NSU-Terror ohne Konsequenzen

Vom Bock zum Obergärtner

Welche Konsequenzen werden aus dem NSU-Skandal gezogen? Bisher gab es einige Rücktritte von Landesverfassungsschutzpräsidenten. Im rot-rot regierten Brandenburg wird nun ausgerechnet ein stramm rechter Staatsanwalt neuer Leiter des Geheimdienstes.

Am 1. Juni wird der Jurist Carlo Weber, seit 2001 leitender Oberstaatsanwalt in Frankfurt/Oder, die Nachfolge von Winfriede Schreiber als Verfassungsschutzpräsident in Brandenburg antreten. Die in diesem Zusammenhang veröffentlichten Darstellungen seiner Karriere konzentrieren sich auf seine Zeit in Frankfurt/Oder, wo er sich der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und der Förderung der deutsch-polnischen Zusammenarbeit gegen grenzüberschreitende Kriminalität widmete.
Brandenburgs Innenminister Dietmar Woidke (SPD), dem der Geheimdienst untersteht, preist den neuen VS-Präsidenten: »Gerade in der jetzigen Krise des Verfassungsschutzes in Deutschland muss der Dienst sich als lernendes System begreifen und verlorengegangenes Vertrauen in der Gesellschaft zurückgewinnen. Genau das traue ich Carlo Weber zu.« Die mit der SPD koalierende Linkspartei betont zwar ihre grundsätzliche Kritik am VS, akzeptiert Weber aber vorbehaltlos.

Doch dafür gibt es wenig Grund. Denn Weber kommt aus genau jenem Milieu des Repressionsapparates, das mit seinem rigorosen Antikommunismus, elitären Selbstverständnis und der Ignoranz gegenüber Rassismus und Neonazismus eine der Voraussetzungen für die Existenz des NSU darstellte.
Erfahrungen in der »Extremismusbekämpfung« sammelte Weber in den achtziger und neunziger Jahren als Staatsanwalt in (West-)Berlin. Unter anderem leitete er die Abteilung 81 der Berliner Staatsanwaltschaft. Sie ersetzte faktisch deren 1990 aufgelöste berüchtigte Politische Abteilung. Diese hatte sich mit ihrer Verwicklung in den Skandal um den ermordeten V-Mann Ulrich Schmücker, ihrem Korpsgeist und dem juristischen Vorgehen gegen Sozialdemokraten und Politiker der Alternativen Liste (AL) politisch derart deutlich rechts positioniert, dass dem rot-grünen Senat 1990 gar nichts anderes übrigblieb, als sie aufzulösen.
Auch für die Abteilung 81 stand der Feind vor allem links. Weber hatte als Oberstaatsanwalt unter anderem die juristische Verfolgung von Gegnern der Berliner Bewerbung zur Ausrichtung der Olympischen Spiele zu verantworten. Selbst für den Unwillen der Justiz, die rechten Gewalttäter der Progrome Anfang der neunziger Jahre zur Rechenschaft zu ziehen, machte er noch die verhassten Linken verantwortlich. So erklärte er 1992 in einer TV-Show die Strafrechts- und Strafvollzugsreformen der sechziger bis achtziger Jahre zur Ursache der zögerlichen Strafverfolgung neonazistischer Gewalttäter: »Dies ist (…) das Produkt einer jahrzehntelangen, wissenschaftlich oder pseudowissenschaftlich untermauerten Bewegung, die links von der Mitte vorgedacht wurde und nun zu dem Ergebnis führt, unter dem großen Schlagwort (…) ›Schafft die Knäste ab!‹, dass man kein Vertrauen mehr in die repressiven Maßnahmen des Staates hat, zu höchster Zurückhaltung aufruft und nun sind die Rechten auch Nutznießer dieser Entwicklung.«

