Über Tiere und Klassenkampf

Deine Partner mit der kalten Schnauze

Warum man dem Elend der Tiere im Kapitalismus nicht mit den Ideen der Human-Animal-Studies begegnen kann.

Das sogenannte Live Art Festival im Kampnagel in Hamburg inszeniert das Leben animalisch und die Kunst politisch: vom Abecedarium Bestiarium bis zum Zoological Institute for Recently Extinct Species. Die Schaubühne präsentiert sich hier nicht, wie Schiller sie einst wollte, als moralische Anstalt (mit bürgerlich-revolutionäreren Absichten), sondern als Spektakel eines tier­ethisch verbrämten Menschenzoos. Am 14. und 15. Juni soll der »Live Art Festival Kongress« tagen, mit dem Thema »Occupy Species – Die explodierte Universität«, ausgerichtet von dem als »Wiener Philosoph und Kunst-Attentäter« vorgestellten Fahim Amir, mit Beiträgen von Nádia Farage, Judith »Jack« Halberstam, Claudia Leitner, Werner Pieper, Kim Socha, Dinesh Wadiwel – eine illustre Mischung aus akademischen Post-Theorien und XY-Studies; in diesem Fall: Human-Animal-Studies beziehungsweise Critical-Animal-Studies. Es geht um »Kritik der politischen Zoologie«, verhandelt wird alles von Biopolitik über Anarchie, »Insect Media« bis zum Aal-Werden und zum »Widerstand der Schweine – über den Tod hinaus«.
Sicher sind da ein paar kluge Gedanken dabei, doch was so witzig-gewitzt daherkommt, scheint erst einmal nur unfreiwillig komisch zu sein. Was wie ein schlechter Scherz anmutet, ist als guter Ernst gemeint; banal-ordinäre Koketterie mit genau den Kalamitäten, die bekämpft werden sollen. »Can Your Pussy Do the Dog?« lautet eine Frage, die beantwortet werden soll. Von wem und wie? »Nur mit Tieren lässt sich gut politisch denken. Die ›Explodierte Universität‹ bringt akademische Routinen zum Stottern und die Möglichkeiten des Theaters gegen das Sinnlichkeitsregime traditioneller Bildungseinrichtungen in Stellung«, wird proklamiert. Eine »Konferenz der Tiere«, bei der aber, anders als bei dem im Kinderbuch von Erich Kästner geschilderten Symposion gegen menschliche Grausamkeit, gar keine Tiere eingeladen sind, sondern waschechte Berufsmenschen der Gattung Homo academicus.
Was die materialistische Kritik als erkenntnistheoretische Voraussetzung hat, führt – ganz in der poststrukturalistischen Tradition, in die man sich hier einreiht – der mittlerweile unter Labels wie Human-Animal-Studies firmierende sogenannte Antispeziesismus als bahnbrechende Entdeckung vor: die Kategorisierung höherer Lebensformen in Gattungen, Arten, Spezies und so weiter sei – man höre und staune – »eine soziale Konstruktion«. Überdies unfähig zu erkennen, dass diese soziale Konstruktion eine praktische, von Menschen gemachte ist (und nicht nur eine diskursive Struktur) beziehungsweise sich als gesellschaftliche Praxis von konkreten Herrschafts- und Gewaltverhältnissen zwischen Subjekten manifestiert (und nicht als abstrakte anthropo- oder logozentrische Ordnung der Grammatik), kennen die Human-Animal-Studies die theoretische Kritik bloß als Auseinandersetzung mit der Episteme oder als Paradigma (folglich wird auch ein »Animal Turn« in der Wissenschaft konstatiert), die praktische Kritik jedoch nur als Aktionismus ressentimentgeladener, aber fleischfreier, also durch und durch vegetarischer Empörung.
Die »Politik«, die angeblich betrieben wird, ist freilich keine Kritik der politischen Ökonomie, sondern bloß der politisierte Jargon eines, wie Michel Foucault es für sich reklamierte, fröhlichen Positivismus. Idealistisch und letzthin damit auch die allgemeine Ideologie reproduzierend, wird das Mensch-Tier-Verhältnis aus dem – verstellten – Naturzusammenhang herausgelöst, um das waltende Realitätsprinzip auch den animalischen Lebewesen überzustülpen; zwar nicht in der Variante der (etwa Konrad Lorenzschen) Verhaltensbiologie, sondern in schlechten Cultural Studies aufgeweicht, rangiert dann als These: Auch die Tiere verfügen über Kultur. In verdrehter Weise wird über diesen nun endgültig ins Absurde überspannten Kulturalismus der Biologismus wieder eingeholt, den man jetzt im neusten akademischen Jargon als »Biopolitik« in die Forschung integriert.
