Die Fußballsaison 2012/13: Eine Bilanz

Nie wieder Bierduschen!

Die Fußballsaison 2012/13 ist so gut wie beendet – höchste Zeit also für Erinnerungen: Was war in dieser Spielzeit wichtig?

Vorwärts im Kampf gegen die Bierdusche!



Zu Stefan Reuter hatte ich bislang keine besonders ausgeprägte Meinung. Kreuzbrav, emsig, etwas sauertöpfisch – so die Ferndiagnose. Doch am letzten Spieltag der Saison wurde aus dem blassen Franken plötzlich so eine Art Superheld für mich. »Eigentlich könnte man langsam auf die Bierdusche verzichten«, sagte er da kurz nach dem bierbeduschten Klassenerhalt des FC Augsburg, bei dem er als Manager angestellt ist. Grandios! Endlich, endlich haben aktive Bierduschengegner einen halbwegs hochrangigen Verbündeten in der Liga! Die Argumente gegen dieses Ritual liegen auf der Hand: Es ist ganz einfach durch, nicht komisch, so überraschend wie das Amen in der Kirche, Bürokratenhumor. Man kann sich richtig vorstellen, wie bereits Wochen vor irgendeinem wichtigen Spiel der Tagesordnungspunkt »Bierdusche um 17.23 Uhr« auf einer quälend langen Vorstandssitzung beschlossen wird und kurzzeitig für Heiterkeit sorgt. Aber damit ist bald Schluss! Dafür wird der Stefan (wie ich ihn ab jetzt freundschaftlich nenne) in den entsprechenden Gremien schon sorgen. Kleiner Haken: Leider hat er noch den Halbsatz »aber wenn es den Jungs Spaß macht« hinterhergeschoben. Vorschlag zur Güte: Sollte es wirklich ein, zwei Spieler geben, die Freude an diesem Firlefanz haben, sollen sie Freikarten für Deichkind-Konzerte geschenkt bekommen und sich da austoben. Deal?
Sven Sakowitz

Telegramm aus dem Sommer

Gut ist:
Dass die neureichen Bauern aus Hoffenheim wahrscheinlich in der 1. Liga spielen werden + Felix Magath keine Fußballspieler mehr quälen darf + in der Serie A auch dieses Jahr wieder ein Sack Reis umgefallen ist + der FC Barcelona nur mit den Mitteln des FC Barcelona zu besiegen ist + Peter Neururer wieder da ist + Matthias Sammer als bestbezahlter Fanbeauftragter der Welt eine so gute Figur macht + der Stürmer ausstirbt + man dank Uli Hoeneß neuerdings die Grillen zirpen hören kann.

Schlecht ist:
Dass die Traditionsbauern vom FCK wahrscheinlich in die 2. Liga absteigen werden + der FC Barcelona jetzt schon zweimal in Folge die Champions League nicht gewonnen hat + Arsène Wenger keine Schlüsse zieht + Alex Ferguson sich hat emeritieren lassen + Schalke sich für die Champions League qualifiziert hat + dank des Götze-Transfers die von Uli Hoeneß befürchteten spanischen Verhältnisse nun doch nicht Einzug in die Bundesliga halten werden + der HSV der HSV ist + Schalke nicht abgestiegen ist + Hans Meyer immer noch Rosen züchtet + ein Verbotsverfahren gegen Schalke 04 vor dem Bundesverfassungsgericht keine Aussichten auf Erfolg hätte + man dank sogenannter Länderspielpausen auch diese Saison wieder vor die schwere Aufgabe gestellt war, die fußballlose Zeit totzuschlagen.
Felix Bartels

»TeBe von, 1902, in der 6. Liga ohne Polizei!«

Es ist Ende Mai. Während die Fans unbedeutend erfolgreicherer, aber bedeutend unsympathischerer Vereine (BVB, Bayern, Stuttgart) noch die Chance auf den Gewinn eines richtigen Pokales besitzen, geht Tennis Borussia eine weitere Saison titellos aus. Die Aussicht auf den Gewinn des Berliner-Pilsner-Pokals wurde diesmal schon im November vergeigt, nach dramatischem Zwischentief im Frühjahr geht es jetzt in den letzten fünf Spieltagen gar um den Abstieg. Von Liga sechs in Liga sieben wohlgemerkt. Fußball kann so schrecklich sein. Und so war mein Saisonhöhepunkt ein bitterkalter Februarabend: Der erste Spieltag nach der Winterpause und einigen wetterbedingten Ausfällen. 282 Fans können ihr Glück kaum fassen, endlich wieder Live-Fußball! Ungeachtet der ungefähr 20 cm hohen Schneedecke auf dem Rasen und der Tatsache, dass keine ein­zige Spielfeldmarkierung zu sehen ist, pfeift der Schiri das Spiel gegen den 1. FC Wilmersdorf an. Der Glühwein fließt in Strömen, der E-Block singt gegen die Kälte an, es sind viele Freunde da, Zaubertore sind zu bestaunen. 90 Minuten Fußball/Eishockey/Slapstick später hat TeBe 3:2 gewonnen und ist auf Tuchfühlung zum Aufstiegsplatz. Fußball kann so schön sein. Zumindest für einen Abend.
Endi Endemann