Gegen Liberalität im Strafrecht trat das FDP-Mitglied Weber nicht nur im Fernsehen an. Neben weiteren hochrangigen Juristen gehörte er, wie die Frankfurter Rundschau am 16. Januar 1995 berichtete, zum sogenannten Stahlhelmflügel der FDP, einem Kreis um den ehemaligen Generalbundesanwalt Alexander von Stahl. Stahl wurde im Juli 1993 von seinem Posten entbunden, nachdem bei einem Einsatz der GSG 9 im mecklenburgischen Bad Kleinen das RAF-Mitglied Wolfgang Grams und der Polizist Michael Newrzella unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommen waren. Später, im Jahr 2002, übernahm Stahl die juristische Vertretung der rechten Wochenzeitung Junge Freiheit bei ihrer Verfassungsbeschwerde wegen der Einstufung des Blattes als »rechtsextremistisch« durch den Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen.
Der Kreis um Stahl, der sich im Spandauer FDP-Ortsverband organisierte, versuchte, die Partei auf eine nationalliberale Programmatik festzulegen. Im Manifest »Berliner Positionen einer liberalen Erneuerung« vom Oktober 1994 wurden die Grundzüge eines solchen Parteiprogramms skizziert. Dessen Kernbestandteile sollten das Eintreten für ein repressives Strafrecht und der Rückbau des Sozialstaates sein, man plädierte für ein »Europa der Vaterländer«, gegen die Einführung der europäischen Gemeinschaftswährung und lehnte Sozialismus, Feminismus und eine multikulturelle Gesellschaft strikt ab. Das Positionspapier war eine Reaktion auf den Wandel im deutschen Parteiensystem nach 1990, vor allem auf die veränderte Rolle der Grünen. Diese hatten bei den Bundestagswahlen am 16. Oktober 1994 die FDP als drittstärkste Kraft im Bundestag abgelöst und gingen daran, mit ihr um linksliberale Wähler zu konkurrieren. In dieser Situation sah der Kreis um Stahl die Zeit für eine stärkere Orientierung der FDP an rechten Positionen gekommen, konnte sich damit in der Partei jedoch nicht durchsetzen. Seine sozialpolitischen Forderungen wurden wenige Jahre später im Rahmen der Agenda 2010 von der rot-grünen Bundesregierung umgesetzt, mit Verschärfungen im Strafrecht suchen sich mittlerweileInnenminister unterschiedlichster politischer Herkunft zu profilieren. Das Eintreten gegen die »Brüsseler Bürokratie« und für die Beibehaltung beziehungsweise Wiedereinführung der D-Mark hingegen wurde zum Markenzeichen meist eher kurzzeitig auftauchender konservativer Kleinparteien, wie der Alternative für Deutschland.
Carlo Weber gehörte nicht zu den Verfassern der »Berliner Positionen«, blieb auch sonst eher im Hintergrund und trieb stattdessen seine juristische Karriere voran. Diese führte ihn über das brandenburgische Neuruppin nach Frankfurt/Oder und soll nun mit dem Amt als VS-Präsident ihren krönenden Abschluss finden.

