Die homophobe Bewegung in Frankreich radikalisiert sich

Die Angst vor dem Wandel

Die Proteste gegen die gleichgeschlechtliche Ehe in Frankreich dauern an, die Bewegung radikalisiert sich.

So viel Bereitschaft zum Märtyrertum gab es schon lange nicht mehr. »Notfalls würde ich mich auch vor den Panzer legen, wie 1989 auf dem Tian’anmen-Platz«, beteuerte die Aktivistin Ludovine de la Rochère in den Spalten des rechtsex­tremen Internetmagazins Nouvelles de France, kurz bevor am Sonntag in Paris rund 400 000 Menschen gegen die gleichgeschlechtlichen Ehe auf die Straße gingen.
Panzer fuhren in Paris nicht auf, so dass de la Rochères Entschlossenheit nicht auf die Probe gestellt wurde. Doch die Bewegung radikalisiert sich, das zeigten nicht nur die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizisten am Sonntagabend in Paris, bei denen 34 Polizeibeamte, ein Fotograf und ein von den Rechtsextremem offenbar als Gegner iden­tifizierter Mann verletzt wurden. Inzwischen hat Ludovine de la Rochère die eher exzentrische Virginie Merle-Tellenne, die unter dem selbstgewählten Pseudonym Frigide Barjot (»Frigide Bescheuert«) auftrat, als wichtigste Sprecherin der rechten Protestbewegung abgelöst. Die 50jährige Barjot war am 5. Mai in Lyon von einer Fraktion der Demonstranten ausgepfiffen worden. Dabei tat sich besonders die rechtsextreme, als gewalttätig bekannte Studentenorganisation Groupe Union-Défense (GUD) hervor. In den folgenden Tagen erhielt Barjot mehrfach Drohungen bis hin zu einem per Post verschickten blutgetränkten Taschentuch. Ihr wird vorgeworfen, sich zwar gegen die Eheschließung für homosexuelle Paare, aber für die zivilrechtliche Anerkennung einer Lebenspartnerschaft (union civile) ausgesprochen zu haben. Am Sonntag blieb sie »aus Sicherheitsgründen« der Demonstration fern.

Die Protestbewegung, betonen Barjot und andere vergleichsweise gemäßigte Protagonisten, sei nicht homophob, sondern wolle lediglich auf das Problem der Stellung von Kindern im Falle der Adoption durch homosexuelle Paare aufmerksam machen. Auf den »Schutz unserer Kinder« beriefen sich auch zahlreiche Demonstranten am Sonntag, deren Kinder allerdings wohl eher davor geschützt werden müssten, von ihren Eltern mitgeschleift und mit Transparenten ausgestattet zu werden, deren Parolen sie kaum verstanden haben dürften.
Die politische und ideologische Radikalisierung der Bewegung zeigt sich auch in der wachsenden Bedeutung der rechten bis rechtsextremen Plattform Printemps français (Französischer Frühling), die von Béatrice Bourges geleitet wird. Am Freitag voriger Woche erwog Innenminister Manuel Valls, ein Organisationsverbot gegen diese eher lose strukturierte Bewegung zu verhängen. Printemps français hatte zuvor angekündigt, nunmehr »die Regierung und all ihre Anhängsel, die politischen Parteien der Kollaboration« – gemeint sind jene, die mit der angeblichen sozialistischen Diktatur zusammenarbeiten – »und die Lobbys, in denen die herrschende Ideologie ausgearbeitet und verbreitet wird«, ins Visier zu nehmen. Innenminister Valls wertete dies als eine Ankündigung von Einschüchterung und Gewalt.

