Über die Lage in Berliner Gefängnissen

Schöner brummen

Hunderte ehemalige und gegenwärtige Inhaftierte klagen gegen die menschen­unwürdigen Bedingungen in Berliner Gefängnissen. Eine neue Justizvollzugsanstalt soll die Lage verbessern.

Zellen mit einer Größe von gerade einmal sechs Quadratmetern, stark verunreinigt noch dazu, die Toiletten teilweise von einer gelblichen Schmutzschicht überzogen, die Heizung stark heruntergeregelt oder sogar defekt, so dass Häftlinge die Nächte gelegentlich zitternd vor Kälte im Pullover verbringen müssen – von solchen Bedingungen berichten ehemalige und gegenwärtig Inhaftierte der Justizvollzugsanstalt (JVA) Moabit in Berlin. Mittlerweile klagen immer mehr von ihnen gegen solche menschenunwürdigen Haftbedingungen, insbesondere in den JVA Tegel und Moabit.
Die Grundlage für Schadenersatzforderungen bildet ein Urteil des Berliner Verfassungsgerichtshofs vom November 2009, demzufolge die Unterbringung in den Zellen in Haus I der JVA Tegel gegen die Menschenwürde verstieß. Das Gericht stellte fest, dass die Größe des Haftraums, der nicht abgetrennte Toilettenbereich, die Unterbringungsdauer und die Unabsehbarkeit der Unterbringungsdauer in den 5,25 Quadratmeter großen Hafträumen dieses Bereichs die Grundrechte verletzt habe.

Noch im Jahr 2007 hatte das Berliner Kammergericht die Räume für »schäbig, aber noch nicht menschenunwürdig« befunden. Dies hielt das Land Berlin nicht davon ab, weiterhin Gefangene dort unterzubringen. Seit Februar 2012 ist die Teilanstalt I nun bis auf 13 Plätze für Gefangene, die in Verdacht geraten sind, innerhalb der Anstalt mit Drogen gehandelt zu haben, geschlossen. Doch auch diese Häftlinge werden im Laufe des Jahres in andere Räume verlegt.
Die Rechtsanwältin Diana Blum betreut derzeit etwa 30 Fälle von Inhaftierten und ehemals Inhaftierten aus Tegel und Moabit und vertritt diese im Rechtsstreit um Schadenersatz. »Derzeit sieht es so aus, dass wir etwa 20 Euro Schadensersatz pro Inhaftiertem und Tag fordern, wenn die Person vor dem Verfassungsgerichtsurteil in eine unangemessene Zelle gesperrt wurde. Nach dem Beschluss des Gerichts handelt es sich um vorsätzliches Handeln des Landes Berlin, weswegen wir dann 40 Euro pro Tag fordern. Wie die Klagen ausgehen werden, ist noch nicht absehbar, da diese durch viele Instanzen geprüft werden«, sagt die Anwältin der Jungle World.
Aus der JVA Moabit sind zurzeit 105 Anträge auf Prozesskostenhilfe im Zusammenhang mit Schadensersatzklagen anhängig. In Berlin sitzen Tausende Gefangene ein, von denen wiederum Hunderte in Zellen unter fragwürdigen Bedingungen untergebracht wurden. Es könnte also zu Millionenforderungen kommen, was von manchen Medien nicht gerade mit Begeisterung aufgenommen wird. »Es ist teilweise nicht schön, was sich in den Medien zu diesem Thema findet. Für mich als Juristin ist das aber egal. Auch Gefängnisinsassen haben einen Anspruch auf Entschädigung, wenn ihnen Unrecht widerfahren ist«, betont Blum. In den vergangenen vier Jahren strengten Häftlinge und ehemals Inhaftierte deshalb bereits Hunderte Schadenersatzprozesse an.
Um die Haftbedingungen zu verbessern, ließ das Land unter anderem die JVA Heidering bauen, die achte Justizvollzugsanstalt in Berlin. Sie soll die bestehenden Haftanstalten entlasten und garantieren, dass die Gefangenen unter menschenwürdigen Bedingungen untergebracht werden. Das neue Gefängnis kostete etwa 118 Millionen Euro und soll bis zu 648 Häftlinge aufnehmen. Bis zum Jahresende soll der neue Bau komplett belegt sein. Allerdings musste die für Ende April vorgesehene Eröffnung verschoben werden, und auch in der vergangenen Woche verhinderten technische Probleme die Inbetriebnahme.

