Blockupy ist eine Chance für die radikale Linke

Sich einzubringen lohnt sich

Blockupy ist eine Chance, um eine emanzipatorische Krisendeutung zu verbreitern – wenn sich die radikale Linke beteiligt.

Die Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft ist nicht nur von den Bewegungsgesetzen ihrer Ökonomie abhängig, sondern immer auch von sozialen Kräfteverhältnissen und hegemonialen Deutungsmustern. Dieser spezifische Zusammenhang von Politik und Ökonomie wird in der Linken allerdings gerne einseitig gedeutet. Einerseits von reformistischer Seite in dem naiven Sinne, dass Kapitalismus als Wunschkonzert missverstanden wird, in dem durch die richtige Politik alles möglich sei – wenn doch nur die Kräfteverhältnisse stimmen würden. Die andere, ihrerseits zynische Vereinseitigung wird von einigen eher revolutionär gestimmten Fraktionen vertreten, denen jede Verbesserung unterhalb der Schwelle der Überwindung von Staat und Kapital als reformistische Integrationsmasche erscheint.
Verkürzt sind beide Sichtweisen, da sie die historische Dynamik des Kapitalismus ignorieren und daher chronisch nicht auf der Höhe der Zeit sind. Denn wie eine emanzipatorische Intervention in gesellschaftliche Entwicklung aussehen sollte, kann vor dem Hintergrund einer abstrakten Bestimmung des Kapitalismus gar nicht entschieden werden. Oder, wie schon mal jemand gesagt hat: Die Wahrheit ist immer konkret.
Daher muss gerade eine Kritik ums Ganze, will sie sich nicht mit einer folgenlosen Phraseologie begnügen, eine strategische Bestimmung der historischen Situation leisten. In Hinblick auf die Krisenpolitik in Europa sieht diese gerade, knapp formuliert, so aus: Der zentrale Konflikt entzündet sich in der BRD nur daran, wie hart man die als Hauptschuldige für die »Schuldenkrise« ausgemachten Lohnabhängigen in Südeuropa für den Standortwettbewerb disziplinieren darf. Gegen die mit dieser Debatte verbundene und von SPD und Grünen über die Bundesregierung bis zur Bild-Zeitung betriebene Ethnisierung des Sozialen gibt es insgesamt nur marginalen Protest, der sich wiederum in zwei Fraktionen teilen lässt.
Die eine Fraktion aus großen Gewerkschaften, dem linken Flügel von Rot-Grün und den Sozialverbänden versucht, einige soziale Rechte und eine entsprechende »Umfairteilung« im Rahmen des Nationalstaats zu erreichen. Dabei werden dem hegemonialen Diskurs gerne alternative Sündenböcke (zum Beispiel Banker) entgegengestellt, die »Unvernunft« der herrschenden Politik wird betont sowie an den Nationalstaat als potentiellen Hüter des Gemeinwohls appelliert. Für die radikale Linke bietet diese Fraktion aus bekannten Gründen (»Staat, Nation, Kapital – Scheiße«) kaum Anknüpfungspunkte. Demgegenüber stellt das eher postnational und postindustriell ausgerichtete Milieu, das sich zumindest nicht mehr auf den Staat verlässt, zu zivilem Ungehorsam bereit ist und dessen Bezugspunkt explizit nicht das Wohl der Nation, sondern soziale Bewegungen in anderen Ländern sind, einen relativ guten Ansatzpunkt dar. Und genau diese Gruppen sammeln sich wesentlich im Blockupy-Bündnis – wer es nicht glaubt, der schaue sich das Programm der Aktionstage an: Von der Blockade der Europäischen Zentralbank (EZB) über Antirassismus am Flughafen bis zu Wohnraumfragen setzt man sich dort vielfältig mit dem Krisenkapitalismus auseinander, von einer Fixierung auf das Finanzkapital keine Spur. Schon das zeigt, dass es sich lohnt, wenn sich die radikale Linke einbringt, so mühsam das manchmal auch ist.

Die Erfolgschancen von Blockupy können der radikalen Linken nicht gleichgültig sein. Nicht nur, da man dort gut Werbung in eigener Sache machen kann, sondern schon deshalb, weil eine entsprechende Diskursverschiebung auch die Ausgangsbedingungen für eine weitergehende Kritik deutlich verbessern würde. Sie entspräche übrigens ziemlich genau dem kurzfristigen Zielen des M31-Netzwerks, nämlich die Krise als eine Krise des Kapitalismus auf die Tagesordnung zu setzen, autoritäre Krisenlösungen zu verhindern und so vielleicht irgendwann eine gesellschaftliche Debatte über Perspektiven jenseits des Kapitalismus zu initiieren.
Zumal: Die Gefahr einer Integration ist derzeit verschwindend gering, denn was bitteschön sollte hierzulande gerade integriert werden? Dass es in Teilen der radikalen Linken trotzdem eine große Zurückhaltung gegenüber Blockupy gibt, zeigt, wie wenig ernst man die eigenen, dramatischen Situationsbeschreibungen nimmt und dass das Distinktionsbedürfnis offenbar wichtiger als die gesellschaftliche Wirksamkeit ist. Mit anderen Worten: Niemand behauptet, dass mit einem Event wie Blockupy die Revolution ausbrechen wird und Selbstorganisation im Alltag überflüssig wäre. Die Einsicht besteht aber darin, weder das eine noch das andere als das Ganze auszugeben, um das es doch gehen muss, wenn es mit dem schönen Leben in absehbarer Zeit noch etwas werden soll.