Der Suizid in Notre Dame und die französischen Rechtsextremen

Selbstopfer vor Publikum

Er hing dem Neuheidentum an, hat sich aber in einer Kirche erschossen: Der Suizid des Autors Dominique Venner wird von französischen Rechtsextremen gewürdigt.

Dass Dominique Venner das nicht mehr erleben durfte – oder musste! Ende Mai gewann der französisch-tunesische Regisseur Abdellatif Kechiche, bekannt geworden mit seinem Kinofilm »L’Es­qui­ve«, auf dem Filmfestival in Cannes die Goldene Palme. Nördlich und südlich des Mittelmeers führte sein neuestes Werk, »La vie d’Adèle«, zu Begeisterung und heftiger Kritik. Im Mittelpunkt des knapp dreistündigen Films steht die Liebesbeziehung zweier junger Frauen, Adèle und Emma.

Dominique Venner, der den Regisseur und seinen Film wohl gleich aus zwei Gründen verabscheut hätte, hat die Diskussion nicht mehr mitbekommen. Drei Tage vor der Preisverleihung in Cannes schoss sich der 78jährige Schriftsteller in der Pariser Kathedrale Notre Dame in den Kopf. Etwa 1 500 Besucherinnen und Besucher, überwiegend Touristen, sahen, wie er sich eine Pistole in den Mund schob, nachdem er einen Abschiedsbrief auf dem Altar hinterlegt hatte.
Dominique Venner war kein Christ, sondern hing dem rechten Neuheidentum an. Deshalb dürfte er Notre Dame nicht als Kirche, sondern als nationales und kulturelles Symbol zum Ort seines Abschieds vom Leben gemacht haben. Sein Selbstmord sollte offenbar als Fanal wirken. Venner hatte sich in jüngerer Zeit in der Opposition gegen die Homosexuellenehe in Frankreich betätigt, besonders bei der Vereinigung »Le Prin­temps fran­çais« (Jungle World 22/2013). Seine Tat war deshalb auch eine Propagandaaktion für die Bewegung gegen die Homosexuellenehe. Zudem wollte Venner die Bewegung darauf hinweisen, dass sie ihre ideologischen Ziele weiterfassen müsse: Die rechte Protestbewegung müsse nicht nur gegen die »Homo-Ehe« als Ausdruck der »Dekadenz unserer Kultur« auftreten, sondern sich auch die »Frage der afrikanischen und maghrebinischen Einwanderung« stellen, schrieb er in seinem Abschiedsbrief. Kechiches Film hätte wohl beide Übel gleichzeitig symbolisiert.
Venner war in der breiten Öffentlichkeit größtenteils unbekannt, aber in kundigen Zirkeln der neofaschistischen Rechten durchaus eine Respekts- und Bezugsperson. Sein politisch-ideologisches Engagement währte 50 Jahre lang. Es begann in den fünfziger Jahren in den Reihen der Bewegung »Jeune Nation«. Die Gruppe wurde wegen gewalttätiger Versuche verboten, während des Algerien-Kriegs die Lage an der Heimatfront eskalieren zu lassen. Venner schloss sich der rechten Terrororganisation OAS (»Organisation geheime Armee«) an, die seit 1961 mit Attentaten und Bombenanschlägen gegen den französischen Rückzug aus Algerien kämpfte.