Die Matrix, nach der nun die (menschliche) Herrschaft über Tiere untersucht wird, erscheint hier unter dem Vorzeichen diskursiver Machtbeziehungen – und das heißt: Weder geht es um die Dialektik zwischen Tierischem und Menschlichem, um die Naturbeherrschung, noch um die soziale Konfiguration der Macht. (Man mag die Verständigung der Tiere fälschlich als Kommunikation bezeichnen, aber dass Tiere in einer Welt der Diskurse leben, ist völliger Unfug.) Bei dem politischen Menschentier, dem zoon politikon, das hier verhandelt wird, geht es weder um Selbstbeherrschung, Selbstbewusstsein, Entfremdung und das Aus­einandertreten von erster und zweiter Natur, noch um das Unbehagen an der Kultur oder das Gefühl der Ohnmacht.
Stattdessen geht es nicht um eine Rekons­truktion der »Idee der Naturgeschichte« (Adorno), die das Tierische – wie alles Leben und Lebendige – aus dem Bann der Evolution reißt und insofern revolutioniert, sondern um die menschlich-allzumenschliche Ordnung der Welt über Sprache, insbesondere Klassifikationen, Taxonomien und Typologien; geschichtskritisch ist das bestenfalls als Kritik der Wissenschaftsgeschichte, wie sie Foucault bereits 1966 mit seiner »Ordnung der Dinge« vorgelegt hat und an der man sich im Übrigen durchaus gut orientieren kann.
Die theoretische Akribie bei Foucault ist einfach, aber präzise. Er schreibt eine »Archäologie der Humanwissenschaften« – als archäologisch forschender Humanwissenschaftler. Seine Frage ist: Was sind überhaupt die Bedingungen der Möglichkeit von epistemischen Systemen? Eine Bedingung ist die kategoriale Bestimmung von Ähnlichkeiten. Foucault schreibt: »Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts hat die Ähnlichkeit im Denken der abendländischen Kultur eine tragende Rolle gespielt. Sie hat zu einem großen Teil die Exegese und Interpretation der Texte geleitet, das Spiel der Symbole organisiert, die Erkenntnis der sichtbaren und unsichtbaren Dinge gestattet und die Kunst ihrer Repräsentation bestimmt. Die Welt drehte sich in sich selbst: Die Erde war die Wiederholung des Himmels, die Gesichter spiegelten sich in den Sternen, und das Gras hüllte in seinen Halmen die Geheimnisse ein, die dem Menschen dienten.«
Doch im Übergang von der Renaissance zur Neuzeit findet eine Verschiebung statt: »Am Anfang des 17. Jahrhunderts, in jener Periode, die man zu Recht oder zu Unrecht das Barock genannt hat, hört das Denken auf, sich in dem Element der Ähnlichkeit zu bewegen. Die Ähnlichkeit ist nicht mehr die Form des Wissens, sondern eher die Gelegenheit des Irrtums, die Gefahr, der man sich aussetzt, wenn man den schlecht beleuchteten Ort der Konfusionen nicht prüft.« Die Ähnlichkeiten werden, wie bei Francis Bacon, durch Evidenzen und Regeln aufgelöst, und die »Sprache ist nicht mehr eine der Gestalten der Welt oder die Signatur, die seit der Tiefe der Zeit den Dingen auferlegt ist (…). Die Sprache zieht sich aus der Mitte der Wesen zurück, um in ihr Zeitalter der Transparenz und der Neutralität einzutreten«, sie wird »analysierend und kombinierend, wirklich die Sprache des Rechnens«.
Das ist wichtig, um zu verstehen, wie eine moderne Wissenschaft hat entstehen können, die ihre systematische Ordnung des Lebenden als Naturgeschichte darstellt. Noch einmal Foucault: »So angeordnet und verstanden, hat die Naturgeschichte als Bedingung ihrer Möglichkeit die gemeinsame Zugehörigkeit der Sachen und der Sprache zur Repräsentation. Sie existiert aber als Aufgabe nur insoweit, als die Dinge und die Sprache getrennt sind. Sie wird also jene Distanz reduzieren müssen, um die Sprache dem Blick sehr nahe zu bringen und die betrachteten Dinge möglichst in die Nähe der Wörter zu rücken. Die Naturgeschichte ist nichts anderes als die Benennung des Sichtbaren.«
Diese Naturgeschichte ist verbunden mit der Sozialgeschichte; die nach ihr geformte Naturwissenschaft wird spätestens mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert zur Ideologie – nämlich in der Weise, wie Foucault dann später von »Biopolitik« spricht – und zur Produktivkraft in der fortschreitenden Verwertungslogik des Kapitals. Tiere – Nutztiere – werden jetzt sukzessive entweder durch Maschinen ersetzt (wobei noch heute die Motorenkraft in Pferdestärken gemessen wird) oder durch das Proletariat.
