Die Polizei will größere Drohnen

Im Jahr der Drohne

Seit Januar ist die Bundesregierung wegen der Beschaffung von Kampf- und Spionagedrohnen unter Druck. Jetzt liebäugelt auch die Polizei mit größeren Flugrobotern.

Das hatten sich die Militärs anders vorgestellt: Im Herbst sollte die neue Spionagedrohne »Euro Hawk« an den vorgesehen Standort in Schleswig-Holstein verlegt werden, um die Bundeswehr mit einer verbesserten »Signal Intelligence« zu unterstützen. Gemeint ist das Abhören jeder Kommunikation im Äther, darunter Handygespräche, Funkverbindungen, W-Lan und Fernsehsendungen. Jetzt schaut das Aufklärungsgeschwader »Immelmann« in Jagel in die Röhre – denn der Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) hat das Projekt vorläufig gestoppt. Bliebe es dabei, würde auch der Kauf weiterer vier »Euro Hawks« storniert.

Die Riesendrohne soll nicht nur im militärischen Luftraum kreisen, sondern sich mit Zivilflugzeugen den regulären Luftraum teilen. Für eine entsprechende Zulassung verlangen die Verkehrsbehörden aber den Nachweis, dass die Flugroboter anderen Flugzeugen durch ein automatisiertes Verfahren ausweichen können. Die Bundesregierung hatte bereits 2012 Kenntnis, dass dieses »See and Avoid« beim »Euro Hawk« nicht wie vorgesehen realisiert werden kann. Trotzdem zog de Maizière erst vor drei Wochen Konsequenzen, nachdem immer mehr Details zur dubiosen Beschaffung öffentlich geworden waren. Eine Arbeitsgruppe aus 40 Mitarbeitern und Mitarbeiter­innen des Verteidigungsministeriums soll jetzt die Verfehlungen der Behörden aufarbeiten. Bis dahin ist sogar die parlamentarische Kontrolle auf Eis gelegt. Zwei Kleine Anfragen der Bundestagsfraktion der Linkspartei wurden nicht wie vorgeschrieben innerhalb von zwei Wochen bearbeitet. Die Beantwortung schriftlicher Einzelfragen der SPD wurde ebenfalls auf den 14. Juni vertagt – ein einmaliger Vorgang, denn vorgeschrieben ist ein Zeitraum von sieben Tagen.
Bis kommende Woche muss sich das Kabinett auch beraten, wie es mit dem Nato-Programm »Alliance Ground Surveillance« (AGS) weitergehen soll. Unter dem Motto »Eyes in the sky for boots on the ground« will die Nato fünf »Global Hawk«-Drohnen auf Sizilien stationieren, um von dort Einsätze in Afrika und Asien zu unterstützen. Der »Global Hawk« ist eine mittlerweile in verbesserter Version gefertigte Spionagedrohne, der der deutsche »Euro Hawk« nachgebaut ist.
Erste einsatzbereite Drohnen des Nato-Aufklärungsverbands sollen ab 2018 verfügbar sein. Mehrere Nato-Mitgliedstaaten haben sich aber wegen knapper Haushalte aus den Planungen zurückgezogen. Die Bundesregierung hatte versprochen, sich an der Beschaffung durch eine »interoperable nationale Beistellung« zu beteiligen. Die Formulierung lässt vermuten, dass Deutschland eigene Spionagedrohnen kaufen will, die der Nato zwar überlassen, aber von der Bundeswehr geflogen würden. Bereits 2008 haben die USA zwei »Global Hawks« nach Sizilien verlegt, die weiter unter ihrem Kommando stehen.

