Über das Bandprojekt N.R.F.B. von Jens Rachut

Champagner von Aldi

N.R.F.B. ist die neue All-Star-Band um Punk-Legende und Theatermacher Jens Rachut. Verstehen wird sie keiner, folgen werden ihr viele.

Irgendwie war er schon immer da. Fast 30 Jahre ist es her, dass Jens Rachut zum ersten Mal mit seiner damaligen Band Angeschissen auf eine Hamburger Bühne stieg und seine Texte vortrug – halb singend, halb kläffend und pöbelnd, wie es so seine Art ist. Nicht alle haben die zeitliche Distanz derart gemeistert, viele haben sich seither reichlich lächerlich gemacht oder sind zu Karikaturen ihrer selbst geworden. Die Toten Hosen sind ein naheliegendes Beispiel. Slime ein anderes.
Nur Jens Rachut, der arbeitete sich stilsicher und verlässlich voran. Natürlich ähnelten sich viele seiner Bands, klangen für Außenstehende manchmal kaum mehr unterscheidbar. Und tatsächlich muss sich niemand schämen, der in Rachuts Gesamtwerk zwischen Dackelblut, Oma Hans, Blumen am Arsch der Hölle und wie sie alle hießen die Orientierung verliert. Aber es gab da immer auch den anderen Jens Rachut, den Theaterschauspieler, Hörspiel­autor und Querkopf, der auf frühen Alben seiner Band Kommando Sonne N-Milch so nah daran war, etwas wirklich Eigenes und Neues zu schaffen, wie vielleicht keine andere Band im deutschsprachigen Raum.
N.R.F.B. und ihr Album »Trüffelbürste« gehören klar in die Sphäre dieses anderen Rachut. Um die Verwirrung komplett zu machen: Man könnte sogar unterstellen, die Band sei möglicherweise ein persönlicher Ersatz für Kommando Sonne N-Milch, jetzt wo die nämlich, auf ihrer gerade erschienenen Platte »You Pay I Fuck«, fast wie eine Fortsetzung der aufgelösten Oma Hans klingen. Wahrscheinlich würde er dieser Einschätzung jedoch energisch widersprechen. Vielleicht, weil sie falsch ist. Zumindest aber aus Prinzip, denn sich selbst und anderen zu widersprechen, ist zentraler Bestandteil des Prinzips Rachut.
Was schnell deutlich wird, wenn man ihm gegenübersitzt, zum Beispiel nachmittags in einem Café im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg, wo er sich mit Mense Reents und Thomas Wenzel eingefunden hat, um Interviews zu geben. Schließlich erscheint das Album bald und Interviews gehören ja irgendwie zum Geschäft. Reents und Wenzel haben dafür sogar die Studioaufnahmen ihrer Hauptband, Die Goldenen Zitronen, unterbrochen. Wirklich motiviert wirkt allerdings keiner der drei. Liegt es daran, dass sie gerade zu Mittag gegessen haben? Rachut ist seltsam aufgekratzt, die anderen beiden sind sehr, sehr müde. Wenn Rachuts Antworten nicht knapp sind, haben sie nichts mit der Band zu tun. Die anderen beiden referieren zwar gekonnt und professionell über ihr musikalisches Schaffen. Gerne tun sie es aber nicht. Dann ist Rachut plötzlich verschwunden. Naja, immerhin scheint draußen die Sonne.
Eigentlich läge es nahe, N.R.F.B. als All-Star-Band zu vermarkten. Neben den reien, die mit mir im trüben Halblicht des Cafés sitzen, sind Armin Nagel von Kurt, Becci Ohms von Die Charts und Lisa Hagmeister aus dem Ensemble des Hamburger Thalia-Theaters dabei. Rachut interessiert sich nicht für die Besetzung der Band, geschweige denn für ihr Starpotential. »Wir wollten eine Band machen und haben überlegt, wir machen eine Band«, sagt er.