Gerade weil im bürgerlichen Zeitalter seinem Minimalkonsens der Humanität gemäß auch der Prolet zur Gesellschaft gehört und eben nach dem Äquivalenzprinzip entlohnt wird, ist er das einzige Arbeits-, Haus- und Nutztier, das Mehrwert produziert – anders als Pferde, Kühe, Hunde, Katzen und Karpfen, die höchstens belohnt werden. Die Crux allerdings ist die Entmenschlichung des Mensch gewordenen Arbeitstiers: »Das Tierische wird das Mensch­liche und das Menschliche das Tierische«, notiert Marx in den »Ökonomisch-philosophischen Manuskripten«.
Konterkariert wird damit das, was den Menschen vom Tier unterscheidet, ihn seiner eigenen tierhaften Existenz gegenüber nämlich menschlicher werden lassen sollte (wo es also nicht darum geht, im Verhältnis zu den Tieren klüger, besser oder machtvoller zu sein); und das ist nicht die Sprache, nicht die Politik, nicht einmal die Fähigkeit, Werkzeuge herzustellen, sondern das Vermögen, als Mensch seine Geschichte selber zu machen. Aber, und das ist der entscheidende Zusatz von Marx, »die Menschen machen ihre eigene Geschichte (…) nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen«. Und das wirft den Menschen gerade in seiner menschlichen Existenz auf das Tierische, bloß Instinktive zurück und liefert ihn, reduziert in seinen Vermögen aufs Animalische, den Verhältnissen aus.
Es entsteht eine Gesellschaft, deren humaner Charakter zwar vermittelt, aber falsch ist. In ihr bleiben die meisten Menschen gezwungen, wie Tiere zu leben, auch deshalb, weil ihnen jede Möglichkeit, ihr soziales Verhältnis selbst zu gestalten, genommen ist. Konstatiert zwar die Philosophie den Unterschied zwischen Mensch und Tier, indem sie auf die Vernunftbegabung des Menschen verweist, reproduziert sich in der gesellschaftlichen Realität des Kapitalismus grausam die Ähnlichkeit zwischen Menschen und Tieren – ja, nicht nur Ähnlichkeit, sondern Gleichheit. Die Tiere werden zur Karikatur der Unmenschlichkeit; auch deswegen zitiert Marx den »Ausruf eines Franzosen bei einer projektierten Hundesteuer: Arme Hunde! Man will euch wie Menschen behandeln!«; und ebenso deswegen funktionieren die alten Tierfabeln in moderner Gestalt, etwa bei Jacques Offenbach in der Operette (zum Beispiel die Fliege in »Orpheus in der Unterwelt«) oder in Grandvilles »Staats- und Familienleben der Tiere«.
Die schließlich völlig vermenschlichten Tiere sind Wesen der zweiten Natur, tote Figuren, an denen – brutal und deshalb lustig – demons­triert wird, was den Menschen im zivilisierten Leben nach dem Vorbild der Tierquälerei angetan wird. »Donald Duck in den Cartoons wie die Unglücklichen in der Realität erhalten ihre Prügel, damit die Zuschauer sich an die eigenen gewöhnen«, schreiben Adorno und Horkheimer über die Kulturindustrie in der »Dialektik der Aufklärung« – über das, wenn man so will, Tierische im Fordismus.
Im Postfordismus schreibt sich das fort. In der gänzlich entfalteten zweiten Natur werden die Tiere zu Masken der Menschen, ausgestattet mit jenen Bedürfnissen, Gefühlen und Begehren, die dem Dasein in der verwalteten Welt versagt bleiben. Belebt werden soll mit tierhaftem Verhalten das unheimliche, »eigentliche« Wesen der Menschen. So muss für die Lüge, dass der Mensch ein geborener Egoist sei, nach wie vor Thomas Hobbes’ frühneuzeit­liche Analogie vom Menschen als des Menschen Wolf herhalten. Aber nicht nur zur Stigmatisierung des vermeintlich nativ Bösen im Menschen gelten solche Tierreich-Metaphern, sie gelten für die gesamte Bandbreite menschlich-unmenschlicher Beziehungen, vom Gewaltverhältnis bis zur zärtlichen Zuneigung, vom diskriminierenden »Schwein« bis zum liebevollen »Spatz«.
