Die Krebsforschung und die Stammzellenindustrie

Von Klonen und Genen

Warum Angelina Jolies Entscheidung zur Amputation ihrer Brüste aus Angst vor Krebs die Nutzlosigkeit der Klon- und Stammzellindustrie aufzeigt.

Als Galileo Galilei in dem Prozess, den die Kirche gegen ihn wegen seiner Erkenntnisse angestrengt hatte, auf den »widerspenstigen und eigenwilligen Tatsachen« der Natur bestand, konnte er noch nichts von Angelina Jolie und dem Bioingenieur Shoukhrat Mitalipov wissen. Beide, Mitalipov und Jolie, sind auf verschiedene, im Grunde gegensätzliche Arten in den Kampf mit den widerspenstigen und eigenwilligen Tatsachen eingetreten. Jolie ließ sich die Brüste amputieren, um ein in ihren Genen vermeintlich festgeschriebenes Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, zu vermindern. Während sie damit an der Peripherie des Körpers blieb, griff Shoukhat Mitalipov gleich direkt am Kern an.
Mitalipov hat vor zwei Wochen im Fachblatt Cell, einer der angesehensten Wissenschaftszeitschriften überhaupt, Daten einer Studie veröffentlicht, die nahelegen, dass es in seinem Labor gelungen sei, menschliche Klonembryonen herzustellen und daraus Stammzellen zu gewinnen. Schon ein Blick in den Methodenteil der Veröffentlichung zeigt, in welche Reihe von Experimenten Mitalipovs Team sich einschreibt. Es wurde genau jenes Verfahren angewendet, das vor 17 Jahren zur Geburt des Klonschafs Dolly führte. Dabei wird einer Eizelle der Kern entnommen und mit der Pipette ein neuer Kern des zu klonenden Wesens eingeführt. Es ist ein Verfahren, das hundertmal beschrieben und kritisiert worden ist und das, so legt es die Arbeit in Cell nahe, seitdem trotzdem nicht verbessert worden ist.

Man hätte also schon an diesem Punkt der Studie merken können, dass mit dem paper etwas nicht stimmt. Im besten Fall reiht es sich in die »Dolly-Versuche« ein, die in der Rückschau vor allem mit Blick auf die Krankengeschichte des Schafs Dolly, das kaum einen Tag seines sechsjährigen Lebens ohne teils erhebliche Beschwerden verbrachte – als katastrophal gescheitert angesehen werden müssen. Im schlimmsten Fall ist Mitalipov einer jener Klonschaumschläger, die im südkoreanischen Veterinärmdeiziner Hwang Woo-suk ihren bisherigen Meister gefunden haben, der seine Klonexperimente gleich ganz erfunden hatte und gar nicht erst ins Dolly-Stadium vorgedrungen war. Was 2004 und 2005 aber auch niemanden daran hinderte, Hwangs Studien in der hochangesehenen Zeitschrift Science zu veröffentlichen und als Durchbrüche in der Stammzellforschung zu feiern, die Hoffnungen weckten, Krankheiten wie Krebs, Alzheimer oder Parkinson zu heilen.
Tatsächlich ist Mitalipovs Arbeit wohl in der Mitte zwischen Dolly und Hwang zu verorten. Es dauerte nur vier Tage, bis auf der anonymen Gutachterplattform »PubPeer« die offensichtlichsten Fehler benannt wurden. Mitalipov hatte zum Beispiel identische Abbildungen benutzt, um verschiedene Prozesse zu veranschaulichen.
Die Ungereimtheiten in seiner Veröffentlichung führte Mitalipov auf den ungeheuren Zeitdruck zurück, der auf seinem Team gelastet habe. Im Unterschied zu Hwang seien seine Daten aber »real«, wie er versicherte, und das heißt nicht mehr, als dass er tatsächlich Versuche durchgeführt hat. Versuche, die seit Anfang der neunziger Jahre von Wissenschaftsindus­trie in einem, mit Niklas Luhmann gesprochen, selbstreferentiellen Rahmen veranstaltet werden, der nur Imaginationen und Verheißungen aber keinen Fortschritt für irgendeinen Patienten dieser Erde gebracht hat. Und dafür kann man Angelina Jolie als Beleg ansehen.
Man kann sicher sein, dass sich Jolie nicht hätte operieren lassen, wenn es auch nur die geringste Aussicht auf eine in nächster Zeit zu erwartende heilende Anwendung all der gentechnischen Verfahren um das Klonen und die Produktion von Stammzellen gäbe, also von Zellen, die potentiell alle möglichen erkrankten Zellen im Körper ersetzen können sollen. Für Leute wie Jolie wird schließlich die gesamte hochentwickelte Technologie der Medizinindustrie entworfen und nicht für unsereinen. Wem das zu klassenkämpferisch klingt, der kann sich ja mal als gesetzlich Krankenversicherter mit einem schon ausgewachsenen bösartigen Tumor im Magen an den dafür zuständigen, weltweit anerkannten Spezialisten der Charité wenden und sich die Auskunft abholen, dass der Herr Professor nur Privatpatienten behandelt.

