Zur Krisenpolitik der EZB

Retter vor Gericht

Das Bundesverfassungsgericht prüft die Krisenpolitik der Europäischen Zentralbank.

Für die Kläger ist er ein Held, der gegen die Hybris kämpft. Sie hoffen darauf, dass Jens Weidmann, der Vorsitzende der Deutschen Bundesbank, die Europäische Zentralbank (EZB) doch noch in ihre Schranken weisen kann. Zwei Tage lang beschäftigte sich das Bundesverfassungsgericht Ende vergangener Woche mit der Frage, ob die Notenbank mit dem Anfang September 2012 beschlossenen Programm zum unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen nicht ihre Kompetenzen überschritten hat. Weidmann gehörte zu den wichtigsten Sachverständigen, die das Gericht geladen hatte. Mit einem Urteil ist aber erst in mehreren Monaten zu rechnen.
Im vergangenen Herbst wurden auf den Finanzmärkten nicht nur griechische und portugiesische Papiere mit hohen Abschlägen gehandelt, auch bei spanischen und italienischen Anleihen stiegen die Zinsen rapide an. Fast schien es so, als sei das Ende der Euro-Zone nur noch eine Frage von wenigen Monaten. Dann verkündete die EZB, im Notfall unbegrenzt Anleihen der betroffenen Staaten aufzukaufen. Er werde »alles Notwendige tun, um den Euro zu erhalten«, sagte EZB-Präsident Mario Draghi damals. »Und glauben Sie mir – es wird ausreichen.« Als einzige Bank in der Euro-Zone ist die EZB berechtigt, Geld zu drucken. Sie verfügt daher zumindest theoretisch über unlimitierte Mittel.

Ihrer Satzung nach ist die EZB aber nur dazu verpflichtet, die Preise in der Euro-Zone stabil zu halten und nicht dazu, Staaten vor dem Bankrott zu retten. Mit dem unbegrenzten Anleiheprogramm hat die Bank nach Meinung der Kläger daher nicht nur ihr Mandat überschritten, sondern ist zudem unkalkulierbare Risiken eingegangen. Und weil auch die Bundesregierung zumindest indirekt für diese Risiken garantiert, sei damit die in der Verfassung festgelegte Haushaltshoheit des Bundestags verletzt worden. Die Klage beruht auf einer Initiative, die unter anderem von dem CSU-Politiker Peter Gauweiler ausging und der sich mittlerweile 35 000 Bürger angeschlossen haben.
Sie teilen vermutlich die Sicht des smarten Vorsitzenden der Bundesbank, der sich vehement gegen die Pläne der EZB ausgesprochen hatte. Er halte die Anleihekäufe für eine verdeckte Form der Staatsfinanzierung und fürchte, sie könnten »süchtig machen wie eine Droge«, sagte Weidmann vor einem Jahr. Für manche Medien gilt er seitdem als einsamer Mahner, der es wagte, sich mit der mächtigsten Bank Europas anzulegen. »Der 44jährige hat sich daran gewöhnt, seine Position gegen den Widerstand seiner Kollegen zu vertreten. Und er hat sich dafür entschieden, das ganz offen zu tun, nicht mehr nur in den Hinterzimmern«, kommentierte damals der Spiegel tief beeindruckt.