Vielleicht finden sich Menschen ja einfacher zusammen, wenn sie insgesamt schon in mehr als einem Dutzend Bands gespielt oder gesungen haben. Vielleicht ist es bloße Koketterie. Dass nicht wirklich ein großartiges Konzept hinter der Band steht, erscheint jedoch plausibel. Schon die erste EP »Nuclear Raped Fuck Bomb« von 2011 klang eher nach einem spontan entstandenen Scherz – den vielleicht Insider verstanden haben mögen – als nach etwas, worüber länger nachgedacht wurde als unbedingt nötig.
Dennoch, »Trüffelbürste« ist deutlich konturierter, facettenreicher. Reents erklärt die musikalische Entwicklung damit, dass Frankie Stubbs, der Sänger und Gitarrist der englischen Punkband Leatherface, nicht mehr Mitglied der Band ist: »Wir wollten wieder eine Platte machen, aber wir wussten ja nicht, wie das ohne ihn sein würde.« Also wurde ausprobiert. Ein paar Tage verbrachten sie auf Rømø und legten dort, in der idyllischen Einsamkeit der dänischen Ferieninsel, das Fundament für ihr neues Album.
Das Ergebnis klingt ebenso verspielt wie verspult und ist zu gleichen Teilen wunderschön und total bescheuert. Wie bereits auf »Der Specht baut keine Häuser mehr« von Kommando Sonne N-Milch finden sich Verweise auf Theater und Agitprop. Allerdings ins Groteske verkehrt und ohne erkennbaren Sinn, sie laufen ins Leere. Vielleicht ist das Dadaismus. Vielleicht ist es aber auch zu einfach, alles, was gleichzeitig lyrisch und absurd wirkt, Dadaismus zu nennen.
Das musikalische Rückgrat der Band ist elektronisch, bewusst werden Charakteristika zeitgenössischer elektronischer Werke kopiert. Der Song »Zoo im Krieg« klingt wie Hans-Joachim Roedelius in der Panorama-Bar, »Beelzebub« nach Les Trucs in Erwachsen. Dazwischen: natürlich Punkfetzen und Anflüge von Polyrhythmik, Krautrockreminiszenzen und extrem schwer zu Kategorisierendes. Easy Listening ist anders.
In diesem Sommer geht die Band auf Tour. Wie das klingen wird, wissen die Beteiligten selber noch nicht. Anders wahrscheinlich, sagen sie, was auch immer das bedeuten mag. Die Auftritte sind ohnehin nur ein Teil des Tourlebens. »Ich habe einfach Bock, die Leute, die ich in den jeweiligen Städten kenne, wiederzusehen«, sagt Rachut, »und mal wieder was Bayerisches zu essen oder was Baden-Württembergisches.«
»Trüffelbürste« ist zu durchdacht, fast filigran und keinesfalls ein bloßes Mittel, damit einige alte und weniger alte Hasen wieder auf große Fahrt gehen können. Mich beschleicht das Gefühl, die Band nimmt sich ein Stück ernster, als sie zugeben will. Ihre Arbeitsteilung funktioniert: Rachut und Lisa Hagmeister sorgen für das Theater. Die anderen Bandmitglieder liefern die musikalische Begleitung und treten nur manchmal, wie in griechischen Tragödien, als Chor in Erscheinung, der unisono und rezitierend seinen Senf dazu gibt. Reents und Wenzel scheint es recht zu sein, nicht im Mittelpunkt zu stehen. Die Scheinwerfer sind auf Rachut gerichtet. Auch wenn er sie keinesfalls je gesucht hätte.
Irgendwann muss Wenzel dann mit dem Taxi zum Bahnhof und zurück nach Hamburg, wahrscheinlich. Eine Fotografin macht Schnappschüsse von Rachut und irgendwer wird losgeschickt, bei Aldi Champagner zu holen. Ich fahre nach Hause und habe die Band noch immer nicht verstanden. Wahrscheinlich war es einfach eine dumme Idee, sie durchschauen zu wollen. Eine sehr dumme Idee sogar.

N.R.F.B.: Trüffelbürste. Staatsakt (Rough Trade)