gehabt hatten, groß. Dass ausgerechnet die Frauenzeitschrift Brigitte berichten durfte, sorgte zwei Tage lang für zahlreiche mehr oder weniger gelungene Witze – nur wenig später sollten allerdings alle Zeitungen und Sender, egal ob akkreditiert oder nicht, einträchtig schildern, wie Beate Zschäpe am ersten Verhandlungstag angezogen war.
Dass ausgerechnet eine schwedische Tageszeitung einen Platz im Gerichtssaal erhalten hatte, sorgte ebenfalls für Unverständnis, schließlich seien keine schwedischen Staatsbürger unter den Opfern gewesen. Beim Svenska Dagbladet hofft man jedoch, durch den Prozess eine Antwort auf die Frage zu bekommen, inwieweit der NSU und sein Umfeld schwedische Nazimörder beeinflussten oder durch sie beeinflusst wurden. Schon kurz nach der Verhaftung von Beate Zschäpe zog man Parallelen zu einer Verbrechensserie, die Anfang der neunziger Jahre für den zweitgrößten Polizeieinsatz nach dem Mord an Ministerpräsident Olof Palme gesorgt hatte.

John Ausonius hatte zwischen August 1991 und Januar 1992 in zehn Fällen versucht, für ihn ausländisch aussehende Menschen zu erschießen, ein Student wurde dabei getötet (Jungle World 43/2010 und 44/2010). Der Mann, der ursprünglich Wolfgang Zaugg hieß, hatte seine Opfer nach dem Zufallsprinzip ausgewählt und seinen Lebensunterhalt durch Banküberfälle finanziert, von den jeweiligen Tatorten flüchtete er mit einem Fahrrad.
Der deutsche Verfassungsschutz bat den schwedischen Inlandsgeheimdienst Säpo immerhin vor einiger Zeit um Mithilfe bei den Ermittlungen zu möglichen Kontakten des NSU nach Skandinavien. Auf Anfrage des Svenska Dagbladet wollte keiner der beiden Dienste sich zu weiteren Einzelheiten äußern. Ahn-Za Hegström, leitender Analytiker der Säpo, sagte der Zeitung, eine deutlich erkennbare Verbindung zu schwedischen Rechtsextremen gebe es zwar nicht, aber »wir wissen schon länger, dass deutsche und schwedische Nazis an Veranstaltungen im jeweils anderen Land teilnehmen, wie eben früher am Salem-Marsch«. Ob Zschäpe oder andere NSU-Mitglieder und -Unterstützer an dieser berüchtigten, seit dem Jahr 2000 jährlich stattfindenden Demonstration für den 1999 getöteten Schlagzeuger der Naziband Vit legion teilnahmen, ist bislang nicht bekannt, aber in den Trümmern ihrer Zwickauer Wohnung fanden Ermittler eine Festplatte mit Filmen und Bildern von einschlägigen Treffen in Schweden und Dänemark. Während weder Säpo noch deutsche Stellen bislang darüber Auskunft gaben, ob auch NSU-Mitglieder darauf zu sehen sind, liegen dem Svenska Dagbladet wohl anonyme Insiderinformationen, vermutlich aus Ermittlerkreisen, vor. »Laut unseren Quellen sollen einige Unterstützer des NSU-Trios auf Fotos abgebildet sein, überdies soll einer der jetzt im Prozess Mit­angeklagten mehrmals in Schweden gewesen sein.« Auf der Festplatte sei außerdem eine Datei gefunden worden, die den Namen dieses Mannes trug.
Dass der in der deutschen Öffentlichkeit weitgehend unbekannte Ausonius in NSU-Kreisen durchaus einen gewissen Ruf genoss, ist ziemlich wahrscheinlich. Dem Svenska Dagbladet zufolge war er im Jahr 2000 in einer Zeitschrift des Nazi-Netzwerks Blood & Honour als »Vorbild« vorgestellt worden. Alle Angeklagten im NSU-Prozess standen Blood & Honour nahe. Dass Ausonius an Kontakten ins Ausland immer interessiert war, ist bekannt. Während eines Gefängnisaufenthalts 1986 freundete er sich mit einem verurteilten ehemaligen Ustaša-Mitglied an. Ausonius, inzwischen zu lebenslanger Haft verurteilt, wurde vor einigen Jahren zum Vorbild des schwedischen Rassisten Peter Mangs, der bei seiner Mordserie die Auselius-Methoden verfeinerte, indem er rechte Websites nach namentlich genannten Menschen mit Migrationshintergrund durchsuchte und dann aufbrach, um sie zu töten.
Ein deutschsprachiger Nazi, der ausländisch aussehende Menschen tötet und Panik verbreitet – Ausonius könnte durchaus als role model für den NSU gedient haben. Angela Pley, die vom Svenska Dagbladet als Mitarbeiterin des Bundesamts für Verfassungsschutz vorgestellt, vom schwedischen Rundfunk SVT allerdings als BND-Mitarbeiterin bezeichnet wird, sagte dem Svenska Dagbladet vor einigen Tagen immerhin: »Wir wissen, dass in den neunziger Jahren viele Deutsche zu rechtsextremen Konzerten und Demos nach Schweden reisten. Wir haben allerdings keine bestätigten Informationen darüber, ob die drei fraglichen Personen (Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt, Anm. d. Red.) an schwedischen Demonstrationen teilnahmen.« Und fügte hinzu: »Der Lasermann (Spitzname von Ausonius, Anm. d. Red.) würde perfekt passen, aber wir können nicht bestätigen, dass er eine Inspirationsquelle des NSU war. Es könnte natürlich so gewesen sein, aber im Moment ist dies nur eine Theorie unter vielen. Wir hoffen, dass der Prozess uns Antworten auf diese Frage geben kann.«

Noch empörter als auf die schwedische Akkreditierung reagierte das deutsche Feuilleton nach der Verlosung der Presseplätze für den Prozess darauf, dass Kommerzrundfunksender und Anzeigenblättchen als Beobachter dabei sein durften. Der Besitzer von »Hallo München«, Dirk Ippen, hatte noch vor wenigen Jahre unter anderem über die Wehrmachtsgeneration gebloggt hatte: »An das Leid und die weitere Lebensleistung dieser Generation, an ihre Tapferkeit, ihr Pflichtbewusstsein und ihren Leistungswillen sollten wir erinnern, wenn wir nun immer wieder an der Bahre eines von ihnen stehen.« Das spielte jedoch keine Rolle beim allgemeinen Wehklagen über die befürchtete schlechte Qualität der Berichterstattung. Viel eher stieß man sich daran, dass »Hallo München« eine lokales Gratis-Anzeigenblatt ist. Die Berichte, die »Hallo München« über den Prozess auf der Website veröffentlicht, sind allerdings durchweg kompetent, was daran liegen könnte, dass sie nicht immer von der eigenen Redaktion stammen: Texte von DPA, eine Übernahme von TZ-online sind darunter.