Der richtige Moment

Berlin Beatet Bestes. Folge 195. Johnny-Cat-Records

Früher hat man an den Plattenregalen anderer Leute ablesen können, welcher Typ Fan sie sind. Heute kann man nur noch sehen, ob sie Fan sind. Denn Fans haben nun mal Schallplatten. Alle anderen, die ihre Musik auf dem Ipod oder Computer hören und nichts mehr vorzuzeigen haben als ein paar Dateien, sind keine Fans – keine fanatischen Anhänger irgendeiner Musikrichtung. Fans brauchen den echten Stoff. So einfach ist das nun mal. Dafür haben Nicht-Fans schön auf­geräumte und übersichtliche Wohnungen. Beim Anblick meiner Schallplattensammlung reagieren viele Leute mit einer Mischung aus Mitleid und Bewunderung. Irgendwie finden sie diese Leidenschaft schon interessant. Der offensichtliche Sammelzwang dahinter stößt sie hingegen ab. Tatsächlich ist die Sucht zu sammeln seltsam, noch dazu mit einem gewissen Leidensdruck verbunden.
Seit einiger Zeit versuche ich, die überbordende Sammlung zu reduzieren und immer neu zu ordnen. Als ich unlängst an dieser Stelle schrieb, dass ich einen Teil meiner Sammlung loswerden wolle, bekam ich von einem Leser den Tip, doch eine riesige Vinylskulptur aus aussortierten Schallplatten zu formen. Unverschämt! Als wären die Platten nur Material. Ich hasse diese Freaks, die aus LP Obstschalen formen. Das ist erbärmlich. Noch schlimmer war eine Mail, die mir ein Leser meines Blogs zukommen ließ. Er fragte mich geradeheraus, ob ich nicht mal wieder Fotos meines Musikzimmers und meiner Schallplattensammlung posten könne, er sei nun mal ein Voyeur. Eigentlich kein Problem, wenn ich nicht im selben Augenblick mit einem heillosen Plattenchaos beschäftigt gewesen wäre. Mein Musikzimmer war wenig präsentabel, der Leser traf einen wunden Punkt.
Es fällt mir nicht leicht, meine Sammlung in Ordnung zu halten. Vor allem habe ich Schwierigkeiten damit, Sachen loszuwerden. Zu entscheiden, welche Platten gut sind und welche schlecht, welche wichtig und welche nicht. Woher soll ich das mit Sicherheit wissen? Mein Geschmack könnte sich doch jederzeit ändern.
Einige Wochen später stand ich dann vor dem Plattenregal und stellte überrascht fest, dass sehr viele Platten für mich wirklich an Bedeutung verloren haben. Plötzlich fiel es mir leicht, Platten auszusortieren, und im Handumdrehen hatte ich einige Kisten mit ein paar hundert Singles gepackt. Ich geriet in einen regelrechten Wegwerfrausch, fuhr mit einem Freund zum Sperrmüll und entrümpelte. 500 Singles wanderten erst in den Keller, von dort dann in den nächstgelegenen Second-Hand-Laden. Wenn der richtige Moment gekommen ist, geht es manchmal eben doch.
So machen die Neuerwerbungen des Johnny-Cat-Labels aus Portland auch wieder mehr Spaß. Youthbitch: I’m In Love With Girls; Piss Test: Frigid Punks; Guantanamo Baywatch: Oh Rats! und Portland Mutant Party Vol. II mit Defect Defect, Youthbitch, Red Dons und Guantanamo Baywatch. Punk, Pop, Surf – und alles auf kleinen bunten Platten. Für den frischen, freien Platz im Regal!