Die Medien schenken der neuen JVA große Aufmerksamkeit. Die Welt titelte: »Berlin gönnt sich neues Luxusgefängnis«. Spiegel Online bezeichnet den vermeintlichen »Komfortknast« als »Prestigebau«. Unter anderem kritisieren verschiedene Journalisten, dass die Zellen größer seien als manche Zimmer in Altenheimen und die Sportplätze in einem besseren Zustand als an vielen Schulen. Dass es unsinnig wäre, ein neues Gebäude mit einem ruinierten Sportplatz auszustatten, wird in solchen Artikeln nicht erörtert.
Auch Dieter Wurm, verantwortlicher Redakteur der Gefangenenzeitung Lichtblick, äußert Kritik an der JVA Heidering, jedoch in anderer Hinsicht: »Ein moderner Knast macht noch lange keinen modernen Vollzug und eine frisch gestrichene Zelle macht den Freiheitsentzug auch nicht viel besser. Schöner Wohnen alleine bringt nichts.« Ob die Zelle nun in einem Alt- oder Neubau ist, scheint für die meisten Gefangenen nebensächlich zu sein. Ob man in eine kleine oder ganz kleine Zelle kommt, ist Glückssache. Allein deshalb von einer Resozialisierung der Gefangenen zu sprechen, sei eine Farce, sagt Wurm.
Doch wie bereits Dostojewski bemerkte, ist es eine Selbstverständlichkeit, dass das System der Gefängnisse und Straflager nicht darauf angelegt ist, auch nur einen Verbrecher zu einem besseren Menschen zu machen. In Deutschland hat sich an diesem Grundprinzip seit Dostojewskis Zeiten wenig geändert. In Skandinavien beispielsweise, wo die Haftbedingungen und die Betreuung der Gefangenen besser sind und verhältnismäßig weniger Menschen unter Freiheitsentzug leiden, ist auch die Rückfallquote deutlich geringer. In Berlin sieht das anders aus. Wurm zufolge wird ein reiner Verwahrvollzug praktiziert. Außer »Tür auf« und »Tür zu« passiere sehr wenig. Eigentlich empfiehlt die Senatsverwaltung für Justiz, dass ein Sozialarbeiter knapp 40 Häftlinge betreuen soll, aber selbst dieses bescheidene Ziel wird nicht erreicht. Tatsächlich ist ein Sozialarbeiter im Schnitt für 60 Häftlinge verantwortlich. »Wenn der Sozialarbeiter kein Zauberer ist, dann funktioniert das so nicht«, sagt Wurm. Als Insasse bekomme man den Sozialarbeiter im Jahr durchschnittlich drei- bis fünfmal zu sehen.

Doch Wurm betont, dass die Haftbedingungen in Berlin im Vergleich gar nicht die schlechtesten seien: »Hier bemüht man sich immerhin um angeglichene Lebensverhältnisse.« In Berlin werden also zumindest Anstrengungen darauf verwendet, die Verhältnisse im Gefängnis als Vorbereitung auf das Leben nach der Entlassung zu gestalten. Der Redakteur verdeutlicht dies an ­einem Beispiel: »Gesetzlich ist festgeschrieben, dass sich Gefangene mindestens eine Stunde pro Tag außerhalb ihrer Zelle bewegen sollen. In Bayern wird das teilweise so durchgezogen, in Berlin darf man sich länger außerhalb der eigenen Zelle befinden.« Dass bei einer Zellengröße von sechs Quadratmetern jede Minute kostbar ist, die man außerhalb des Raums verbringen kann, dürfte auch jedem einleuchten, der noch nie eine Zelle von innen gesehen hat.