Gewalt gegen Frauen in Italien

Tödliche Beziehungen

Die italienische Regierung hat die Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen unterzeichnet. Doch noch wird zu wenig getan, um betroffene Frauen zu unterstützen.

Fabiana wurde gewürgt, niedergestochen, mit Benzin überschüttet und lebendig verbrannt. Der Mord an der 16jährigen Schülerin durch ihren ein Jahr älteren Freund erschütterte die italienische Öffentlichkeit. Ihre Beerdigung wurde vergangene Woche zum Staatsakt. Noch am selben Tag ratifizierte das italienische Parlament die Konvention von Istanbul, eine im Mai 2011 vom Europarat ausgearbeitete Vereinbarung zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Ziel der Konvention ist es, durch Prävention, Betreuung und Rechtsbeistand die Hilfe für Frauen zu verbessern.
Das Verbrechen an Fabiana ist kein Einzelfall. Seit Beginn des Jahres zählt die Hilfsorganisation »Telefono Rosa« mehr als 30 ermordete Frauen. 2012 kamen in Italien offiziell 124 Frauen durch ihren gegenwärtigen oder ehemaligen Partner zu Tode. Einer im Dezember 2012 veröffentlichten Studie über den »Feminizid in Italien« zufolge sind Frauen, die sich von ihren Partnern trennen, besonders gefährdet. Sie werden nicht nur von ihren verlassenen Männern bedroht, auffallend hoch ist auch die Zahl der Mütter, die von ihren Söhnen ermordet wurden. Die Untersuchungsergebnisse erfuhren große mediale Aufmerksamkeit. Bekannte Journalistinnen und Journalisten regten mit eigenen Buchpublikationen und Theatervorstellungen eine breite gesellschaftliche Diskussion über die Gewalt, die Mädchen und Frauen jeden Alters und Bildungsgrads und unabhängig von sozialer, religiöser oder ethnischer Zugehörigkeit in Italien erfahren, an, um einer Verharmlosung des Themas entgegenzuwirken.
Anfang Mai mischte sich auch die Parlamentspräsidentin Laura Boldrini in die Debatte ein. Nachdem sie eine Verschärfung der strafrechtlichen Verfolgung von antisemitischen und rassistischen Hetzkampagnen im Internet angemahnt hatte, wurde sie insbesondere von rechten Gruppen in sozialen Medien sexistisch beschimpft, in Fotomontagen verunglimpft und offen mit dem Tod bedroht. Daraufhin forderte sie in einem Interview mit der Tageszeitung La Repubblica, auch die mediale Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen. Ihre Äußerungen wurden als hilfloser Vorstoß gegen die mutmaßliche Regellosigkeit im Internet verlacht oder als Angriff auf die Meinungs- und Netzfreiheit empört abgelehnt. Boldrini wiederum wies den Vorwurf, sie fordere Zensur, zurück, es gehe ihr nicht um neue Verbote, sondern um eine längst überfällige Debatte über den Umgang mit Frauen in der italienischen Gesellschaft.

Zusammen mit der Gleichstellungsministerin Josefa Idem lud sie Mitte Mai verschiedene Vereine, die sich für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und sexuelle Minderheiten engagieren, zu einem runden Tisch. Beraten wurde über die Notwendigkeit, eine parlamentarische Untersuchungskommission zum Feminizid in Italien einzurichten und eine Task Force mit der Ausarbeitung von Anti-Gewalt-Programmen zu beauftragen. Denn mit der Unterzeichnung der Istanbuler Konvention verpflichtet sich Italien, Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen nicht nur strafrechtlich zu bekämpfen, sondern vor allem auch die wohlfahrtsstaatlichen Angebote und Hilfsmaßnahmen für Frauen zu verbessern.

Doch die Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen ist keineswegs gleichbedeutend mit dem Kampf für mehr Selbstbestimmung von Frauen. In den vergangenen Jahren mussten einige Frauenhäuser und viele lokale Frauenberatungszentren wegen chronischer Unterfinanzierung schließen. Andererseits haben sich mittlerweile katholische Träger oder rechtskonservative Gruppen der in den siebziger Jahren in feministischer Selbstverwaltung gegründeten Beratungsstellen bemächtigt. Dies hat gravierende Folgen für die Realisierung bereits erkämpfter Frauenrechte. Nach Angaben der staatlichen Gesundheitsbehörde verweigern in vielen Regionen über 85 Prozent der Ärzte aus Gewissensgründen die Mitwirkung an Schwangerschaftsabbrüchen, so dass in einigen Provinzen Italiens kaum noch Möglichkeiten zu einem rechtlich abgesicherten Abbruch bestehen. Deshalb nimmt die Zahl der illegalen Abtreibungen zu und mit ihr die der deswegen strafrechtlich verfolgten Frauen. Doch anstatt den Schwangerschaftsabbruch durch strukturelle Eingriffe nach Gesetz 194 aus dem jahr 1978 zu garantieren, beteiligte sich beispielsweise Roms Bürgermeister Gianni Alemanno erst vor wenigen Tagen an einem »Marsch für das Leben« von Abtreibungsgegnern.
Linke Aktivistinnen kritisieren die parteiübergreifenden Absichtserklärungen zur Bekämpfung der Morde an Frauen. Sie halten den inflationär gebrauchten Begriff des Feminizid für falsch, weil er die Diskussion von den Tätern und dem Tatort Familie ablenke. Wieder einmal werde weder über männliche Sexualität diskutiert, noch würden die familiären Geschlechterrollen in Frage gestellt. Stattdessen werden Frauen weiterhin in die Opferrolle gedrängt. Damit einher gehe häufig eine moralische Verurteilung von Frauen, für die sich weibliche Freiheit nicht im Kampf um rechtliche Anerkennung erschöpft. So schwinge in der Klage über die »Krise der Familie«, der es nicht mehr gelinge, wirtschaftliche Notlagen und sozialpolitische Härten auszugleichen, oftmals der Vorwurf mit, Frauen würden ihre traditionelle Aufgabe der Fürsorge nicht mehr erfüllen. In Umkehrung dieser Argumentation deuten Feministinnen, die wegen ihrer Kritik an dieser Rollenzuschreibung als radikal gelten, die männliche Gewalt als Ausdruck einer Krise des heterosexuellen Männlichkeitsideals, als Reaktion auf die weibliche Aufkündigung der patriarchalen Geschlechterordnung. Sie sehen die Ursachen der entfesselten Aggression der Männer in einem Bruch des traditionellen Gender-Regimes. Allein auf juristischem Wege ist dem nicht beizukommen.