Spieler der Saison: Kevin-Prince Boateng

Es ist der dritte Tag des noch jungen Jahres 2013. Im Stadio Carlo Speroni der lombardischen Kleinstadt Busto Arsizio empfängt der italienische Viertligist Aurora Pro Patria 1919 den Weltclub AC Milan zu einem Testspiel. Schon mehrfach ist es in der Partie zu rassis­tischen Beleidigungen gegen Kevin-Prince Boateng und weitere dunkelhäutige Spieler des Mailänder Clubs gekommen. Doch jetzt, in der 26. Minute, hat »Boa« genug, drischt den Ball in Richtung der Idioten auf der Tribüne und macht sich auf, das Spielfeld zu verlassen. Seine Teamkollegen folgen ihm.
Auch in Deutschland kommt es immer wieder zu rassistischen Vorfällen im Fußball. Kevin-Prince Boateng selber wurde in seinem Geburtsland mehr als einmal zur Zielscheibe von Anfeindungen wegen seiner Hautfarbe. Erinnert sei nur an die Hysterie, als Michael Ballack, der damalige Kapitän der deutschen Nationalmannschaft, wegen eines Fouls von Kevin-Prince Boateng die Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika verpasste. »Zurück in den Busch« oder »Schwarze Sau« hieß es da in vielen Userkommentaren im Internet.
Mit seiner mutigen Aktion im Januar hat Boateng in ganz Europa eine längst überfällige Debatte angestoßen. Deshalb ist er für mich der Spieler der Saison. Obwohl natürlich zu fragen ist, warum es immer die von Rassimus Betroffenen selber sein müssen, die etwas dagegen unternehmen.
André Anchuelo

Brennbares Fachblatt

Letzter Bundesligaspieltag, ich begehre Einlass zur Partie zwischen Gladbach und Bayern. Ein eilfertiger Ordner durchsucht meine Umhängetasche. Als er den Kicker findet, hebt er die Augenbrauen. »Den können Sie nicht mit reinnehmen«, sagt er bestimmt, »der ist brennbar.« Es ist kurz vor dem Anpfiff, Zeit für Diskussionen bleibt mir daher nicht. Ich lasse die Zeitung also zurück, passiere den Eingang – und bekomme erst mal eine Stadionzeitung in die Hand gedrückt. Ich hab’s nicht ausprobiert, bin mir aber sicher: Die hätte nicht schlechter gebrannt als das Fachblatt.
Der Tweet, den ich tags darauf zu dieser Geschichte schreibe, zieht unerwartet große Kreise. Zahlreiche Twitterer berichten über ähnlich absurde Einlasskontrollen, die Rheinische Post schreibt eine Kolumne, auch der Kicker berichtet. Borussia Mönchengladbach will mir jetzt den Kaufpreis für die konfiszierte Zeitung erstatten. Ich verzichte dankend. Sollen sie lieber ihre abwegige Kontrollpraxis ändern. Fußballfans sind schließlich keine Verbrecher.
Alex Feuerherdt

Das niederträchtige Wir

Als Eisenbahner bin ich dienstlich mitunter mit sehr ramponierten Subjekten konfrontiert. Doch ein ästhetisch wirklich unzumutbares Pack sind jene buntscheckig bedruckten Brüllaffenrudel, die absurde Siegeslosungen grölend durch die Hallen ziehen, als hätten sie selbst ernsthaft irgendwas gewonnen. Ist jemandem schon mal aufgefallen, wie unfassbar schlecht deutsche Fußballfans singen? Die Melodien sind abgeschmackt, monoton und witzlos, gebrüllte Sprechgesänge, die sich verdächtig gerne mit sexuellen Abwegigkeiten des Gegners beschäftigen. Alles Jungs unter sich, ne? Die Einfallslosigkeit geht bis ins Phonetische. Ein Großteil der Refrains besteht aus altgermanischen, langgezogenen dumpfen Es und Ös, es fehlt kaum je das niederträchtige »wir« darin, das nie was Gutes verheißt, und fast immer voll im- und expliziter Gewaltandrohungen ist. Ich bin also um jeden Tag froh, an dem ich die Anhänger des erbärmlichen Fußballkultes nicht herumfahren muss, schon weil es weniger Blut-, Kotz- und andere unaussprechliche Lachen in den Zügen gibt, weniger Schlägereien und so weiter. Das einzig Gute, das mir zu diesen Typen einfällt, ist, dass sie jedes Mal ein riesiges SEK-Polizeiaufgebot auslösen, so dass sich zwei brisante gesellschaftliche Randgruppen gegenseitig beschäftigt halten. Und solcherlei Auseinandersetzungen sehe ich tatsächlich aus einer eher sportlichen Warte.
Richard Kempkens