Unter der »herrschenden Ideologie« versteht diese Gruppe die Abkehr von der vermutlich natürlichen Moral und speziell »die Gender-Ideologie«, da derzeit über die Einführung der Gender-Theorie in Schulbücher diskutiert wird. Was man unter einflussreichen »Lobbys« versteht, zeigte die Gruppe am Freitag voriger Woche, als sie vor der Freimaurerloge Le Grand Orient in Paris demonstrierte. Um die Freimaurer, die vor 1789 eine wichtige Rolle als Geheimorganisation des aufgeklärten und revolutionären Bürgertums spielten und als elitäre Zirkel fortbestehen, ranken sich seit 200 Jahren wüste Verschwörungstheorien, die bei reaktionären Katholiken ebenso beliebt sind wie bei Antisemiten und Neofaschisten.
Auch nachdem das Gesetz zur Einführung der Homosexuellenehe am 17. Mai vom französischen Verfassungsgericht für verfassungskonform erklärt und am folgenden Tag von Staatspräsident François Hollande unterschrieben wurde, gehen die Proteste dagegen weiter. Die Sprüche, mit denen de la Rochère und andere Protestierende ihr fortwährendes Engagement gegen das diabolische Vorhaben untermalen, belegen den zunehmend irrationalen Charakter der Gegenbewegung. Artikuliert wird die Angst vor einem gesellschaftlichen Wandel, der als katastrophenträchtig betrachtet wird. Viele fürchten die Auflösung der traditionellen Geschlechterhierarchie, manche auch die »Rassenmischung«, eine Art reaktionärer Verzweiflung, die auch das Motiv für den Selbstmord des faschistischen Schriftstellers Dominique Venner war, der sich am Dienstag voriger Woche in der Pariser Kathedrale Notre Dame erschoss.

Die katholische Kirche protestiert, wo immer die Homosexuellenehe eingeführt wird, in manchen Ländern kam es auch zu größeren Demonstrationen. In Frankreich aber wurden die Proteste seit November vergangenen Jahres zu einer Dauereinrichtung. Und sie sollen, auch nachdem das Gesetz nun in Kraft ist und am Mittwoch die erste Hochzeit von zwei Männern in Montpellier gefeiert wurde, weitergehen.
Einige Bürgermeister schlossen sich bereits der Ankündigung des Stadtoberhaupts von Vienne bei Grenoble, Jacques Remiller (UMP), an, die Anwendung des Gesetzes zu boykottieren, auch wenn dies Strafverfahren nach sich ziehe. Umfragen zufolge verurteilen zwar gut 55 Prozent der Bevölkerung dieses Verhalten, doch eine Mehrheit sowohl in der Wählerschaft der konservativ-wirtschaftsliberalen UMP als auch des rechtsextremen Front National befürwortet es. Andere Bürgermeister wollen es vermeiden, selbst solche Eheschließungen vorzunehmen, die in Frankreich von ihnen oder ihren Stellvertretern zelebriert werden. So möchte der UMP-Vorsitzende Jean-François Copé, der auch Bürgermeister von Meaux ist, es seinen Beisitzern überlassen, Homosexuelle zu trauen. Sein Parteifreund, der Abgeordnete Hervé Mariton, will als Bürgermeister von Crest zwar auch Hochzeiten von homosexuellen Paaren pflichtgemäß feiern, aber »ihnen dabei sagen, was er dazu denkt«. Ihm geht es offenbar um Abschreckung, anderen um Einschüchterung. Am Sonntag kündigten militante Oberschüler aus katholischen Privatschulen an, gegen Hochzeiten homosexueller Paare vor den Rathaustüren zu demonstrieren. Die Heirat kann zum Spießrutenlauf werden, auch gewalttätige Angriffe sind nicht ausgeschlossen.
Das Ausmaß der Protestbewegung und den zum Teil apokalyptischen Unterton kann nur verstehen, wer sie in den Kontext der französischen Geschichte stellt. In jenen gesellschaftlichen Milieus, die sich durch die Bindung an katholische Werte und konservative Einstellungen auszeichnen, würde in anderen Ländern vielleicht eher eine unpolitische Haltung oder die Akzeptanz des Bestehenden vorherrschen. In Frankreich aber treten sie immer wieder mit politischem Aktivismus hervor, denn ein Teil gerade dieser Milieus ist durch die Erinnerung an den Epochenbruch von 1789 geprägt: Modernisierung und Abkehr vom Überkommenen werden hier mit einem als traumatisch empfundenen Erlebnis, dem revolutionären Umsturz einer als natürlich imaginierten Ordnung, assoziiert. Aber auch politische Parteien nutzen die Protestbewegung. Am erfolgreichsten war dabei wohl die UMP, deren Politiker aber immer heftiger darüber streiten, wie weit sie als »staatspolitische Verantwortungsträger« gehen dürfen.