Diese Phase der rechtsterroristischen Betätigung endete mit Venners Internierung in einem Gefängnis im französischen Zentralmassiv bis 1963. Dort verfasste er im Juli 1962 – dem Monat der Unabhängigkeit Algeriens – einer Art Manifest, in dem er das Scheitern des rechtsextremen Aktivismus mit den Worten bilanziert: »Die algerische Niederlage hat einen Schlusspunkt unter die Einbildungen der rechten Politikaster gesetzt. Sie zeigte die Unfruchtbarkeit des Nur-Aktivismus auf. Dagegen hat sie die Perspektiven der nationalistischen Revolution als einzig richtige bestätigt.«
Venner zog zwei Schlussfolgerungen aus dem vorläufigen Scheitern: Erstens schade theorieloses, oberflächliches Agieren nur. Zum zweiten sei der Nationalismus der europäischen Einzelstaaten, die ihre Kolonialreiche verloren hatten, mittlerweile zu partikular. Es bedürfe eines »europäischen Nationalismus«, im Sinne einer Verteidigung der »weißen Rasse« in ihrer Gesamtheit.
Von 1963 bis 1966 leitete Venner die Zeitschrift Europe-Action und eine gleichnamige Bewegung. Bei den Parlamentswahlen im März 1967 ließ er eine »Nationalistische Fortschrittsbewegung – Europäische Sammlung für die Freiheit« (MNP–REL) kandidieren, die jedoch einen verschwindend geringen Anteil der Stimmen erhielt. Im Juli 1967 machte er den Vorschlag zur Gründung einer rechten Denkfabrik. Daraus wurde dann der GRECE (»Forschungs- und Studienzentrum für die europäische Zivilisation«), der im Januar 1968 ins Vereinsregister eingetragen wurde.
Doch die Entwicklung des GRECE unter Alain de Benoist behagte Venner nicht. In den achtziger Jahren beklagte der GRECE die »Verwestlichung der Welt« und ihre schlimmste Auswirkung, die »allgemeine Vermischung«. Dafür begrüßte die rechtsintellektuelle Gruppe beispielsweise den Aufstieg des Islamismus als Anzeichen für das weltweite Streben nach dem »Wiederaufblühen der kulturellen Identitäten«, die sich jedoch getrennt entwickeln müssten. Venner war das schlicht zu antiwestlich. Wie auch andere Personen aus dem rechtsintellektuellen Milieu, die bis dahin beim GRECE zu Hause gewesen waren, wandte er sich mit Schaudern ab. Er predigte die Rückbesinnung auf einfachere Ideen, etwa die der »Verteidigung unserer Rasse«, und trat als selbsternannter Historiker in Erscheinung. Sein ideologisches Erbe haben heutzutage vor allem die weißen Rassisten der »identitären Bewegung« angetreten. Er selbst war in den vergangenen Jahrzehnten nie Mitglied bei einer politischen Partei oder Organisation.
Er äußerte sich vorwiegend in Publikationen wie der 2002 von ihm gegründeten Zeitschrift Nouvelle Revue d’Histoire.
Venners Tod wurde unter anderem von Marine Le Pen und ihrem Vater Jean-Marie Le Pen als politische Tat gefeiert, ebenfalls von dem ihr im Jahr 2011 unterlegenen Konkurrenten um den Parteivorsitz des Front National, Bruno Gollnisch. Die derzeitige Parteivorsitzende brach aus Anlass des Suizids mit ihrem sonst vorherrschenden Be­mü­hen um dédiabolisation, also um die Entdämonisierung ihrer Partei. In einer Kurznachricht auf Twitter gab sie zu Protokoll: »All unser Respekt für Dominique Venner, dessen letzte Geste eine herausragend politische war und das französische Volk aufrütteln sollte.« Kurz darauf fügte die 44jährige hinzu, statt im Suizid solle Frankreich »im Leben und im zuversichtlichen Kampf« sein Heil suchen.

Der frühere Abgeordnete Christian Vanneste –
er wurde 2012 wegen allzu gravierender Homophobie aus der UMP ausgeschlossen – publizierte einen Text unter dem Titel »Der Sinn eines Suizids«, in dem er von einem »Selbstopfer« sprach. Auch die rechtskatholische Politikerin Christine Boutin bezog sich positiv auf Venner und seinen Abschied vom Leben. Boutin, die bis zum vorigen Jahr Wohnungsbauministerin unter Präsident Nicolas Sarkozy war, sagte jedoch auch, sie hoffe, dass Venner, der »offensichtlich nicht an Gott geglaubt« habe, sich »in letzter Minute bekehrt« habe. Boutin machte inzwischen weiter öffentlich von sich reden. Sie beschimpfte den Preisträger von Cannes: »Wir werden von den Homos überschwemmt.« An einer solchen Aussage hätte Venner sicher seine Freude gehabt.