Mithin soll das Tier verkörpern, was dem Menschen angeblich fehlt, was er zumindest nicht zu zeigen vermag: Spontaneität. Doch die kommt den Tieren gerade nicht zu; Tiere sind nicht spontan. Darin liegt aber die Dialektik der Tier-Mensch-Beziehung verborgen, denn als Spontaneität setzt sich im Menschen die Idee des Tierischen fort, die Befreiung der Tiere, die nur über die Befreiung der Menschheit zu haben ist. Das ist kein Problem der Biologie, erst recht keines der Kulturtheorie und ihrer einzelwissenschaftlichen Derivate, sondern eine Aufgabe der Geschichte, und zwar einer Geschichte, an der das Tier als Mensch beteiligt ist, wie auch der Mensch die Tiere mit in die Geschichte nimmt.
Vorerst steht diese Geschichte unter einem Bann. Er wäre allein aufgehoben durch die Verwirklichung des Menschen, die unter Umständen auch ein »Tier-Werden« (Deleuze) als Aufhebung der Natur mit einschließt, »als wirkliche Aneignung des menschlichen Wesens durch und für den Menschen (…) als vollendeter Naturalismus = Humanismus, als vollendeter Humanismus = Naturalismus«, wie es in Marx’ »Ökonomisch-philosophischen Manuskripten« heißt.
Was das für eine kritische Theorie des Mensch-Tier-Verhältnisses bedeutet, hat der Philosoph Hendrik Wallat bündig zusammengefasst: »Menschheit ist weder biologische Gattung noch ein totales Kollektivsubjekt. Menschheit ist ein Metaphysikum – nicht im Sinne einer ontologischen Entität, wohl aber als nicht-empirischer Begriff der Vernunft –, das physisch wird als der Möglichkeitsraum, in dem Freiheit real ist (…). Eine befreite Menschheit wäre nicht die Negation der Tierheit, sondern diejenige Kraft, welche die Gewalt der Vorgeschichte überwunden hätte, zu deren basalen Konstituentien der abstrakte Gegensatz von humanitas und animalitas zählt (…). Diese Forderung einer posthumanistischen Emanzipation, welche die Dialektik von Menschheit und Tierheit nicht-reduktiv sowie jenseits der realen Herrschaft und Gewalt der Vorgeschichte auszutragen hätte, ist indessen kein romantischer Messianismus, wo ›Wolf und Schaf (…) beieinander weiden‹ (Jes. 65, 25), sondern das Politikum der ›vernünftigen Einrichtung der Gesamtgesellschaft als Menschheit‹ (Adorno), und das impliziert ihr Naturverhältnis (…). Erst wenn unsere tierischen Verwandten nicht mehr mit einem Todesurteil gleichkommenden Stigma belegt werden, bloße Natur zu sein, schiene eine Humanität auf, die ihre sich in der Dialektik des Fortschritts sedimentierende und erweitert reproduzierende Verfallenheit an bewusstlose Gewalt überwunden hätte: Vernunft nicht als das oppositum verachteter und doch zugleich tradierter Natur, sondern als ihr Erwachen«, schreibt Wallat in seinem Aufsatz »Die Tiere als Hüter der Menschlichkeit«.
Dieser Posthumanismus ist auch ein Post­animalismus, und eben nicht der Rückfall in eine tierische Barbarei, die nach der primitivistischen Vorstellung antispeziesistischer Tierrechtler besser sein soll als die menschliche. Insofern wäre dieser Posthumanismus Geschichte als Revolution, die gerade darin besteht, dass in der wirklichen Bewegung – als welche Marx und Engels den Kommunismus bezeichnen – der Mensch sich tatsächlich aus seinem tierischen Zustand endgültig befreit, um so auch alle Tiere zu befreien. Der Mensch vollzieht diese Geschichte gleichsam im Auftrag der Tiere: nicht nur als Selbsterkenntnis, sondern als Welterkenntnis und wirkliche Aneignung seiner – tierischen – Natur. Immerhin war es ein Tier, die Schlange, die Eva – also die kluge Frau, nicht den dummen Mann – dazu brachte, die verbotene Frucht vom Baum der Erkenntnis zu essen.
Letztlich ist es leicht zu zeigen, dass für die Einsicht, dass die Abschaffung des Leidens auch das Elend der Tiere mit einschließt, keine Phrasen wie »Antispeziesismus« nötig sind. Ebenso wie für einige hübsche und interessante Einblicke in die Welt der Tiere, insbesondere wo sie mit Welt der Menschen verwachsen ist, Fachspezialisierungen wie Human-Animal-Studies überflüssig sind und sich in ihrer Funktion nur als Berufsstandswahrung legitimieren. Aber von irgendwas muss das akademische Tier ja leben!