Doch nicht diese Zurückhaltung erklärt, warum die Brandenburger Linkspartei Weber als neuen VS-Präsidenten akzeptiert. Die Erklärung ergibt sich eher aus dem speziellen »Brandenburger Weg« der politischen Umgestaltung nach dem Ende der DDR. In den neunziger Jahren versuchte die SPD-Regierung unter Manfred Stolpe, den Anschluss des neuen Bundeslandes konsensdemokratisch unter Einbeziehung aller relevanten politischen Kräfte, auch und gerade der PDS, zu gestalten. Dies schlug sich nicht zuletzt darin nieder, dass diese nicht wie in anderen Bundesländern vom VS beobachtet wurde, sondern als legitime Vertreterin eines großen Teils der Bevölkerung angesehen und eingebunden wurde.
Diese Politik, die dem Land den Beinamen »kleine DDR« eintrug, hatte zwei Resultate, die für das Verhältnis der heutigen Linkspartei zum VS entscheidend sind. Zum einen verhinderte sie die Entstehung jenes militant antikommunistischen, rechtskonservativen Milieus, das Justiz, Polizei und VS zum Beispiel in Sachsen und Thüringen maßgeblich prägt und die dortigen Nazistrukturen aktiv protegierte. Dies ermöglichte es wiederum Ende der neunziger Jahre, den Brandenburger Sicherheitsapparat relativ problemlos für eine Politik effektiver Repression gegen militante Neonazis zu nutzen.
Zum anderen trug die Einbindung der PDS/Linkspartei in die politischen Entscheidungsprozesse dazu bei, dass diese ein Selbstverständnis als Regierungspartei im Wartestand kultivierte. So konnten sich in der Brandenburger Landtagsfraktion keine jüngeren Politiker mit einer linken Bewegungssozialisation und der entsprechenden aktivistisch-kritischen Haltung gegenüber staatlicher Repression profilieren. Zwar vertritt die seit 2009 mitregierende Brandenburger Linkspartei floskelhaft die kritischen Positionen der Bundespartei gegenüber dem VS, setzt diese Kritik aber nicht praktisch um.

Während die Partei da, wo ihre Klientel von Repression betroffen ist, vor allem bei Polizeieinsätzen gegen antifaschistische Blockaden von Naziaufmärschen, durchaus zu Solidarisierungen auf höchster Ebene in der Lage ist, sind es gerade subkulturelle linke Aktivisten, die von ihren Ministern und Abgeordneten schutzlos den Schikanen des VS überlassen werden. Denn in Ermangelung einer starken militanten linken Szene hat sich der Brandenburger VS darauf verlegt, linke Subkulturen und deren Einrichtungen zu denunzieren. Die These, es gebe eine »linksextremistische Hassmusik«, ist zum Beispiel eine Erfindung des Brandenburger VS. Was sich für Bands wie »Feine Sahne Fischfilet« und die »Dödelhaie« zu Marketinggags entwickelte, hatte auf die jugendlichen Mitglieder der Neuruppiner Band »Krachakne«, die wegen ihres Songs »Schieß doch Bulle!« vor Gericht landeten, einschüchternde Wirkung und nimmt Bands auf dem Land Proberäume und Auftrittsmöglichkeiten.
Mit seinen Denunziationen linker Jugendzentren, die in der vielerorts immer noch von Nazis dominierten Brandenburger Provinz wichtige und oft die einzigen Schutzräume und Kristallisationspunkte antifaschistischer Aktivität sind, scheitert der VS zwar regelmäßig vor Verwaltungsgerichten. Doch von ernsthaften Bemühungen der regierendenLinkspartei, beim Koalitionspartner SPD darauf hinzuwirken, dass sich der VS wenigstens an Recht und Gesetz hält, hat man bisher noch nichts gehört. Dabei ließe sich der Brandenburger VS, der keine eigenständige Behörde ist, sondern nur eine Abteilung des Innenministeriums, vergleichsweise einfach disziplinieren.
Und während in anderen Bundesländern Politikerinnen und Politiker der Linkspartei die Aufklärung des NSU-VS-Komplexes maßgeblich vorantreiben, trägt die Brandenburger Linkspartei die Mitverantwortung für die Verzögerung und Blockade der Aufklärung des Geschehens um den V-Mann »Piatto«, den militanten Nazi Carsten Szczepanski. Der V-Mann informierte den Brandenburger VS bereits 1998 über Versuche des NSU-Trios, sich zu bewaffnen, ohne dass die Information an die Thüringer Polizei weitergegeben wurde. Kritische Interventionen beim Innenministerium in dieser Sache sind von der Brandenburger Linkspartei nicht bekannt und wohl auch nicht zu erwarten. So gesehen ist Weber also vielleicht doch der richtige Mann auf dem richtigen Posten.