Über afrikanische Flüchtlinge in Hamburg

Flüchtlinge wollen keine Rückfahrt

In Hamburg leben zurzeit 300 afrikanische Flüchtlinge auf der Straße. Die Stadtregierung möchte die Männer loswerden.

Der Regen hört nicht auf, Keller laufen voll, Erdbeeren ersaufen auf den Feldern. Es ist schlimm, wenn man sich durch die Meldungen Hamburger Newsportale klickt. Doch erst seit vergangener Woche geht es in regionalen Medien in Sachen Wetter nicht mehr nur um verrottendes Gemüse und feuchte Schuhe. Da die Winternotunterkünfte der Stadt seit Mitte April geschlossen haben, frieren der Flüchtlingshilfsorganisation »Karawane« zufolge etwa 300 Menschen aus Afrika in Hamburg auf offener Straße. Die obdachlosen Flüchtlinge wollten in der vergangenen Woche ein Protestcamp nach Berliner Vorbild aufbauen.

Obwohl sie bereits drei Wochen zuvor während des Evangelischen Kirchentags ihr Recht auf Unterkunft, medizinische Versorgung, Bildungsangebote und Arbeit eingefordert hatten, blieben sie erst einmal ungehört. Erst die Ankündigung, Zelte vor der Hamburger SPD-Zentrale aufzubauen, rief die Medien auf den Plan und schreckte die Bürgerschaftsfraktionen der Grünen und der Linkspartei auf. Von der in Hamburg regierenden SPD war hingegen wenig zu hören.
Doch aus dem Protestcamp wurde nichts. Keine Stunde, nachdem das erste Zelt aufgebaut worden war, mussten die Flüchtlinge und ihre Unterstützer die Grünfläche im Stadtteil St. Georg unter der Aufsicht von mehreren Dutzend Polizisten räumen. Als Grund nannte das Bezirksamt des ebenfalls von der SPD regierten Bezirks Mitte, dass der Rasen nicht beschädigt werden dürfe.
Einen Tag später versammelten sich etwa 60 Flüchtlinge in der Eingangshalle des Rathauses, um vom Ersten Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) angehört zu werden. Dass der Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) im Auftrag des Senats lediglich angeboten hatte, ihnen ein Bahnticket nach Italien zu schenken, reichte ihnen nicht. Schließlich würden die Flüchtlinge dann nur im Asyl-Pingpong hin- und hergeschoben werden.
Die 300 Männer, darunter auch Jugendliche im Alter zwischen 17 und 19 Jahren, flüchteten 2011 nach eigener Aussage vor libyschen Rebellen, die sie wegen ihrer Hautfarbe pauschal als Söldner des ehemaligen Diktators Muammar al-Gaddafi abgestempelt hätten und ermorden wollten, nach Lampedusa – dem Hauptanlaufhafen für Flüchtlinge aus Afrika. Als Ende 2012 die Subven­tionen für italienische Asylheime ausliefen und die EU keine Verlängerung der finanziellen Unterstützung billigte, schlossen die Behörden die Auffanglager. Den nun obdachlosen Flüchtlingen wurde mitgeteilt, dass sie in Italien keine Möglichkeit hätten, Unterkunft oder Arbeit zu finden.

Die Männer aus Afrika bekamen daher entweder den »Titolo di viaggio per stranieri«, einen italienischen Fremdenpass, mit dem ein dreimonatiger Aufenthalt im Schengen-Raum möglich ist, oder den »Permesso di soggiorno«, mit dem es keine Einschränkung der Aufenthaltsdauer gibt. Zudem erhielten die Flüchtlinge pro Person 500 Euro in bar, mit denen sie sich in ein anderes EU-Land begeben sollten. Viele wählten Deutschland als Zufluchtsort. Hier dürfen sie wegen der Dublin-II-Verordnung aber kein Asyl beantragen, besagt das Regelwerk doch, dass Flüchtlinge nur in dem EU-Land einen Asylantrag stellen können, das sie zuerst betreten haben. Flüchtlingen aus Afrika bleibt oft nur der Seeweg nach Europa, so auch den Männern aus Libyen, die 2011 nach Wochen völlig erschöpft in Lampedusa landeten.
»Wir haben den Krieg in Libyen nicht überlebt, um jetzt auf der Straße zu sterben«, hieß der Slogan der Kundgebung im Rathaus. Doch statt des Bürgermeisters bekamen die Protestierenden nur seinen Sprecher zu Gesicht. Dieser versicherte ihnen, dass bald ein Dialog stattfinden werde. Obwohl sie eigentlich Scholz persönlich ihre Lage schildern wollten, gaben sich die Männer zufrieden und zogen in einer von der Linkspartei spontan angemeldeten Demonstration vom Rathausmarkt zum Hauptbahnhof. »Doch bis heute haben wir nichts mehr gehört«, sagt Ralf Laurenco. Als Sprecher von »Karawane« unterstützt er die Hamburger Flüchtlinge in ihrem Protest.
»Wir sind keine ökonomischen Flüchtlinge. Wir hatten alle Arbeit«, sagt Affo Thassei, »wir haben unsere Familien, unsere Communities in unserer Heimat unterstützt. Und jetzt haben wir nichts.« Der Togolese ist einer der Wortführer der Flüchtlinge. »Die Behörden sind taub, weil wir die falsche Hautfarbe haben«, sagt er. Es sei ein immenses Verbrechen, das die europäischen Autoritäten an ihnen verübten. Die Nato habe ihr Leben kaputt gebombt, nun wolle sie keiner haben. Dass bereits vor dem Eingreifen der Nato ein blutiger Bürgerkrieg herrschte, in dem tatsächlich Söldner aus der Subsahara-Zone im Auftrag Gaddafis äußerst brutal gegen die Rebellen vorgingen, erwähnt er nicht. Die meisten Flüchtlinge waren nach eigener Auskunft als Arbeiter tätig, waren Fließenleger, KFZ-Mechaniker oder Bauarbeiter.

Ralf Laurenco von »Karawane« zufolge will die Fraktion der »Linken« noch in dieser Woche Strafanzeige wegen unterlassener Hilfeleistung gegen die Stadt stellen. Er berichtet von katastrophalen Zuständen: »Jeden Tag werden drei bis vier Menschen krank.« Die Flüchtlinge pendeln nun von einer Einrichtung für Obdachlose zur nächsten. Einige konnten Schlafplätze in einer freikirchlichen Gemeinde finden. Die Diakonie und die evangelische Nordkirche Hamburg wollen ihr Hilfsangebot einer Pressemitteilung zufolge zwar erweitern, doch dafür sei die Unterstützung der Stadt unabdingbar. Soll heißen: Ohne ein vom Senat freigegebenes Areal kann kein Zeltcamp für die Flüchtlinge errichtet werden. Als einzigen Anlaufpunkt gibt es derzeit nur ein Zelt vor dem Hauptbahnhof, das als Mahnwache und Informationspunkt dient. Die Flüchtlinge treffen sich hier meist, um über ihre schlechten Erfahrungen zu sprechen – und es kommen täglich neue Erfahrungen dazu.