Talmi

Vanity fair

Wer wissen möchte, was der Kapitalismus konkret mit uns vorhat, sollte unbedingt das Festgelände des J.P.-Morgan-Laufs in Frankfurt besuchen. Jedes Jahr veranstaltet die system­relevante und rettungsbeschirmte Investmentbank diesen Marathon, bei dem die grindigsten Konzerne des Landes ihr Personal durch die Stadt laufen lassen – die das selbstredend bezahlt, alle Straßen sperrt und hinterher saubermacht. Im Anschluss, wenn sich die Konzernfrettchen ausgepowert haben, dackeln sie in die städtischen Parks, um ihre lächerlichen Triumphe mit den Kollegen zu teilen, die sie insgeheim hassen. Die Lage dort ist mit apokalyptisch-postfaschistisch gut beschrieben. Jede Firma hat ihr eigenes Terrain. Die Flächen dazwischen sind mit Abfall und Erbrochenem bedeckt. Äußerlich durch T-Shirts mit Firmenlogo voneinander unterschieden, gibt es für jede Firma, gleich ob Sparkasse oder Credit Suisse, das gleiche traurige Einheitsprogramm aus Bierbank, Bratwurst und Easy-Listening-DJ. Alle müssen konsumieren, alle müssen fraternisieren. Wer keinen Spaß hat, wird erschossen. Bei äußerlicher Gleichheit herrscht weiter absolute Hierarchie. Denn obwohl er dasselbe lustige T-Shirt trägt, ist der Chef doch der Chef, der genau darauf achtet, dass sich niemand zu sehr oder zu wenig amüsiert und Freizeit stets die Fortsetzung der Arbeit bleibt. Besuche zwischen den Terrains sind ausdrücklich nicht erwünscht; jedes Lager hat eine eigene Sicherheitsmannschaft, die Schaulustige und Journalisten gleichermaßen abweist. Nicht, dass viel aus den Mannschaften herauszuholen wäre: Noch nach zehn Bieren wird der Nestlé-Mitarbeiter sich hüten zu erklären, warum Leitungswasser etwas kosten soll. Die Angst trinkt mit. Prost!

Leo Fischer ist Chefredakteur des Satiremagazins Titanic.