Nun gerät die Bundesregierung wegen weiterer Enthüllungen in Bedrängnis. Denn für Einsätze von US-Drohnen über afrikanischen Ländern werden offenbar Einrichtungen der US-Armee in Deutschland genutzt. Das haben die Journalisten Christian Fuchs und John Goetz nach einer monatelangen Recherche öffentlich gemacht. Die beiden konnten rekonstruieren, wie das 2008 neu eingerichtete Oberkommando des US-Militärs Africom in Stuttgart in teils tödliche Missionen eingebunden ist. Das Africom ist zuständig für Afrika. Eine besondere Rolle spielt aber das »Air Operations Center« der US-Air Force in Ramstein. Vermutlich werden die zerlegten Flugroboter über Ramstein in die jeweiligen Einsatzgebiete transportiert. Die Einrichtung in Rheinland-Pfalz dient aber vor allem als Relaisstation für die Funkverbindung nach Nevada, von wo aus die US-Drohnen navigiert werden. Aus einer Ausschreibung für neue Baumaßnahmen in Ramstein geht hervor, dass die Relaisstation nun erweitert werden soll, um Flüge sowohl von Kampfdrohnen als auch der Spionagedrohnen »Global Hawk« zu steuern.
Die nähere Betrachtung des Dokuments zeigt aber, dass Ramstein nicht nur für Einsätze in afrikanischen Ländern genutzt werden soll. Denn der US-Armee zufolge würden nach dem Ausbau auch Operationen der militärischen Einrichtungen Eucom und Centcom verbessert. Die beiden Regionalkommandos sind zuständig für Osteuropa sowie den Nahen Osten, Ostafrika und Zentral-Asien. Es ist also durchaus möglich, dass die tausendfachen »gezielten Tötungen« in Pakistan und Afghanistan dann mithilfe von Einrichtungen in Ramstein durchgeführt werden. Damit stehen der Bundesregierung mehrere Probleme ins Haus, denn sie könnte der Beihilfe zu einem völkerrechtswidrigen Kampfeinsatz bezichtigt werden. Andersherum würden die US-Basen in Deutschland im Sinne des Völkerrechts zu legitimen Zielen von Vergeltungsmaßnahmen pakistanischer oder afghanischer Gruppen sofern die Definition eines »internationalen bewaffneten Konflikts« erfüllt wäre, was für Afghanistan unbestritten ist. Ob dies auch für Pakistan gilt, lässt die Bundesregierung derzeit in zwei Gutachten prüfen.
In mindestens zwei Fällen hatte die Bundeswehr in Afghanistan selbst Einsätze bewaffneter US-Drohnen angefragt. Beide Male ging es nicht darum, Soldaten in einer vermeintlich bedrohlichen Situation zu helfen. Einer der Luftschläge richtete sich offenbar gegen Personen, die Sprengfallen verlegten. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei erklärte die Bundesregierung, es habe sich um »positiv identifizierte regierungsfeindliche Kräfte« gehandelt, die demnach als »militärische Ziele« einzustufen seien.
Das Verteidigungsministerium bekräftigte im Januar, dass die Bundeswehr derartige Operationen bald mit eigenen Kampfdrohnen durchführen soll. Die Nachricht hatte einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. De Maizière versprach daraufhin, die Angelegenheit erst im kommenden Jahr dem Bundestag zur Entscheidung vorzulegen. Allerdings legt das Militär hinter den Kulissen seinen Bedarf zum Kauf von Kampfdrohnen fest und definiert die gewünschten Fähigkeiten. Dies soll noch vor der Sommerpause erledigt sein. Danach erfolgt eine internationale Ausschreibung, aus deren Ergebnissen eine Beschaffungsvorlage erstellt wird. Erst dann kann sich das Parlament damit befassen – dies wäre ohnehin erst im kommenden Jahr möglich gewesen.
Die Bundeswehr muss sich zwischen der israelischen »Heron« und der US-amerikanischen »Predator« bzw. dem Nachfolgemodell »Reaper« entscheiden. Das Debakel um den »Euro Hawk« dürfte den israelischen Drohnen Wettbewerbsvorteile verschaffen, denn angeblich sind sowohl der Hersteller als auch die Regierung freigiebiger mit technischen Details zu Steuerung und Navigation. Diese werden benötigt, um auch den Betrieb der Kampfdrohnen im allgemeinen zivilen Luftraum zu ermöglichen.

Mittlerweile liebäugeln auch Polizeibehörden mit größeren Drohnen. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) betreibt zusammen mit der Bundespolizei Studien, um ferngesteuerte Fluggeräte unter anderem gegen »Piraterie« zu nutzen. Die Bundespolizei hatte hierzu vor zwei Jahren umfangreiche Tests mit Helikopterdrohnen auf der Ostsee durchgeführt. Die Europäische Union finanziert Forschungen zur Fähigkeit, »nicht kooperative Fahrzeuge« zu stoppen. Möglich wäre die Störung der Bordelektronik, aber auch der Einsatz von Netzen, »Spezial-Schaumstoff« oder die Zerstörung der Reifen. Welcher Flugroboter dabei zum Einsatz käme, bleibt offen. Neben einem Raketenhersteller gehört aber Israel Aerospace Industries, der Hersteller der »Heron«-Drohne, zum forschenden Konsortium.
Große Polizeidrohnen benötigen ebenfalls eine luftfahrtrechtliche Zulassung. Die EU-Kommission finanziert deshalb Vorhaben, um notwendige Ausweichverfahren zu entwickeln und zu testen. Im April hatte eine »Heron«-Drohne in Spanien erstmals einen kontrollierten Flug im zivilen Luftraum absolviert, was weltweit auf Beachtung stieß. In einem anderen Projekt testet die EU-Grenzschutzagentur Frontex mit dem italienischen Verteidigungsministerium die Einbindung von »Predator«-Drohnen in die Überwachung des Mittelmeers. Frontex lädt seit 2011 zu Live-Vorführungen, bei denen selbst die Eignung des militärischen »Euro Hawk« zur Flüchtlingsbekämpfung erörtert wurde.
EADS, einer der beiden Hersteller des deutschen »Euro Hawk«, empfiehlt größere Drohnen für Zwecke des »Heimatschutzes«. Ein Sprecher des deutsch-französischen Rüstungskonzerns zählt hierzu Grenzkontrollen sowie die Überwachung von Atomanlagen, polizeilichen Großereignissen und »Unruhen in Vorstädten«. Dass es sich dabei keineswegs um Zukunftsmusik handelt, zeigt die Äußerung des australischen Polizeiministers Jack Dempsey über die Sicherheitsarchitektur des G20-Gipfels, der 2014 in Brisbane stattfindet. Demnach würden nach dem Rückzug westlicher Länder aus dem Irak oder Afghanistan gebrauchte militärische Drohnen zu niedrigen Preisen auf den Markt kommen. Zunächst für den G20-Gipfel beschafft, könnten die Drohnen später für den polizeilichen »Anti-Terror-Kampf« zur Verfügung stehen. Auch zur Überwachung des Verkehrs und zur Drogenbekämpfung seien sie nach Angaben des Ministers zu gebrauchen. Im Gespräch ist sogar die Spionage gegen Rockergruppen aus der Luft.