Doch wo eine solche Lichtgestalt waltet, sind die Mächte der Finsternis nicht weit entfernt. Besonders Mario Draghi ist für viele EZB-Kritiker der personifizierte Bösewicht, der es mit allerlei zweifelhaften Maßnahmen geschafft hat, die nationale Souveränität über die Finanzen auszuhebeln. Als »allgewaltiger Herrscher über die Euro-Zone« wurde der EZB-Präsident kürzlich im Handelsblatt beschrieben, seine »extreme teleologische Auslegung« des Mandats durch die EZB sei »besorgniserregend«. Dies ist allerdings kein Wunder, wenn man wie das Handelsblatt bedenkt, dass der ehemalige Jesuitenschüler »in den Machtkorridoren der italienischen Hauptstadt und im Londoner Investmentbanking und Lobbyismus sozialisiert« wurde. So suggeriert eine der wichtigsten deutschen Wirtschaftszeitungen, dass der Gegenspieler von Weidmann der US-amerikanischen und britischen Finanzbranche nahesteht und offenbar mit mafiösen Strukturen vertraut ist. Viele Kläger werden wohl ähnlicher Meinung sein.
Deshalb verdrießt es sie besonders, dass ausgerechnet die Hüter nationaler Souveränität zu Draghis größten Fürsprechern gehören. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wies vor dem Gerichtstermin die Vorwürfe gegen die EZB strikt zurück, und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) war voll des Lobes. Die EZB tue »das, was nötig ist, um die Geldwertstabilität zu verteidigen«, erklärte sie in der vergangenen Woche.
Die Bundesregierung hat auch allen Grund, zufrieden zu sein. Das Vorgehen der EZB passt in ihr paradoxes Konzept, die Folgen der europäischen Schuldenkrise nationalstaatlich zu verwalten. Die Bundesregierung predigte seit Beginn Krise, dass die betroffenen Länder durch harte Sparprogramme Schulden abbauen und ihre Wettbewerbsfähigkeit wieder herstellen müssten. Die Strategie drohte aber zu scheitern, weil sie mehr und mehr Staaten in eine tiefe Rezession führte und so deren Kreditwürdigkeit grundsätzlich in Frage gestellt wurde.
Die Ankündigung Draghis kam daher gerade rechtzeitig, um die Finanzmärkte wieder zu beruhigen. Er garantierte damit, dass kein Land der Euro-Zone pleite gehen würde. Er stellte damit aber auch sicher, dass alle Regierungen, die die Hilfe der EZB in Anspruch nehmen, sich zur strikten Austerität verpflichten müssen. Zugleich bot die Notenbank Kredite zu historisch günstigen Konditionen an. Damit konnten die Geschäftsbanken wiederum hoch verzinste Anleihen eben jener Staaten kaufen, deren fundamentale Wertbeständigkeit Draghi zuvor garantiert hatte. Die Euro-Zone war vorerst gerettet, die Finanzmärkte waren zufrieden, die Bundesregierung zeigte sich erleichtert. Draghi hält seinen Coup noch heute deshalb für »die vielleicht beste geldpolitische Maßnahme, die wir in jüngster Zeit getroffen haben«.
Eine dauerhafte Lösung ist dies aber sicher nicht. Die Intervention der EZB hat auch zur Folge, dass Sparbücher und Lebensversicherungen seitdem stark an Wert verlieren, während die Aktienkurse steigen, Immobilienmärkte boomen und Mieten in die Höhe schießen. Zugleich driftet die Euro-Zone weiter auseinander: Die spanischen Staatsschulden erreichten vergangene Woche eine vorläufiges Rekordniveau, ebenso wie die Arbeitslosenzahlen in Griechenland. Hingegen spart die Bundesregierung wegen der historisch niedrigen Zinsen für deutsche Staatsanleihen seit Beginn der Schuldenkrise rund 100 Milliarden Euro, wie das Kieler Institut für Weltwirtschaft kürzlich errechnete. Stabile Verhältnisse sehen anders aus.
Darauf wiesen auch die zahlreichen Sachverständigen hin, die das Gericht geladen hatte. »Diese Retterei ist außerordentlich gefährlich«, wetterte Hans-Werner Sinn, der Präsident des Münchener Ifo-Instituts für Wirtschaftforschung, bei seinem Auftritt als Sachverständiger vor dem Verfassungsgericht. Nach seiner Einschätzung liegt das Volumen des Ankaufprogramms der EZB bei rund drei Billionen Euro, die Notenbank selbst gibt rund 550 Milliarden Euro an. Falls es nun doch zu Staatsbankrotten in der Euro-Zone kommt, sei es aufgrund von sozialen Unruhen oder wegen der andauernden Rezession, müsste insbesondere Deutschland für diese Summe einstehen.

Wenn das Bundesverfassungsgericht aber die Ankaufprogramme der EZB für rechtswidrig erklärt, könnte aus dem Szenario, das Weidmann, Sinn und andere Sachverständige prophezeien, schnell Wirklichkeit werden. Denn eine Alternative haben die EZB-Kritiker nicht anzubieten. Ohne die Unterstützung durch die EZB würde die Euro-Zone wohl bald auseinanderbrechen. Die Folgen davon wären wesentlich gravierender als alles, was der Bank nun vorgeworfen wird.
Die Richter in Karlsruhe befinden sich daher in einer schizophrenen Situation. Schließen sie sich der Meinung der meisten Sachverständigen an, könnte dies zu genau jenen Konsequenzen führen, vor denen die Kläger so dramatisch warnen. Aus diesem Dilemma wird sich das Gericht kaum befreien können.
Es ist daher wenig wahrscheinlich, dass die Richter die Praxis der Zentralbank für rechtswidrig erklären werden. Schließlich hatten sie bislang auch andere Maßnahmen gebilligt, mit denen der Euro gerettet werden sollte – zumeist versehen mit der Mahnung, man möge die Rechte nationaler Parlamente respektieren. Viel mehr wird das Gericht vermutlich auch dieses Mal nicht beschließen. Vielleicht erklärt es sich auch für nicht zuständig und verweist die Klage an den Europäischen Gerichtshof. Sicher ist aber schon jetzt: Jens Weidmann werden solche Entscheidungen nicht gefallen.