Die homophobe Gesetzgebung in Russland

»Homosexualismus« ist Tabu

Die russische Regierung hat das Gesetz gegen die »Propaganda nichttraditioneller sexueller Beziehungen« verschärft.

Gälte es einen gefährlichen Virus an seiner Ausbreitung zu hindern, könnte Elena Mizulina einfach ein Patent für ein Gegenmittel anmelden und aus dessen Verkauf finanziellen Nutzen ziehen. Gegen Homosexualität jedoch erweist sich die Medizin bekanntlich als machtlos und so bleibt der homophoben Vorsitzenden des Ausschusses für Frauen, Familie und Kinder der russischen Staatsduma nur die Festschreibung strafrechtlicher Sanktionen. Am 11. Juni verabschiedete das Parlament mit nur einer Stimmenthaltung ein Gesetz, das die Verbreitung von Informationen, die geeignet seien, bei Minderjährigen eine »verquere Einstellung hinsichtlich der Gleichwertigkeit gleichgeschlechtlicher Beziehungen« gegenüber der aus Mann, Frau und Kindern bestehenden traditionellen Familie hervorzurufen oder gar ihr »Interesse dafür zu wecken«, unter Strafe stellt. Mit 120 Euro kann solch ein Vergehen nun geahndet werden, juristischen Personen drohen Bußgelder bis zu 25 000 Euro. Sind Medien oder das Internet involviert, gilt dies als erschwerender Umstand und für renitente Ausländer ohne Verständnis für den neuen russischen Korpsgeist sieht das Gesetz zusätzlich die Abschiebung vor.

Mizulinas Vorgehen basiert auf einer ziemlich kruden Logik: »Durch die Anwendung des Begriffs Homosexualismus propagieren wir unweigerlich diesen Homosexualismus. Wir haben beschlossen, dass durch unser Gesetz Homosexualismus in keiner Weise propagiert werden darf.« Damit der Teufel auf keinen Fall mehr beim Namen genannt wird, hat die Verfasserin des Gesetzes nach einem Ausweg gesucht und ihn auch gefunden: Nicht über Homosexualität soll von nun an in Anwesenheit von Kindern und Jugendlichen geschwiegen werden, das Tabu gilt vielmehr hinsichtlich »nichttraditioneller sexueller Beziehungen« – was auch immer Mizulina und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter darunter verstehen mögen.
Noch immer ist unklar, mit welchen Gegenständen Minderjährige derzeit überhaupt noch in Berührung kommen dürfen. Gelten die gesetzlichen Einschränkungen auch für das literarische Welterbe wie beispielsweise das Werk von Oscar Wilde? Die neue Regelung lebt von ihrer Multifunktionalität und Vorbildfunktion für andere gesellschaftliche Bereiche. Mizulina ist keineswegs daran gelegen, Homosexualität als solche auszulöschen, aber ihre Propaganda setzt neue Maßstäbe für die Einigung einer tief gespaltenen Gesellschaft.
Immer stärker setzt sich der Glaube durch, dass Kinder allein beim Anblick zweier sich umarmender Männer zur Nachahmung angeleitet würden. Das staatlich kontrollierte Meinungsforschungsinstitut WCIOM ermittelte eine Zustimmung zu dem jüngsten Gesetz von 88 Prozent, 42 Prozent der Befragten sprechen sich für eine strafrechtliche Verfolgung von Homosexualität aus. Im Jahr 2007 lag deren Anteil noch bei 19 Prozent. Mit französischen Verhältnissen ist in Russland vorerst nicht zu rechnen. Ein Adoptionsverbot russischer Kinder durch gleichgeschlechtliche Paare aus dem Ausland ist bereits in Vorbereitung, ebenso wie die Möglichkeit, russischen Eltern das Sorgerecht zu entziehen, sollte ein Elternteil ein Kind gemeinsam mit einem gleichgeschlechtlichen Partner oder einer Partnerin erziehen.

Dabei scheint sich niemand daran zu stören, dass die russische Popindustrie sich gerne Homoerotik als Stilmittel bedient, wie beispielsweise die Sängerin Walerija. Der blonde Schlagerstar begrüßte in einem Fernsehinterview mit der BBC dennoch das neue Gesetz und gab zu verstehen, dass ihre homosexuellen Bekannten allesamt »normale Menschen« seien, da sie sich gegen die »Homoehe« aussprächen. So viel »Toleranz« legt die jüngere Generation nicht an den Tag. Nach einer Rangelei vor der Duma zwischen LGBT-Aktivistinnen und -Aktivisten und Dutzenden Befürwortern des Gesetzes am Tag der Verabschiedung des »Propagandaverbots« verfolgte eine Gruppe homophober Jugendlicher einige Demonstrierende. In sicherem Abstand von der Polizei gingen sie zum Angriff über. Ein LGBT-Aktivist wurde verletzt.