Wenn Jolie sich also, beraten von den besten Ärzten der Welt, für die konventionelle Methode der Operation entscheidet, ist das nichts anderes als die Kapitulation der ganzen Forschungsrichtung der Klon- und der Stammzellindustrie vor den Krankheitsvorhersagen, die diese Industrie selbst in die Welt gesetzt hat. Denn die einzig wirklich benennbaren Fortschritte, die die gesamten Molekular- und Gentechnik hervorgebracht hat, sind solche der Diagnostik, die auch zur Identifikation jener Gensequenz, die das Brustkrebsrisiko bei Jolie bedingen soll, beigetragen haben.
Der Molekurbiologe André Rosenthal hat das in einem Vortrag vor etwa zehn Jahren in dem Urteil formuliert, dass man im Fall einer Krebserkrankung von Heilung besser nicht sprechen solle, weil es molekulargenetisch keine Hinweise auf eine Heilung gibt. Rosenthal, der maßgeblich an der Entschlüsselung des menschlichen Chromsoms 21, das das sogenannte Down-Syndrom bedingt, beteiligt war, leitet heute die in Potsdam ansässige Firma »Signature Diagnostics« und forscht an Gentests zur Früherkennung von Krebs. Auf seine Art hat er damit die Konsequenzen aus seiner Forschung an Tumoren gezogen, in der klar wurde, dass an einem Tumor fast immer eine Vielzahl von veränderten Genen beteiligt ist. Diese Gene können zwischen verschiedenen Patienten variieren, aber auch innerhalb eines Tumors unterscheiden sich die Zellen teilweise erheblich. Deshalb legt Rosenthal auch Wert darauf, dass seine Befunde nur eine differenziertere Diagnose ermöglichen. Von Heilung redet er nicht. Was man in ein paar Jahren erreichen könne, sei ein Medikament, das die Zeit verlängere, die man mit der Krankheit Krebs leben kann, sagte er damals, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Was auch nicht anders sein kann, wenn man den Definitionen eines anderen Molekurbiologen folgt.

Krebs sei Evolution im Organismus, hat der Molekularbiologe Charles Weissmann einmal gesagt. Mutierte Zellen, deren Wachstum beschleunigt ist, stellen den Stoffwechsel in ihren Dienst und entziehen sich den Kontrollmechanismen des »normalen« Organismus. Damit ist Krebs, so Weissmann, eine Krankheit der Gene.
Das sind noch immer gültige Definitionen, die nur auf den ersten Blick eine Therapie an den Genen nahelegen. Auf den zweiten Blick sieht die Sache anders aus. Evolutive Prozesse sind nämlich dadurch gekennzeichnet, dass sie zufällig, unberechenbar und irreversibel sind. Das heißt, wenn einmal in einem Körper Krebs ausgebrochen ist, kann man die molekularen Veränderungen nicht mehr auf den vorher herrschenden Zustand zurückstellen. Auch deshalb lassen sich alle erfolgreichen Krebstherapien auf konventionelle Verfahren wie Operationen und Strahlentherapien zurückführen. Sie schneiden entweder den Tumor weg oder verstrahlen ihn.
An die Ursache, der Mutation im Körper, rühren sie nicht, weil das die buchstäblich »widerspenstigen und eigenwilligen Tatsachen« der Evolution berühren und damit den Prozess des Lebens beenden würde. Woraus nicht weniger folgt, als dass sich eine an der Therapie von Krebs orientierte Forschung auf die Verbesserung der Früherkennung spezialisieren sollte, die dann aber auch allen gleichermaßen zugänglich sein müsste. Und wenn eine Krebsdiagnose erfolgt ist, müßte es schlicht nur noch darum gehen, die Gesellschaft so einzurichten, dass man mit der Diagnose und ohne Stigmatisierung leben kann.
Die Berichte von der Heilung vom Krebs basieren hierzulande in der Regel einfach auf der Tatsache, dass fünf Jahre nach der Erkrankung die statistische Erfassung der Patienten endet. Wenn jemand danach wieder erkrankt, gilt das als Neuerkrankung. Das hat mit der Realität des Körpers nichts zu tun.
Was man von Jolies Operation nicht behaupten kann. Auf dem Stand der jetzigen Forschung tat sie genau das Richtige: Sie ließ sich den Teil ihres Körpers wegschneiden, in dem der Krebs vielleicht seinen Evolutionsschritt machen würde. Der Gesundheitsindustrie in ihrer jetzigen Verfasstheit fügte sie damit zwar in der Stammzellabteilung einigen Schaden zu, dem operativen Geschäft schadete sie aber nicht nur. Wie Feministinnen zu Recht bemerkten, erhöhte sie mit ihrer Entscheidung den Druck auf jede Frau, die Schwierigkeiten mit ihren Brüsten hat, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen oder mit einem schlechten Gewissen zu leben. An diesem Punkt kann es hilfreich sein, Galileis »widerspenstige und eigenwillige Tatsachen«, die niemand je beherrschen wird, wieder in die Diskussion einzuführen, um ein erträgliches Leben mit ihnen einzurichten und nicht gegen sie.